V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 28

3. Daennerseelen box 357
Telephon 12801.
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uune Wreinrsung
7
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
60
Wien, I., Concordiaplatz 4.
4
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
# hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewahr.)
4 Ausschnitt aus:
E vom:
Anstwart, Berlmn
Wnz

rthur Schnitzler, „Dämmer¬
Afeelen# (Berlin, S.
Fischer)
Schnitzlers Vovellen in ihrer
schlichten, sehr sicheren Erzählart
sind eine sehr unterhaltsame Lektüre.
An den beiden ersten spürt man
deutlich das Vergnügen, das es ihm
macht, dem Leser etwas aufzubinden.
Sie sind höchst glaubhaft erzählt,
besonders „Die Weissagung“ reiht
ganz allmählich einen an und für
sich möglichen Zug an den andern;
so entsteht schließlich eine abenteuer¬
liche Geschichte, ohne daß dies Aben¬
teuerliche so stark hervorträte, daß
nicht Gemüter, die eine Schwäche
für seltsame Verknüpfungen der Er¬
eignisse haben, in einer Dämmer¬
stunde die Möglichkeit der Weis¬
sagung und ihrer Erfüllung zugeben
könnten. In der Novelle „Das neue
Lied“ wird ein Geschehnis
von
hinten virtuos aufgerollt; „Die
Fremde“ gibt das Bild einer selt¬
samen, wirklichen Dämmerseele;
„Andreas Thameyer“ hätte aber
zum Schluß seinen „letzten Brief“
nicht zu schreiben brauchen, mit
diesem Ulk schließt das Bändchen
allzu flau ab. Im ganzen sind
alle fünf sorgsame Schnitzeleien, die
man eine müßige Stunde lang gern
besehen mag, nicht mehr.
181
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g hagen, London, Hadrid. Malland. Sinncapolis, New-Vork,
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= Ausschnitt aus
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Node Freie Presse, Wien
E von
1
[Die Bücher der Saison.] Schon die Einzahl ist f:
z# viel. Freilich bedeutete sie mehr und Gewichtigeres als der
Plural. Es gibt kein Buch der Saison, und sogar von
üchern der Saison kann man nur mit einiger Nachsicht und
goßem Aufwand an gutem Willen sprechen. Das ist kurz ge¬
fäßt das heurige Resultat der kleinen Enquete, die wir all¬
jährlich um diese Zeit zu veranstalten pflegen. Kein Buch der
Saison, keines, das „man“ gelesen haben muß, mit dem aufs
innigste vertraut zu sein zu den Gesellschaftsregeln des
bürgerlichen Snob=Gesetzbuches gehört. Die schwarze Tinten¬
Sintstut hat nicht nachgelassen. Es wird unendlich viel ge¬
schrieben, ediert, gelesen und — man höre und staune — ge¬
kauft. Multa, non multum. Und um es gleich eingangs her¬
auszusagen, wenn genergelt und getadelt werden soll: Das
Lesepublikum hat sich nichts vorzuwersen, eher darf mit den
Autoren ins Gericht gegangen werden. Nicht nur die Auf¬
nahmsfähigkeit und Aufnahmslust der Lesewelt bewegt sich in
aufsteigender Linie, auch dieWeschmackkultur hat sich zusehends
verseinert. Dafür sind Brleger, Buchhändler und Leih¬
bibliothekare klassische Zeugen. Wenn der Optimismus und
der wenschheitsglaube nicht so arg diskreditiert wären und
seinen Bekennern nicht das Stigma des Uninteressanten auf¬
drückten, dann wäre man wirklich versucht, wenigstens so weit
die Literatur in Frage kommt von der Lust zu sprechen, ge¬
rade in dieser Zeit zu leben. Es ist doch kein schlechter Kultur¬
barometerstand, wenn man auf der Suche nach den gelesensten
Büchern mit der schlichten Antwort überrascht wird: Goethe.
