V, Textsammlungen 6, Erzählende Schriften, Seite 3

rner
rnen, zn versontucher Enfahrungsweisheit und Ablicrung
durchringt, oder ob er in irgendeiner Stigze von einer kleinen, schein=—
bar belanglosen Cpisode, von einem Intermezzo erzählt, worin offenbar
ein plumper Zufall, ein Ungefähr der äußeren Handlung ein Ende setzt.
Ueberall steht er am Wegrand, still, nachdenklich und lauscht ... Stu¬
diert die Lebenspassanten ...
Manchmal erzählt er dann von einem
breiten, hundertfältig bewegten Gemälde, worauf sich Hauptpersonen
und Statisten vor dem klaren Ende des einen — das Leben der(
andern geht immer weiter: stets schildert Schnitzler eigentlich nur, wie
das Leben immer wieder weiter geht —
fast zu verwirren drohen:
„Der Weg ins Freie“
Manchmal von einem stillen Spinnen und
Weben von Lebensstimmungen, brennenden Wünschen und dann un¬
gesprochenem Verzichten: „Frau Perta Garlan“
Und oft ist's
auch nur das Leuchten in die krause Seele just eines einzelnen, der ihn
interessiert, wie er so harmlos vor sich her mitten durchs Leben mar¬
schiert: „Leutnant Gustl“
Zählt man alle seine Helden einzeln
auf, — sie alle sind, sie alle bleiben wienerische Menschen. Die einen
mit dem leisen, genießerischen Lächeln, die andern mit der zynischen
Schärfe, alle mit bestimmter Weichheit, bestimmter Lässigkeit,
die
meisten ein wenig schwach, irgendwie im Zusammenhang mit der
Stadtkultur, in deren Atem sie großwüchsen, fast alle voll Liebens¬
würdigkeit und ein wenig müde, ein wenig blasiert ... In den Dra¬
men trägt manch' Antlitz, das unter fremdem, italienischem, franzö¬
sischem Himmel lächelt oder weint, einen übertragenen Zug, einen ver¬
mehten Hauch von der Donau. Die Gesichter in Schnitzlers Prosa
zeigen nur wienerische Züge. Sie alle machen, daß die Seele Wiens
in dieser Prosa gefangen und geborgen ist.
Die Stadt schimmert aus ihr: mit dämmerigen Stimmungen, mit
den umflorten Straßen, mit den lachenden Auen, die ihre nahen Höhen
kränzen, mit der heimlichen Schwermut, die aus den besten, edelsten
Walzern der Strauß und Lanner klingt. Die Stadt und ihre Menschen
werden zu einer unlösbaren Gesamtheit. Sie haben das gleiche Sich¬
gehenlassen, die gleiche Passivität voll Anmut. Das harmlose und das
ironische Spiel der Menschen mit dem Leben kann nur in dieser Stadt
gespielt werden. Schattierungen sind da, vom Vorstadtmädel, das er
entdeckte, bis zur Dame der großen Gesellschaft, vom Grandseigneur bis
zum Kaffeehauslumpen, der aus dem Heiligsten sich einen gemütlichen,
herzlosen Spaß macht. Dennoch sind alle aufs engste verwandt, durch
Zunge, Haltung, Atmosphäre: Wiener ..
Schnitzlers Kraft kommt hinzu, um sie über das Lokale weit empor¬
zuheben. Es ist mir ein bestimmtes, national angesärbtes Gewand,
in dem seine Menschen einherschreiten. Ihren Inhalt trägt der Dichter
kühn ins Menschliche hinauf, das alle bindet, alle angeht. Er hat zwei
Melodien, die nordwärts und sübwärts von Wien nicht anders klingen,
als an der Donau, zwei Melodien, die überall locken und betören, wenn
nur ein Künstler sie anschlägt: die Lieder von der Liebe und vom
Tode
Und zwischen beiden tobt das Leben seine Abenteuer aus...
