V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 25

3. Daennerseelen box 357
Telephon 12801.
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Ans Wenenehng
□ l. österr. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ehne Gevtm.
Ausschnitt
Fresnondent
355
zampepher C
E vom:
Dämmerseelen.
Novellen von Arthur Schnitzler.
S. Fischer Verlag,
Das neue Schnitzlerbändchen bifek dem Leser
fünf Novellen. Oder eigentlich novellistische Skizzen.
Nicht nur die Seelen sein= Helden und Heldinnen,
auch die Handlungen und Geschehnisse hüllt der Dich¬
ter in ein Dämmerlicht, das uns unmöglich macht,
sie klar und bestimmt zu erkennen. Das ist natürlich
künstlerische Absicht, stimmt durchaus zu dem Geist,
aus dem die fünf Sachen entstanden und in dem sie
zu genießen sind. Aber es gibt der Darstellung eben
etwas skizzenhaftes, läßt manches nur andeutungs¬
weise ahnen, was in einer abgerundeten Novelle
breit und deutlich erzählt werden müßte. Hier offen¬
bart sich der Unterschied zwischen dem Neoromantizis¬
mus Schnitzlers und der Romantik E. T. A. Hoff¬
manns. Hoffmann glaubt an die Geisterwelt, die
seine Phantasie heraufbeschwört. Für ihn ist all der
tolle Spuk Wirklichkeit, die man mit Händen greifen
kann. Schnitzler ist viel zu modern oder steht doch
wenigstens zu sehr unter dem Bann moderner Skep¬
fis, als daß er die Faßbarkeit einer unsichtbaren Welt
zuzugeben den Mut hätte. Er läßt uns nur wie hin¬
ter dichten Schleiern eine außer=, um nicht zu sagen
übermenschliche Sphäre ahnen, aus der unbegreif¬
liche Mächte in die wirkliche Welt herüberlangen und
in das Schicksal der Menschen eingreifen. Tückisch,
boshaft, vernichtend eingreifen. Er scheint sich da mit
Edgar Allan Poe zu berühren und er hat möglicher¬
weise die Anregung zu diesen Geschichten von dem
genialen Amerikaner bekommen. Aber sieht man
näher zu, so merkt man, daß er sich auch von Poe
wesentlich unterscheidet. Denn Poe glaubt ernsthaft
an diese unbegreiflichen Mächte, deren Wirken die
natürliche, berechenbare Kausalität der Ereignisse
ausschließt und der modernen materialistischen und
monistischen Weltanschauung Hohn spricht. Schnitzler
aber zweifelt nicht wirklich an dieser Kausalität, er
spielt nur mit diesem Zweifel, er verwertet ihn als
ästhetisches Mittel. Seine Novellen wollen nicht
überzeugen, nicht glauben machen. Sie wirken wie
feine, graziöse Vexierkünste. Sie führen, wie man
nicht ohne Grund gesagt hat, vielleicht eine Idee,
sicher aber den harmlosen Leser ad absurdum. Wer
dem Erzähler mit feineren Ohren lauscht, hört durch
den verschleierten Ton, mit dem dieser die unheim¬
lichen Dinge erzählt, immer wieder leisen Spott und
Und diese
verhaltenes Kichern hindurchklingen.
eigenartige Mischung gibt dem Buch auch gerade seine
besondere Würze und seinen undefinierbaren Duft des
Aparten, die es zu einer fesselnden Lektüre für Fein¬
N
schmecke machen.
Telephon 12801.
P An WBTTSn
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
6
Wien, I., Concordiaplatz 4.

Vertretungen
□ in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnittlauseiger für Hamburg-Altons
8
Hamburg
E vom:

Dämmerseelen.
Novellen von Artyux Schuitler.S. Fischer, Verlag, Berlin 1907.
Geschickbestimmend ist in allen fünf Novellen (Das Schicksal des
Freiherrn von Leisenbohg, Die Weissagung, Das neue Lied, Die
Fremde, Andreas Thameyers letzter Brief) etwas Außermenschliches.
Eine Macht greift hinein — wer will ihr wahres Gesicht bezeichnen?
die über der gemeinen Realität steht. Ein Fluch hat unheimliche
Wirkungen. Eine Prophezeiung bestimmt Zeit und Art des Endes,
das ein Menschenleben nimmt. Unheimliche Worte eines Halbirren
werden zur gräusigen Macht. Vergangene Tage zerstören, was kaum
gebaut wurde. Jemand stirbt freiwillig — im Glauben an das Außer¬
natürliche — für die Treue seines Weibes. So sind diese Novellen
Variationen eines Themas. Alle haben trotz der großen Verschieden¬
artigkeit des Charakters der Abwandlung die völlig gleiche durch¬
klingende Grundlage. Alle schließen mit der gleichen Wendung. Die
außermenschliche Macht erhält ihr Opfer, gleichviel ob freiwillig oder
erzwungen.
Der Autor aber verbirgt geschickt sein Gesicht. Zweifelt oder glaubt
er? Will er spotten oder predigen? Will er uns lachen oder grübeln
machen? Oder will er nicht das Eine oder das Andere, sondern stets
mit ihm? Vieldeutig für die Töne. Jeder wird und mag ein An¬
deres hinein hören. Keiner wird sich dem Eindruck des glänzenden
Spiels entziehen können. Ein Virtuose läßt sich vernehmen, der
das Instrument mit sicherer Hand meistert.
Freilich, das Staunen wird größer sein als das innere Erleben,
die Bewunderung sich vor den Eindruck schieben. Erst auf Umwegen
läßt sich diesmal die Höheerklimmen, auf die wir sonst in einem Nu¬
wer konnte sagen, durch welche Zaubermittel? — versetzt waren
wenn Schnitzler erzählte.
Ersteigbar ist sie auch diesmal.