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Gesangelte Nerke
W
1
wach, die wir mit seinen Büchern verbrachten. Menschen, den angriffsmutigen Protestlaut.
Titeratur.
die er geformt, schreiten leise durch unser Denken wie mehr deutlich, daß just in der (
Oeb K
liebe, alte Bekannte, die uns nur zeitweilig entschwanden, Bertha Garlan“ entstand, in Sch
ein feiner Duft von Parfüm, Vorstadtgärten und Ziga¬
Die Prosaschriften Arthur Schuitzlers.—
sozialer Kritik, an höhnischem?
retten steigt auf, den dann plötzlich ein kalter Moderhauch
knöcherte Unfreiheit und vererbte
Von Ernft Göth.
durchweht, seltsame Rätsel umschweben die Wirklichkeit
war als jemals später. Sein dra
Kürzlich ist Arthur Schnitzler in das sechste Jahr¬
unseres Lebens und Liebens
lind und verfüh¬
zu jener Zeit das „Vermächtnis
zehnt seines Lebens getreten, und nun erscheint in sieben
rerisch umfängt uns die Welt Arthur Schnitzlers.
vor. Und in den Prosaschrifter
starken Bänden eine Auswahl seiner Werke. Sie ent¬
Reizvoll und aufschlußreich ist es nun, in den An¬
Zeugen jener Stimmung eine
halten zeitlich geordnet alles Wesentliche seines Schaffens
fängen seiner Prosa den Bestandteilen und Motiven dieser
lang das Tagesgespräch bildete 1
von den ersten Anfängen, da er der Welt als ein an¬
Welt nachzugehen, die immer, auch späterhin in den
künstlerischer Ueberschätzung nich
mutig mondainer Vermittler kultivierter und wienerischer
dramatischen Werken die gleichen bleiben, wie sehr sie sich
Gustl“. Eine unendlich witzige u
Empfindsamkeiten galt, bis zu den letzten Arbeiten, die
dann auch vertiefen und vervielfältigen mögen. Schon in
echtheit strotzende Satire auf
man bereits bewußt und dankbar als die dichterischen
den ersten Erzählungen und Novellen, die ihm rasch die
dann auch auf die unwürdige
Gaben eines Großen und Allverehrten entgegennahm.
Etikette des Wiener Maupassant aufzwangen, erklingt das
Ehrbegriffes; daneben auch al
Gewiß entspringt diese Ausgabe den Wünschen vieler.
große Leitmotiv vom Glanz, von der Schönheit und der
heit gewisser Leutnantshirne. U
Dennoch will es uns scheinen, als käme dies rückwärts¬
Flüchtigkeit des Daseins, das unablässig von den finsteren
in Oesterreich, in der „Kaisersta
blickende Sammeln und Sichten just bei diesem Dichter
Mächten des Vergehens umlauert wird und dessen herr¬
selbst Offiziersrang hatte. Man
noch zu früh, der, mag er gleich fünfzig Jahre alt sein,
lichste Blüten hart am Rande des ewigen Nichts erblühen.
Entrüstungsstürme es damals
wohl ein Reifer, doch kein Vollendeter und Abgeschlossener
Dieser Zweiklang von Lebensjubel und Todesschauer tönt
tisch Gesinnten gar nicht erwarte
ist, und der uns auch mit seinen letzten Werken immer
schon in seinen ersten Novellen, die stofflich noch in der
ein hochnotpeinliches Verfahren
noch die freudige Gewißheit gab, daß seine letzten Ent¬
bürgerlichen Enge des Alltags wurzeln und in denen er
Erwartungen wurden freilich en
scheidungen in der Zukunft lägen. Die steil aufstrebende
am liebsten die Probleme illegitimer Erotik behandelt, die
brachte sich das militärärztlich
Linie, die den Weg von den witzigen Nachdenklichkeiten
Freuden, die Schmerzen, die Verlogenheiten und die laut¬
Ehre, Schnitzler in seinen Reihe
des „Anatols“ bis zu den reinen Höhen des „Einsamen
losen Tragödien geheimer, weil verbotener Liebesbeziehun¬
ist es lustig, zu denken, daß es
Weges“ kennzeichnet, zeigt noch nicht die leiseste Neigung
gen. Heute erkennen wir, daß er es war, der all diese
gibt, für die Schnitzler bis zum
nach abwärts. Sicherlich werden sich den Bänden der
früher
sentimental verfärbten, frivol belachten
jenige“ ist, der den „Leutnant G
heutigen Auswahl andere, vielleicht noch kostbarere zu¬
oder auch
ängstlich gemiedenen Dinge zum ersten
Manchen mag dieser „Leu
gesellen.