Die kleinste Schnitzlerische Skizze ist nicht um der Handlung willen ge¬
schrieben, nicht um die „Techuik“ i li
im seinsten Sinn des Wortes ist. Immer strömt die Melodie plötzlich
überreich aus dem Innern. Man erinnere sich der novellistischen Klei¬
nigkeit, da eine Dame mit ihrem Liebhaber durch das nächtliche Gelände
an der Donau hinfährt, da ihr Wagen stürzt, der Geliebte jählings
stirbt und offenbar ein Zufall eine gleichgültige Episode, einen novel¬
listischen Einfall, mit dem jeder andere vielleicht sich begnügen würde,
Preßt der
grotesk abschließt. Aber Schnitzler setzt jetzt erst ein ...
geängsteten Frau, die den toten Freund im Straßengraben im Stich
läßt, weil selbst die Leiche noch sie vor dem Gatten, vor der Welt
Oder man denke an
vrraten könnte, die geheimste Seele aus.
jene andere Skizze, da die Frau des anderen dem Geliebten stirbt,
der vor ihrem Sarge ohne ein Wort des Schmerzes stehen, von ihrem
Sarge, weil er sich nicht zu ihr bekennen darf, wortlos fliehen muß,
und nur die Verachtung aus dem Totenzimmer mitnimmt, die von den
Das
erstarrten Lippen über seine Feigheit zu lächeln scheint ...
äußere Geschehnis, wie das Kolorit, die Handlung und die wieneri¬
schen Kulissen, sind. Technik bei Schnitzler. In sie erst gießt er seinen
ganzen Dichterreichtum, der über die Stadt hinaus international wird:
die Melodien von der Liebe, vom Tod, die bunten, verwirrenden
Lieder des Lebens
Der Gesamtausgabe der „Erzählenden Schriften“ Schnitzlers sind
ein paar jüngere novellistische Arbeiten beigefügt. Sie bilden einen
besonderen Band und heißen als solcher: „Masken und Wunder“. Im
ganzei. Werk nehmen sie etwa die Stelle ein, die unter Schnitzlers
Dramen den „Marionetten“ zukommt. Sie lösen sich von Stadt und
vienerischen Menschen los — auch in der Novelle „Der Mörder“
scheint das Wiener Kolorit unwesentlich — und wollen als Abstrakta
gelten: als Symbole... Es ist alles in diesen Geschichten, was zum
Wesen von Schnitzlers Dichterschaft gehört: die ironische Ueberlegen¬
heit über das Leben, das sich so mutwillig und gern — „Der Tod
des Junggesellen“, der seinen Freunden als Testament das Bekenntuis
hinterläßt, daß er all' ihrer Frauen Freund war — allerlei Scherze
lustiger und gransamer Art erlaubt, sein Wissen von den Vernichter¬
kräften der Liebe und Leidenschaft, sein Wissen von unserem Tappen;
„Die dreifache Warnung“ — durch die sonnbeglänzte und doch so
Ihr verführerisches Lied, ihre heiße Lockung ins
dunkle Welt ...
Unbekannte klingt aus den Schalmeien jener „Hirtenflöte“, denen das
junge Weib eines alternden Astronomen auf sein eigenes Geheiß nach¬
geht. hinaus ins Fremde, in schmerzliche Abenteuer und unerhörte
Schicksale, um ihr Selbst zu prüfen, um das Leben, bevor sie zum
Gatten heimkehrt, in allen Tiefen zu erkennen, — das vielgestaltige,
rastlose, unergründete Leben, das sie doch nie ausschöpft, weder
draußen in den Stürmen, noch in der feierlichen Ruhe im einsamen
Turm des Sterndeuters ... Das Maskenhafte an den Visionen in
Schnitzlers neuem Buch ist nur Schein, nur absichtlich gewählte Form.
Das Spiel des Lebens steht wiederum hinter den „Masken und Wun¬
Nur sind sie zeitlos ge¬
dern“: das Leben, die Liebe, der Tod ..
macht, zeitlos gezeigt, wie sie zeitlos sind. Es ist der Wille von Schnitz¬
lers ganzem Schaffen in ihnen: vom Weitmenschlichen, nur vom
Menschlichen das zu geben, was er unter Opfern und Siegern, unter
Lächelnden, unter Trauernden als das irdische Geheimnis, als das
irdische Erbteil aller — selbst mit einem leisen, schmerzlichen, gütigen
und verstehenden Lächeln — oft und oft belauschte
Karl Fr. Nowak, Berlin.
Und so hob i en no.
terricht.
