6. Erzachlende Schriften 13#d. box 35/9
Klose & Seidel
= Bureau für Zeitungsausschnitte. =
Berlin NO 43, Georgenkirchplatz 211.
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Zeitung: Leipz. Neueste Nachrichten
Ort:
Leipzig
Datum: SRR RT meE
2. Juni 191
Schnitzlers Prola.
jur Schnitzler=Wrzählende Schriften“, Gesammelte Werke,
Arth
.Fischer, Bexlin.
—Bald 1—3
Arthur Schnitzlers Prosa stellt eine ungleich geschlossenere künst¬
lerische Einheit iht, als der bunt überkuppelte, von mannigfacher Zeit,
mannigsachen Problemen und Menschenbildnissen schimmernde Bau
seiner Dramen.“ Im Gesamtwerk seiner „Erzählenden Schriften“ —
die jetzt, um den Fünfziger Schnitzler zu ehren, bei S. Fischer, Berlin,
erschienen sind — ist Band an Band alles aufgereiht, woran sich der
Gefeierte, fern der Bühne, die ihm die stärksten Erfolge schenkte, mit
seinem Können seit mehr als zwei Jahrzehnten versuchte: die leichte,
spielend hingeworfene, zum Schluß scharf pointierte Novellette, deren
Art und Meisterschaft an Manpassaut erinnert, die psychologische
Studie, deren unerbittliche Beobachtung an die besten Russen denken
läßt, und der breite, vielverschlungene Roman endlich, der ohne jede
literarische Erinnerung Schnitzler den Weg zur vollen dichterischen
Freiheit, zur edelsten künstlerischen Ueberlegenheit wies. Sie alle wer¬
den, stärker als die Dramen, zur Einheit durch einen Schatten, durch
eine Helligkeit: Wien ist in, Wien ist über dieser Prosa, — seine Sonne¬
und seine Melancholie.
Im Drama überflog er mitunter die Landgrenze. Beatricens
Bologneser Renaissaneebüidnis lockte ihn, im „Grünen Kakadu“ hat erl
en Damen und Herren der Revolu=
die Männer, die Frauen, die ##
tion, die im ersten grellen Flummenschein die Guillotine erspähen!
mochten, in kühner Groteske gezeichnet, dem abenteuerlichen Doktor
Paracelsus folgte er in das Mittelalter deutscher Städte. Seine Prosa
bleibt in Wien. Die Menschen und das Kolorit. Sie bewegen sich
alle zwischen Stephansturm und Kahlenbera. Ob sich ein stiller, nach¬
denklicher Baron durch allerlei inneres Erlebnis, mitten durch eigenel
und fremde Probleme, ja durch miterschaute Rassenkämpfe und somit
durch ein ganzes Panorama des neuen, modernen Wien zu persönlicher
Lebenssicherheit, zu persönlicher Erfahrungsweisheit und Abklärung
durchringt, oder ob er in irgendeiner Skizze von einer kleinen, schein¬
bar belanglosen Episode, von einem Intermezzo erzählt, worin offenbars
ein plumper Zufall, ein Ungefähr der äußeren Handlung ein Ende setzt.
Ueberall steht er am Wegrand, still, nachdenklich und lauscht ... Stu—
diert die Lebenspassanten... Manchmal erzählt er dann von einem
breiten, hundertsältig bewegten Gemälde, worauf sich Hauptpersonen!
und Statisten vor dem klaren Ende des einen — das Leben derd
andern geht immer weiter: stets schildert Schnitzler eigentlich nur, wie
das Leben immer wieder weiter geht — fast zu verwirren drohen:
Manchmal von einem stillen Spinnen und
„Der Weg ins Freie“..
Weben von Lebensstimmungen, brennenden Wünschen und dann un¬
Und oft ist's
gesprochenem Verzichten: „Frau Berta Garlan“
auch nur das Leuchten in die krause Seele just eines einzelnen, der ihn
interessiert, wie er so harmlos vor sich her mitten durchs Leben mar¬
Zählt man alle seine Helden einzeln
schiert: „Leutnant Gustl“
*
auf, — sie alle sind, sie alle bleiben wienerische Menschen. Die einen
mit dem leisen, genießerischen Lächeln, die andern mit der zynischen!
die
Schärfe, alle mit bestimmter Weichheit, bestim r Lässigkeit,
meisten ein wenig schwach, irgendwie im Zus#enhang mit der
Stadtkultur, in deren Atem sie großwüchsen, jan alle voll Liebens¬
In den Dra¬
würdigkeit und ein wenig müde, ein wenig blasiert.
*
men trägt mauch' Antlit, das unter fremdem, italienischem, franzö¬
sischem Himmel lächelt oder weint, einen übertragenen Zug, einen ver¬
mohten Hauch von der Donau. Die Gesichter in Schnitzlers Prosa
zeigen nur wienerische Züge. Sie alle machen, daß die Seele Wiens
in dieser Prosa gefangen und geborgen ist.
Die Stadt schimmert aus ihr: mit dämmerigen Stimmungen, mit
den umflorten Straßen, mit den lachenden Auen, die ihre nahen Höhen
kränzen, mit der heimlichen Schwermut, die aus den besten, edelsten
Walzern der Strauß und Lanner klingt. Die Stadt und ihre Menschen
werden zu einer unlösbaren Gesamtheit. Sie haben das gleiche Sich¬
gehenlassen, die gleiche Passivität voll Anmut. Das harmlose und das
ironische Spiel der Menschen mit dem Leben kann nur in dieser Stadt
gespielt werden. Schattierungen sind da, vom Vorstadtmädel, das er
(6
—
Klose & Seidel
= Bureau für Zeitungsausschnitte. =
Berlin NO 43, Georgenkirchplatz 211.