Male ernst, mitfühlend, mit der milden und behutsamen
ungewohnt heftigen Spott als ein
Drei dieser Bände, die Prosaschriften, liegen heute vor
Sachlichkeit des Arztes aufdeckte und auf Wunden hinwies,
risch nicht völlig organischer
uns. Die dramatischen Arbeiten folgen im Laufe des
die noch immer bluten mußten, weil sie nicht gesehen
Sieht man jedoch näher hin, so
Herbstes. Nötig oder begründet war diese Zweiteilung
werden durften. Von den hundert Franzosen, die dem
dieses Leutnantsschicksal ein typis
gewiß nicht. Denn alles, was Schnitzler schrieb, entsprang,
einzigen Motiv des Ehebruches ungezählte Bühnenerfolge
darstellt. Ein Schicksal, das in a
gleichviel welch äußere Form es annahm, doch stets den
verdanken, hat nicht einer an die tragischen Seelenbezirke
greift und so Zusammenhänge e
gleichen Quellen des Schauens und Fühlens, und wie es
gerührt, die Schnitzler in der „Frau des Weisen“, im
irgendwie die unsichtbaren Fäh
stets sein dichterisches Bestreben war, niemals Ausschnitte,
„Abschied“ beschreitet. Die dichterische Ruhe, mit der er
denen wir alle aneinander gebun
sondern immer Zusammenhänge des Lebens zu geben, so
dies tat, die anmutige Gewähltheit seiner Formen, in der
großer Puppenspieler in Händen
schlingt sich auch in der Welt, die er erschuf, ein Band
sich alle Problematik sogleich zum Kunstwerk auflöste, ver¬
Stück spielt, dessen Sinn, Inhalt
tiefinnerer Verbundenheit um alle seine Gestalten, und
hüllte lange den aufrührerischen Geist, der in ihm lebte,
kennen. Immer hat Schnitzler M
Frau Bertha Garlan ist ebenso eine nahe Verwandte der
maskierte die mutige Kampfstimmung gegen die grausame
unbegreifliches Durcheinand rät
Christine aus der „Liebelei“, wie Anatol ein etwas leicht¬
Herzlosigkeit unserer Ehe=, Liebes= und Gesellschaftsmoral
betrachtet immer ließ er das un
sinnigerer Wiener Vetter des Renaissancemalers Filippo
ebenso wie den bitteren Zorn, den ihm die geistige und
Mächte als breiten Schlagschatten
Loschi aus dem „Schleier der Beatrice“ ist.
