V, Textsammlungen 6, Erzählende Schriften, Seite 4

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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt
estermanns Monatshefte, Braunschweig
vom:

Cetarifa
Schnitzlers fünfzigsten Geburtstag
ALILITS
haben wir in der Drämlälischen Rundschau ge¬
feiert und damit zu erkennen gegeben, daß er
uns hauptsächlich als Dramatiker interessant und
wertvoll ist. Er selbst wird diesen Rangunter¬
schied zwischen seinen Werken schwerlich gelten
lassen oder doch die vom äußeren Geschick be¬
glückteren Kinder nicht im Schatten stehen lassen
wollen — hätte er sonst die erzählenden Schrif¬
ten an die Spitze der jetzt bei S. Fischer in
Berlin erscheinenden Gesamtausgabe gestellt? Es
sind drei Bände, und sie enthalten sämtliche epi¬
sche Werke Schnitzlers, von der ersten Erzählung
„Sterben“ die 1895 erschien, bis zur Ernte des
letzten Jahres; von der kurzen Novelle, die sich
fast anekdotisch schürzt, bis zum breit ausgeführ¬
ten Gemälde des großen Zeitromans. Überschaut
man dieses Werk, so gewahrt man drei Dinge:
die Einheit in der Persönlichkeit, die Vervielfäl¬
tigung in den Ideen und Erfindungen, die Ent¬
wicklung im Stil. Schnitzler hat viel beobachtet
und noch mehr nacherlebt; sein Stil ist mittler¬
weile zu einer satten und ruhigen Reife gediehen,
aber erst die Persönlichkeit unterscheidet diese Blü¬
#ten und Früchte entscheidend von denen andrer
Bäume. Der Grundklang fast aller Erzählungen
Schnitzlers ist die Liebe; er ist ein Frauenlob,
der viel Böses von den Frauen weiß, aber es
so zu sagen weiß, daß es sich in seinem Munde
zu einem Reichtum der Menschlichkeit verwandelt.
Soziale Themen klangen nur gelegentlich in seinen
Erzählungen an, bis sich dann im „Weg ins
Freie“ Liebesgeschichten zu einem großen Gesell¬
schaftsgemälde des heutigen Wiens erweiterien.?
So gibt die Ausgabe das reiche Werk eines Dich¬
ters in dem Augenblick, wo seine Kraft auf der Höhef
steht, ohne müde zu sein. Die drei Bände sind
mit seinem und diskretem Geschmack ausgestatzet.