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3. Daennereien
jähriger liebäugelte ich selig mit den Plakaten, schichten („die Weissagung“) aufschlägt, der
die den Nibelungenring im Viktoriatheater wird alsbald willig diesem anmutig und be¬
meldeten; ich stellte mich zur Zeit der Welttournee stimmt sprechenden Munde lauschen; seine an¬
des Nibelungenringes zitternd vor den Balkon fängliche Neugierde wird sich in Verwunderung
des heimischen Stadttheaters, die Fanfaren zu verwandeln, seine Verwunderung in Erstaunen,
hören, die zu den einzelnen Akten riefen. Jeden sein Erstaunen in zwangvolle Nachdenklichkeit,
Abend, wenn ich nicht dabei sein durfte, sagte und diese Gefühle werden sich am Ende in
ich mir zu Hause: jetzt tötet er den Wurm, eine Art von heiterer Melancholie auflösen,
jetzt singt er unterm Baum, jetzt reitet sie ins welche weniger die Wirkung eines in sich
Feuer. O, wie schön war das. Und dabei selbst ruhenden, durch die Macht freischweben¬
wußte ich damals noch nicht, wie schwer so der Phantasie bewegten, oder durch die dunklen
ein Pferd für den Feuerritt zu besorgen war. und geheimnisvollen Gesetze eines vom bloßen
Das lese ich erst jetzt in den Memoiren. Neu= Stoff gehobenen und entfalteten Kunstwerks
mann wollte nämlich das alte Leibpferd König ist als vielmehr das Ergebnis einer persönlichen,
Maximilians haben, das aus Mangel an ra= gleichsam privat sich mitteilenden Kommuni¬
tioneller Beschäftigung sehr musikalisch ge= kation. Dem entspricht äußerlich, daß fast
worden war und unter Therese Vogl den Takt nirgends dargestellt, sondern lediglich erzählt
genau kannte, in dem es loszugehen hatte. wird, was den Charakter der Novelle mit er¬
Das Pferd wird für Berlin bewilligt, unter freulicher Strenge wahrt; dem entspricht inner¬
der Bedingung, daß es im Königlichen Mar= lich, daß die Gestalten eines Zubörers und
stall unterzubringen sei. Aber Grane ist ein eines Berichterstatters sich von selbst insinuieren,
großer Philosoph; er stirbt, ebe er München wodurch auf indirektem Weg alle exponierende
verläßt. Der Kronprinz erlaubt der Vogl, im Umständlichkeit vermieden, die gewählte Form
eigenen Marstall ein neues Pferd zu probieren wie mit einer glücklichen Metapher beleuchtet
keines wagt den Feuerritt, wie das alte und sozusagen dramatisch begründet wird.
bavrische Königspferd — ja, ja, es ist schwer. Denn es ist klar, je ungewöhnlicher der Inhalt
Und viele solcher netten Geschichten, die zu einer Erzählung ist, je mehr muß der Erzähler
den welthistorischen Vorgängen an den Rand darauf Bedacht nehmen, dem Vortrag Wahr¬
gezeichnet sind, wird man in diesem Buche beit zu verleihen; frühere Autoren erfanden
lesen: Leute, die schlecht sind zu Wagner, Leute, weitläufige Einkleidungen, gesellige Gespräche,
die gut sind. Es ist ein eigen Ding. Wenn um Glaubhaftigkeit zu erzeugen und die not¬
ich von ganz gewöhnlichen Rührszenen lese, wendige Stimmung vorzubereiten; der durch
von Leuten, die gut zu ihm waren, von Not den Atem unserer ganzen Eristenz zur Knapp¬
und Hoffnung, von Begeisierung, Umarinung heit aufgeforderte moderne Dichter erreicht
und Glauben — es feuchten sich meine Augen= dies durch den Ton innerer, wenn auch ver¬
winkel, wie einst vor dreißig Jahren. Gott haltener Ergriffenheit, mit der er schon seinen
ersten Satz zu färben weiß.
sei Dank.
Es gibt eine Art des Klarsehens, bei der
Oscar Bie
4
die Umrisse des Objekts mit einer solchen
¼
Schärfe und Stärke hervortreten, daß alles
was der Kontur beschließt, in Dämmerung
Schnitzlers „Dämmerseelen“
taucht oder monoton flächig wird, (wie wenn
r
bei wolkenlosem Sonnenuntergangshimme!