leibliche Hörigkeit wertvoller Frauen einflößte. Ein wenig
Erzählens fallen. Allmählich wu
Blättert man nun in diesen drei Bänden Schnitzler¬
merkbarer wurde diese Bitterkeit erst in der meisterlichsten
Mystisches, Wunderbares, Uner
scher Prosa, so ist man wohl überrascht darüber, wie völlig frisch
seiner größeren Novellen, in „Frau Bertha Garlan“, einem
schilderte Geschehen hineinspielen
und unverblichen ihr Inhalt, ihre Gestalten, ihre leichten, doch
Buche, das keine Frau ohne leises Grauen vor diesem
In zwei Novellenbänden weisen
dabei oft grüblerisch tiessinnigen Worte noch im Gedächtnis
unheimlich hellseherischen Erkennen letzter, verborgenster
seelen“, „Masken und Wunder“
haften. Und nun erst tritt es uns so recht ins Bewußt¬
Weiblichkeiten lesen kann. Niemals bisher fand die Liebes¬
stimmung hin, in der oft köstlich
sein, wie lange wir schon mit diesem Dichter verbunden
not reiner Frauen unserer Tage stärkeren dichterischen Aus¬
Ahnungen aufsprossen und die
sind, wie sehr er zu uns und unserem geistigen Weltbild
druck, niemals auch wurde die niedrige, verantwortungslose
sich der Dichter allzusehr in ihr
gehört, wie vertraut uns seine edle Menschlichkeit, seine
Genußsucht, die der Mann gern „Liebe“ nennt, so hart
hervorrufen mußten. Doch auch
melancholische Ironie, seine unpathetische Ueberlegenheit,
und eindringlich jener edlen Beglückungssehnsucht gegen¬
zwingende Reiz der Sprache, in
sein weltkundige Weisheit, wie wertvoll uns der weiche,
übergestellt, die das gleiche Wort der Frau bedeutet. Frei¬
schrieben waren. Hier war nun S
mondamne Zauber seines Wesens ist. Erinnerungen an
lich dämpft auch hier der gepflegte Ton der Darstellung,
Er, der bisher jedem Pathos, jede
viele dev besten Stunden unserer letzten Jahre werden die weltmännische Distanz, die überall eingehalten wird,licher Behutsamkeit ausgewichen w
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Gesangelte Nerke
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wach, die wir mit seinen Büchern verbrachten. Menschen, den angriffsmutigen Protestlaut.
Titeratur.
die er geformt, schreiten leise durch unser Denken wie mehr deutlich, daß just in der (
Oeb K
liebe, alte Bekannte, die uns nur zeitweilig entschwanden, Bertha Garlan“ entstand, in Sch
ein feiner Duft von Parfüm, Vorstadtgärten und Ziga¬
Die Prosaschriften Arthur Schuitzlers.—
sozialer Kritik, an höhnischem?
retten steigt auf, den dann plötzlich ein kalter Moderhauch
knöcherte Unfreiheit und vererbte
Von Ernft Göth.
durchweht, seltsame Rätsel umschweben die Wirklichkeit
war als jemals später. Sein dra
Kürzlich ist Arthur Schnitzler in das sechste Jahr¬
unseres Lebens und Liebens
lind und verfüh¬
zu jener Zeit das „Vermächtnis
zehnt seines Lebens getreten, und nun erscheint in sieben
rerisch umfängt uns die Welt Arthur Schnitzlers.
vor. Und in den Prosaschrifter
starken Bänden eine Auswahl seiner Werke. Sie ent¬
Reizvoll und aufschlußreich ist es nun, in den An¬
Zeugen jener Stimmung eine
halten zeitlich geordnet alles Wesentliche seines Schaffens
fängen seiner Prosa den Bestandteilen und Motiven dieser
lang das Tagesgespräch bildete 1
von den ersten Anfängen, da er der Welt als ein an¬
Welt nachzugehen, die immer, auch späterhin in den
künstlerischer Ueberschätzung nich
mutig mondainer Vermittler kultivierter und wienerischer
dramatischen Werken die gleichen bleiben, wie sehr sie sich
Gustl“. Eine unendlich witzige u
Empfindsamkeiten galt, bis zu den letzten Arbeiten, die
dann auch vertiefen und vervielfältigen mögen. Schon in
echtheit strotzende Satire auf
man bereits bewußt und dankbar als die dichterischen
den ersten Erzählungen und Novellen, die ihm rasch die
dann auch auf die unwürdige
Gaben eines Großen und Allverehrten entgegennahm.
Etikette des Wiener Maupassant aufzwangen, erklingt das
Ehrbegriffes; daneben auch al
Gewiß entspringt diese Ausgabe den Wünschen vieler.
große Leitmotiv vom Glanz, von der Schönheit und der
heit gewisser Leutnantshirne. U
Dennoch will es uns scheinen, als käme dies rückwärts¬
Flüchtigkeit des Daseins, das unablässig von den finsteren
in Oesterreich, in der „Kaisersta
blickende Sammeln und Sichten just bei diesem Dichter
Mächten des Vergehens umlauert wird und dessen herr¬
selbst Offiziersrang hatte. Man
noch zu früh, der, mag er gleich fünfzig Jahre alt sein,
lichste Blüten hart am Rande des ewigen Nichts erblühen.