Kinder¬
——
k, deren
iterricht
uch an¬
in der
Vom Büchertisch.
vereins,
Arthur Schnitzler, Gesammelte Werke. Erste Ab¬
ussichts=teilung: Die erzählenden Schriften. In
in Mut= drei Bänden gebunden Fr. 13.35. Inhalt: 1. Band.
es über Sterben. — Blumen. — Ein Abschied. — Die Frau
Wenn
des Weisen. — Der Ehrentag. — Die Toten schwei¬
welchemgen. — Andreas Thameyers letzter Brief. — Der
in den blinde Geromino und sein Bruder. — Leutnant
Erden= Gustl. — Die griechische Tänzerin. — 2. Band¬
us die
Frau Berta Garlan. — Das Schicksal des Freiherrn
ch auch
von Leisenbohg. — Die Fremde. — Die Weis¬
sagung. — Das neue Lied. — Der Tod des Jung¬
Gegner gesellen. — Der tote Gabriel. — Das Tagebuch der
Redegonda. — Der Mörder. — Die dreifache War¬
Ansicht
nung. — Die Hirtenflöte. 3. Band: Der Weg ins
lche die
Freie.
räftigen
Ein moderner Mensch muß zu Artur Schnitz¬
ler ein Verhältnis finden. Er kann ihn schließlich
n darin
hlechtesablehnen — als Juden; aber er wird sich doch mit
ie zeit= ihm auseinandersetzen müssen. Der Vorurteils¬
de und lfreiere jedoch wird sich sagen: Schnitzler hat sich,
n ersten vielleicht gerade wegen der sonderbar feinen An¬
empfindsamkeit seines Stammes, in alle Nuancen
behren;
unserer Kultur hineingefunden. Mehr: er hat sie
so sieht
falschen sämtlich in seinem tiefsten Innern durchgefühlt,
und er stellt uns nun dar, im Kunstwerk dar, wie er
läßt menschlich und seelisch an alledem sich gefreut und
gelitten hat. Er ist außerdem Wiener, ist außer¬
nur an¬
dem Arzt. Das alles wirkt zusammen, um diesem
unter
Verhält= Kunstwerk ein ganz besonderes Etwas zu ver¬
bei den leihen, etwas Weiches zunächst, dann etwas fast
eren, bei brutal Wahres, etwas Ruhiges und doch Nervöses,
ürlichen kurz ein Modernes, dem aber doch nie der Abklang
Kultur des ewig Gleichen in Welt und Menschenleben
fehlt. — So stehen seine Werke da, zunächst sein¬
ende so¬
Novellen: als Bilder des Lebens, Wiener Lebens
sich ent¬
in rhythmisch bewegtem edlem Stil, dessen Har¬
siche ge¬
monie wie durch eine Sordine gedrungen ist: aber
igsmor¬
diese Töne lassen Soiten in uns selbst mitschwin¬
fringere,
gen und eigenes Sein und Erleben erhält Farbe
größe¬
davon; Schnitzler nimmt uns die Seele mit. Er
für von
reißt nicht hin, wenigstens nur selten. Dennoch
iche, in
vielleicht eben darum, wird man ihn mehr lieben
m kann
als bewundern; man muß, wie gesagt, ein persön¬
end ein
liches Verhältnis zu ihm finden. Selbstverständlich
lergehen
gilt das nur für freiere, in Vorurteilen nicht be¬
Solche
fangene Geister. Diesen wird der dritte Band, der
äftiges
den Roman „Der Weg ins Freie“ enthält, beson¬
ders lieb werden: das jüdische Wiener=Milieu ist
gibt es
darin trefflich gesehen. Wahrheit und Stimmung,
Reichen
Reflexion und Leidenschaft verschmelzen in diesem
zu brin= Werke zu einem großen Bilde, das uns Schnitzler
ihl nicht
den Künstler wie den Menschen, den klaren Dan
schlech¬
steller wie den weichen Empfinder zum guten Ka¬
zu ver¬
meraden macht.
stürliche
*
n der
Ille mihi. Roman von Elisabeth von
Heyking. Verlag der Gebrüder Paetel, Berlin.
Zwei Bände 12 Fr. 50.
R. A. Die einst schnell bekannt gewordene Ver¬
fasserin der „Briefe, die ihn nicht erreichten“, hat
hier einen gut, fein und hübsch erzählten Roman
geschrieben, der wieder an exquisiter Kenntnis der