V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 4

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ERLINER TAGSLATT
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Schnitzler als Mystiker.
Arthur Schullzler.-Dammerseclen. Novellen. S. Fischer
Verlag, Beriff.
Ein sellsames Buch, ganz aus der Stimmung geboren, die den
Wiener Dichter auch in seinen letzten Dramen vom Gegenständ¬
lichen zum Uebersinnlichen treibt. Die nicht den klaren, hellen Tag
liebt, kondern sich grüblerisch hinter die dunklen Vorhänge
mystischer Reflexionen zurückzieht und dort geheimnisvollen Rätseln
nachsinnt. An solchen Rätseln gehen die passiven Helden dieses
Novellenzyklus zugrunde. Irgendein Unnennbares, aus der
schwarzen Tiefe des Geheimnisvollen Stammendes, dringt jah auf
sie ein, packt sie und wirft sie um so sicherer von der Lebensbühne,
weil sie alle — Duldernaturen, keine Kraftmenschen — sich dem
zerpressenden Druck des finsteren Geschickes nicht zu entziehen ver¬
mögen. Schnitzler variiert hier in einer leise tastenden Diktion
und einer kühl=nervösen Ausdrucksform, die an Jakob Wasser¬
manns letzte, gespenstische Novellenphantasten mahnt, im Grunde;
gewiß nur sein altes Lieblingsmotiv, das die Zusammen¬
hänge zwischen Tod und Leben deutlicher aufhellen möchte. Aber
seine Schilderungswege begleiten hier nicht die Hinterbliebenen über
ihre durch das Ableben eines teuren Menschen verwirrten ferneren.
Lebensschritte. Der Sterbende selbst ist das Objekt, dessen letzte
Schicksale die Hand dieses versonnenen Seelenarztes jetzt seziert.
Dessen Daseinsschluß er nicht als spontanes, aber wohlbegreifliches
Ereignis betrachtet wissen möchte, sondern als letztes Glied an einer
umfangreichen, von geheimnisvollen Mächten geschmiedeten Kette.
Es ist sonderbar, daß gerade dieser Mediziner — Arthur Schnitzler!
kommt ja aus diesem so sleptischen Berufe — der modischen Auf¬
faffung von der Absurdität des Todes, der Auffassung, die zum
Tode wie zum Tanze schreiten läßt, nicht geneigt ist. Daß er
vielmehr den Todesgeist mit Ehrfurcht als etwas Ueberlebens¬
großes, Gewaltiges grüßt, wie die Alten es taten. ...
Dieses Bild des Nicht=Ausweichenkönnens — man sieht es beim
Lesen förmlich fixiert vor sich, wie eine schwarz gekleidete, ernste
#stalt mit blassen Zügen einem Menschen still nachschreitet,
ünentwegt und ohne von feiner Spur zu weichen: dieses
Bild ##ird in der Novelle „Die Weissagung“ am deutlichsten
gegeben. Ein junger Leutnant hat da in einem jüdischen
Chiroman. in den Verkünder seines Schicksals erlebt. Besser den
Verkünder einer Szene seines Schicksals. Der Jude hat vorher
mit seinen euystischen Manövern, die sichtlich mehr sind als
Alfanzereien,as ganze Offizierskasino rebellisch gemacht. Dann
steht er mit dem kleinen Offizier im schwarzen Kasernenhof:
und in der Abendluft prägt sich vor den Augen des Jünglings ein
Bild aus, das ein Motiv seiner Zukunft darstellt. Der junge!
Aristokrat will die m Endpunkt seines Lebens aus dem Wege !
gehen. Aber sein Mül'en ist zwecklos. Und man folgt mit erregten
Sinnen, die gern das Abstrakte, Irreale leugnen möchten und sich
doch dieser starken Schil“ rungskunst ergeben müssen, den eifervollen a
Bestrebungen des Erze lungshelden, sein Schicksal selbst zu
machen: den Griffen, mi“ welchen ihn die Norne immer wieder
auf die Linie der vorgeschriebenen Bahn zurückreißt, zu entrinnen.