sgehört zu den schönsten Empfin¬
die über den Horizont sich erhebenden Gegen¬
(dungen des Lesers, sich einem Erzähler
stände nur als starklinierte schwarze Massen
mit ganzem Vertrauen überlassen zu
erscheinen). Unter solchen Bedingungen des
dürfen. Wer das neue Bändchen Schnitzler¬
scher Novellen zur Hand nimmt und, vielleicht Schauens etwa gestaltet dieser klar= und hell¬
angezogen durch jene wunderliche Sympathie, sichtige, wissende und erfahrene Poet. Von
die das Auge des Kenners oft schon dem einer lorischen Verdunkelung seines Gemüts
Druckbild gegenüber fesselt, die zweite der Ge= kann nicht die Rede sein. Niemals träumt er
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jähriger liebäugelte ich selig mit den Plakaten, schichten („die Weissagung“) aufschlägt, der
die den Nibelungenring im Viktoriatheater wird alsbald willig diesem anmutig und be¬
meldeten; ich stellte mich zur Zeit der Welttournee stimmt sprechenden Munde lauschen; seine an¬
des Nibelungenringes zitternd vor den Balkon fängliche Neugierde wird sich in Verwunderung
des heimischen Stadttheaters, die Fanfaren zu verwandeln, seine Verwunderung in Erstaunen,
hören, die zu den einzelnen Akten riefen. Jeden sein Erstaunen in zwangvolle Nachdenklichkeit,
Abend, wenn ich nicht dabei sein durfte, sagte und diese Gefühle werden sich am Ende in
ich mir zu Hause: jetzt tötet er den Wurm, eine Art von heiterer Melancholie auflösen,
jetzt singt er unterm Baum, jetzt reitet sie ins welche weniger die Wirkung eines in sich
Feuer. O, wie schön war das. Und dabei selbst ruhenden, durch die Macht freischweben¬
wußte ich damals noch nicht, wie schwer so der Phantasie bewegten, oder durch die dunklen
ein Pferd für den Feuerritt zu besorgen war. und geheimnisvollen Gesetze eines vom bloßen
Das lese ich erst jetzt in den Memoiren. Neu= Stoff gehobenen und entfalteten Kunstwerks
mann wollte nämlich das alte Leibpferd König ist als vielmehr das Ergebnis einer persönlichen,
Maximilians haben, das aus Mangel an ra= gleichsam privat sich mitteilenden Kommuni¬
tioneller Beschäftigung sehr musikalisch ge= kation. Dem entspricht äußerlich, daß fast
worden war und unter Therese Vogl den Takt nirgends dargestellt, sondern lediglich erzählt
genau kannte, in dem es loszugehen hatte. wird, was den Charakter der Novelle mit er¬
Das Pferd wird für Berlin bewilligt, unter freulicher Strenge wahrt; dem entspricht inner¬
der Bedingung, daß es im Königlichen Mar= lich, daß die Gestalten eines Zubörers und
stall unterzubringen sei. Aber Grane ist ein eines Berichterstatters sich von selbst insinuieren,
großer Philosoph; er stirbt, ebe er München wodurch auf indirektem Weg alle exponierende
verläßt. Der Kronprinz erlaubt der Vogl, im Umständlichkeit vermieden, die gewählte Form
eigenen Marstall ein neues Pferd zu probieren wie mit einer glücklichen Metapher beleuchtet
keines wagt den Feuerritt, wie das alte und sozusagen dramatisch begründet wird.
bavrische Königspferd — ja, ja, es ist schwer. Denn es ist klar, je ungewöhnlicher der Inhalt
Und viele solcher netten Geschichten, die zu einer Erzählung ist, je mehr muß der Erzähler
den welthistorischen Vorgängen an den Rand darauf Bedacht nehmen, dem Vortrag Wahr¬
gezeichnet sind, wird man in diesem Buche beit zu verleihen; frühere Autoren erfanden
lesen: Leute, die schlecht sind zu Wagner, Leute, weitläufige Einkleidungen, gesellige Gespräche,
die gut sind. Es ist ein eigen Ding. Wenn um Glaubhaftigkeit zu erzeugen und die not¬
ich von ganz gewöhnlichen Rührszenen lese, wendige Stimmung vorzubereiten; der durch
von Leuten, die gut zu ihm waren, von Not den Atem unserer ganzen Eristenz zur Knapp¬
und Hoffnung, von Begeisierung, Umarinung heit aufgeforderte moderne Dichter erreicht
und Glauben — es feuchten sich meine Augen= dies durch den Ton innerer, wenn auch ver¬
winkel, wie einst vor dreißig Jahren. Gott haltener Ergriffenheit, mit der er schon seinen
ersten Satz zu färben weiß.
sei Dank.
Es gibt eine Art des Klarsehens, bei der
Oscar Bie
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die Umrisse des Objekts mit einer solchen
¼
Schärfe und Stärke hervortreten, daß alles
was der Kontur beschließt, in Dämmerung
Schnitzlers „Dämmerseelen“
taucht oder monoton flächig wird, (wie wenn
r
bei wolkenlosem Sonnenuntergangshimme!
sgehört zu den schönsten Empfin¬
die über den Horizont sich erhebenden Gegen¬
(dungen des Lesers, sich einem Erzähler
stände nur als starklinierte schwarze Massen
mit ganzem Vertrauen überlassen zu
erscheinen). Unter solchen Bedingungen des
dürfen. Wer das neue Bändchen Schnitzler¬
scher Novellen zur Hand nimmt und, vielleicht Schauens etwa gestaltet dieser klar= und hell¬
angezogen durch jene wunderliche Sympathie, sichtige, wissende und erfahrene Poet. Von
die das Auge des Kenners oft schon dem einer lorischen Verdunkelung seines Gemüts
Druckbild gegenüber fesselt, die zweite der Ge= kann nicht die Rede sein. Niemals träumt er
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