Nicht gerade der so und so vielbändige, der im verstaubten
Ehrenklassikerfach der Hausbibliothek aufgestellt ist, sondern
ein modernisierter, der nervösen, schnellebigen Gegenwarts
mundgerecht gemachter Goethe, noch dazu einer, der bis vor
kurzem den Privatdozenten vorbehalten, der, wenn man lieber
will, geistiges Reservat einer Edelmenschengemeinde gewesen¬
ist: Goethe in seinen Briefen. Die Goethe=Briefe gehören
also zu den gelesensten Büchern, und zwar in einer eigen¬
arligen Edition, die Ernst Hartung im Langewiesche¬
Brandischen Verlag veranstaltet hat. Zwei Bände sind es, der
eine umfaßt die wertvollsten Briefe aus der ersten Hälfte; des
Dichterlebens und ist nach Goethes Petschaft „Alles um Liebe“
betitelt, der andere nennt sich „Vom tätigen Leben“ und um¬
faßt die Periode von 1790 an. Die rein literarischen Be
ziehungen und Werte treten hinter den menschlichen
Lebensroman in Briefen
zurück, es
deren verbindender Text mit wohltuend keuscher Zurucks
haltung geschrieben ist. Die schöne Arbeit, Goethe zu
winnen, sagt der Herausgeber, muß ja schließlich jeder für
sich selbst leisten, indem er aus allen Aeußerungen dieses
einzigen Lebens das gerade seiner Natur Gemäße zu nehmer
anhallend bemüht bleibt. Das hat gewiß seine schwerwiegende.
Richtigkeit; aber es schmälert keineswegs das Verdienst des
Helfers und Eidgenossen, das mit bereitwilliger Dankbarkeis
Ein retrospektiver, beschaulichen
anerkannt werden soll ...
Zug geht durch das deutsche Lesepublikum, ein Besinnen aus
das Erworbene und Zurückgelegte. Mustert man die Weihe
nachtskataloge der Verleger, so überrascht einen die große
Anzahl der Neudrucke und Neuauflagen älterer Autoren
Eigentlich schneidet die Belletristik schlecht ab im Vergleiche
mit der Memoiren= und Briefliteratur. Von den Neuerscheis
nungen auf dem Gebiete des Romans und der Novelle haben
nur wenige eingeschlagen, und sucht man in den Werken, die
von berufenen Fachmännern genannt werden, nach einem
gemeinsamen Zug, so glaubt man deutlich eine Abkehr von
dem das Alltagsleben abschreibenden Realismus einerseits,
vom einseitig Geistreichen, wohl auch Geistreichelnden an¬
dererseits zu verspüren. Das Lesepublikum will wieder Hand¬
lung, Geschehnisse, dramasische Steigerung der Vorgänge.
Nicht nur auf der Bühne, auch im Roman. Unser treuer
Gewährsmann Herr Ludwig Last, der in seiner großen Leih¬
bibliothek alltäglich, jede Stunde, den Puls des Lesepublikums
spürt, nennt uns zwei belletristische Werke als die gelesensten,
meistbegehrten, meist ausgeliehenen Bücher der Saison. Wir
verzeichnen diese mit einer gewiß entschuldbaren Befriedigung,
hat doch unser Blatt beide Werke zuerst seinen Lesern ge¬
boten: Paul Lindaus „Die blaue Laterne" und
Scapinellis „Phäaken". Lindau kommt in hohem
Grade dem eben angedeuteten Bedürfnis des Lesepublikums
nach Handlung, nach spannenden Vorgängen entgegen. Sieg¬
reich hat er die Leserscharen von dem etwas sumpfigen Seiten¬
pfad der aufregenden Sherlock Holmes=Literatur wieder empor¬
geführt in gepflegtere und kultiviertere Gesilde. Scapinelli
wiederum war der erste, der mit starker Hand den Wiener
Roman der Gegenwart zu schreiben versuchte, kein lokalpatrio¬
tisches Duliähgestanzel und kein Pamphlet, sondern das heutige