Bis er — inmitten einer leichten, gesellschaftlichen Veranstaltung —
da endet, wo er sich einst, unter dem Einflusse jenes Zauberers,
enden sah. In jener Situation, die ihm die Zeremonie des Zauberers
zeigte
Die Wirkungen solcher naturgemäß mehr artistischen als un¬
mittelbar künstlerischen Erzählungsversuche steigert Schnitzler
gern, indem er der tragisch=transzendentalen Pointe einen grotesken
Ausklang anheftet, der aber die Wucht dieser fatalistischen Welt¬
anschauung niemals schmälert, sie im Gegenteil noch grausamer,
brutaler, entsetzlicher erscheinen läßt. Da zeigt die kleine Episode
„Die Fremde“ einen armen Burschen, der sein geistiges, feelisches
und materielles Ich der Neigung zu einer halbirren, schönen Frau
opfert — man denkt an Katharina aus des Dichters letztem Drama
„Der Ruf des Lebens“, und der, bevor er ruiniert zur Pistole greift,
ihr mit den Resten seiner Habe den Bronzeabguß eines Standbildes
kauft, vor dessen Original er sie verzückt vor kurzer Zeit gefunden
hat. Und neben dieser beklagenswerten Marionette des Geschickes
steht als dritte (im Mittelpunkte der Erzählung: „Das Schicksal des
Freiherrn v. Leisenbogh“) dieser durchaus altruistische Kavalier,
der sein ganzes Leben lang den Protektor einer Sängerin abgibt,
während ihre intimeren Reize von den anderen genossen werden,
dem sie eine kurze, nicht platonische Episode ihres Lebens nur deshalb
gönnt, weil über dieser ein toddrohender Fluch schwebt, und der sich dann
auch prompt vom Schlage treffen läßt, damit jener Fluch gefühnt
wird.
Aber inmitten dieses feinmaschigen Netzes artistischer Kon¬
struktionen gibt es auch einen rein künstlerischen Ausruhepunkt.
Die Geschichte von der kleinen Volkssängerin, die in den Tod geht,
da sie — plötzlich erblindet und trotzdem zur Uebung ihres Berufes
gezwungen — erfährt, daß der Geliebte ihres Herzens, den sie fern
glaubte, unten im Parkett sitzt und sie so entstellt gesehen hat.
Diese Erzählung hat nichts vom gesucht Rätselvollen ihrer
Nachbarinnen. Sie ist vom Zauber keuschesten, weiblichen!
Empfindens ausgefüllt, durch prachtvolle Menschenschilderungen
gekräftigt. Sie zeigt den alten Schnitzler, der mit beiden Füßen
auf der Erde stand, und der mir lieber war als der Neue, der#
gar zu gern hinter die Fläche der Himmelswand spähen möchte.
W. T.
Telephon 12801.
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QQuellenangabb oewähr.
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1 Ausschnitt
BErliner Börsenceurier
13
E vom : 2AR2 18
Deue Bücher.
Arthur Schnitzler läßt soeben ein Bändchen
Novelten erscheinen: Dämmerseelen“. Inhalt:
Das Schicksal des Freiherrn v. Leisenbohg — Die
Die Fremde —

Weissagung — Das neue Lied
Andreas Thameyers letzter Brief. (S. Fischer, Verlag,
Berlin.) Schnitzlers neue Novellen sind Variationen
über Themen aus der Gedankenwelt Edgar Poes.
Menschliche Schicksale werden bestimmt durch eine
Macht, die aus einer fremden, außermenschlichen
Sphäre herüberlangt. Die spezielle Note dieser neuen
Novellen von Schnitzler ist es nun, daß sie nicht
eigentlich den Zweifel an der natürlichen, kontrollier¬
baren Kausalität ausdrücken wollen, sondern daß sie
mit diesem Zweifel spielen; sie foppen damit. Vom
Freiherrn Leisenbohg, dem seine Angebetete eine Nacht
schenkt, um auf ihn den Fluch ihres toten Liebhabers
hin= und dadurch von ihrem neu erwählten abzulenken,
lund der durch solche Perfidie dem Fluche wirklich
unterliegt, bis zu Herrn Andreas Thameyer, der für
die Tugend seines Weibes stirbt, das einen Neger¬
knaben geboren hat, — geht durch das ganze Buch ein
spöttischer Ton, hört man verhaltenes Kichern. Und
alles das ist von sicherster, leichtester Hand hingesetzt,
trocken, elegant und unterhaltend.