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Zeitung: Leipz. Neueste Nachrichten
Ort:
Leipzig
Datum: SRR RT meE
2. Juni 191
Schnitzlers Prola.
jur Schnitzler=Wrzählende Schriften“, Gesammelte Werke,
Arth
.Fischer, Bexlin.
—Bald 1—3
Arthur Schnitzlers Prosa stellt eine ungleich geschlossenere künst¬
lerische Einheit iht, als der bunt überkuppelte, von mannigfacher Zeit,
mannigsachen Problemen und Menschenbildnissen schimmernde Bau
seiner Dramen.“ Im Gesamtwerk seiner „Erzählenden Schriften“ —
die jetzt, um den Fünfziger Schnitzler zu ehren, bei S. Fischer, Berlin,
erschienen sind — ist Band an Band alles aufgereiht, woran sich der
Gefeierte, fern der Bühne, die ihm die stärksten Erfolge schenkte, mit
seinem Können seit mehr als zwei Jahrzehnten versuchte: die leichte,
spielend hingeworfene, zum Schluß scharf pointierte Novellette, deren
Art und Meisterschaft an Manpassaut erinnert, die psychologische
Studie, deren unerbittliche Beobachtung an die besten Russen denken
läßt, und der breite, vielverschlungene Roman endlich, der ohne jede
literarische Erinnerung Schnitzler den Weg zur vollen dichterischen
Freiheit, zur edelsten künstlerischen Ueberlegenheit wies. Sie alle wer¬
den, stärker als die Dramen, zur Einheit durch einen Schatten, durch
eine Helligkeit: Wien ist in, Wien ist über dieser Prosa, — seine Sonne¬
und seine Melancholie.
Im Drama überflog er mitunter die Landgrenze. Beatricens
Bologneser Renaissaneebüidnis lockte ihn, im „Grünen Kakadu“ hat erl
en Damen und Herren der Revolu=
die Männer, die Frauen, die ##
tion, die im ersten grellen Flummenschein die Guillotine erspähen!
mochten, in kühner Groteske gezeichnet, dem abenteuerlichen Doktor
Paracelsus folgte er in das Mittelalter deutscher Städte. Seine Prosa
bleibt in Wien. Die Menschen und das Kolorit. Sie bewegen sich
alle zwischen Stephansturm und Kahlenbera. Ob sich ein stiller, nach¬
denklicher Baron durch allerlei inneres Erlebnis, mitten durch eigenel
und fremde Probleme, ja durch miterschaute Rassenkämpfe und somit
durch ein ganzes Panorama des neuen, modernen Wien zu persönlicher
Lebenssicherheit, zu persönlicher Erfahrungsweisheit und Abklärung
durchringt, oder ob er in irgendeiner Skizze von einer kleinen, schein¬
bar belanglosen Episode, von einem Intermezzo erzählt, worin offenbars
ein plumper Zufall, ein Ungefähr der äußeren Handlung ein Ende setzt.
Ueberall steht er am Wegrand, still, nachdenklich und lauscht ... Stu—
diert die Lebenspassanten... Manchmal erzählt er dann von einem
breiten, hundertsältig bewegten Gemälde, worauf sich Hauptpersonen!
und Statisten vor dem klaren Ende des einen — das Leben derd
andern geht immer weiter: stets schildert Schnitzler eigentlich nur, wie
das Leben immer wieder weiter geht — fast zu verwirren drohen:
Manchmal von einem stillen Spinnen und
„Der Weg ins Freie“..
Weben von Lebensstimmungen, brennenden Wünschen und dann un¬
Und oft ist's
gesprochenem Verzichten: „Frau Berta Garlan“
auch nur das Leuchten in die krause Seele just eines einzelnen, der ihn
interessiert, wie er so harmlos vor sich her mitten durchs Leben mar¬
Zählt man alle seine Helden einzeln
schiert: „Leutnant Gustl“
*
auf, — sie alle sind, sie alle bleiben wienerische Menschen. Die einen
mit dem leisen, genießerischen Lächeln, die andern mit der zynischen!
die
Schärfe, alle mit bestimmter Weichheit, bestim r Lässigkeit,
meisten ein wenig schwach, irgendwie im Zus#enhang mit der
Stadtkultur, in deren Atem sie großwüchsen, jan alle voll Liebens¬
In den Dra¬
würdigkeit und ein wenig müde, ein wenig blasiert.
*
men trägt mauch' Antlit, das unter fremdem, italienischem, franzö¬
sischem Himmel lächelt oder weint, einen übertragenen Zug, einen ver¬
mohten Hauch von der Donau. Die Gesichter in Schnitzlers Prosa
zeigen nur wienerische Züge. Sie alle machen, daß die Seele Wiens
in dieser Prosa gefangen und geborgen ist.
Die Stadt schimmert aus ihr: mit dämmerigen Stimmungen, mit
den umflorten Straßen, mit den lachenden Auen, die ihre nahen Höhen
kränzen, mit der heimlichen Schwermut, die aus den besten, edelsten
Walzern der Strauß und Lanner klingt. Die Stadt und ihre Menschen
werden zu einer unlösbaren Gesamtheit. Sie haben das gleiche Sich¬
gehenlassen, die gleiche Passivität voll Anmut. Das harmlose und das
ironische Spiel der Menschen mit dem Leben kann nur in dieser Stadt
gespielt werden. Schattierungen sind da, vom Vorstadtmädel, das er
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