Entrüstungsstürme es damals
wohl ein Reifer, doch kein Vollendeter und Abgeschlossener
Dieser Zweiklang von Lebensjubel und Todesschauer tönt
tisch Gesinnten gar nicht erwarte
ist, und der uns auch mit seinen letzten Werken immer
schon in seinen ersten Novellen, die stofflich noch in der
ein hochnotpeinliches Verfahren
noch die freudige Gewißheit gab, daß seine letzten Ent¬
bürgerlichen Enge des Alltags wurzeln und in denen er
Erwartungen wurden freilich en
scheidungen in der Zukunft lägen. Die steil aufstrebende
am liebsten die Probleme illegitimer Erotik behandelt, die
brachte sich das militärärztlich
Linie, die den Weg von den witzigen Nachdenklichkeiten
Freuden, die Schmerzen, die Verlogenheiten und die laut¬
Ehre, Schnitzler in seinen Reihe
des „Anatols“ bis zu den reinen Höhen des „Einsamen
losen Tragödien geheimer, weil verbotener Liebesbeziehun¬
ist es lustig, zu denken, daß es
Weges“ kennzeichnet, zeigt noch nicht die leiseste Neigung
gen. Heute erkennen wir, daß er es war, der all diese
gibt, für die Schnitzler bis zum
nach abwärts. Sicherlich werden sich den Bänden der
früher
sentimental verfärbten, frivol belachten
jenige“ ist, der den „Leutnant G
heutigen Auswahl andere, vielleicht noch kostbarere zu¬
oder auch
ängstlich gemiedenen Dinge zum ersten
Manchen mag dieser „Leu
gesellen.
Male ernst, mitfühlend, mit der milden und behutsamen
ungewohnt heftigen Spott als ein
Drei dieser Bände, die Prosaschriften, liegen heute vor
Sachlichkeit des Arztes aufdeckte und auf Wunden hinwies,
risch nicht völlig organischer
uns. Die dramatischen Arbeiten folgen im Laufe des
die noch immer bluten mußten, weil sie nicht gesehen
Sieht man jedoch näher hin, so
Herbstes. Nötig oder begründet war diese Zweiteilung
werden durften. Von den hundert Franzosen, die dem
dieses Leutnantsschicksal ein typis
gewiß nicht. Denn alles, was Schnitzler schrieb, entsprang,
einzigen Motiv des Ehebruches ungezählte Bühnenerfolge
darstellt. Ein Schicksal, das in a
gleichviel welch äußere Form es annahm, doch stets den
verdanken, hat nicht einer an die tragischen Seelenbezirke
greift und so Zusammenhänge e
gleichen Quellen des Schauens und Fühlens, und wie es
gerührt, die Schnitzler in der „Frau des Weisen“, im
irgendwie die unsichtbaren Fäh
stets sein dichterisches Bestreben war, niemals Ausschnitte,
„Abschied“ beschreitet. Die dichterische Ruhe, mit der er
denen wir alle aneinander gebun
sondern immer Zusammenhänge des Lebens zu geben, so
dies tat, die anmutige Gewähltheit seiner Formen, in der
großer Puppenspieler in Händen
schlingt sich auch in der Welt, die er erschuf, ein Band
sich alle Problematik sogleich zum Kunstwerk auflöste, ver¬
Stück spielt, dessen Sinn, Inhalt
tiefinnerer Verbundenheit um alle seine Gestalten, und
hüllte lange den aufrührerischen Geist, der in ihm lebte,
kennen. Immer hat Schnitzler M
Frau Bertha Garlan ist ebenso eine nahe Verwandte der
maskierte die mutige Kampfstimmung gegen die grausame
unbegreifliches Durcheinand rät
Christine aus der „Liebelei“, wie Anatol ein etwas leicht¬
Herzlosigkeit unserer Ehe=, Liebes= und Gesellschaftsmoral
betrachtet immer ließ er das un
sinnigerer Wiener Vetter des Renaissancemalers Filippo
ebenso wie den bitteren Zorn, den ihm die geistige und
Mächte als breiten Schlagschatten
Loschi aus dem „Schleier der Beatrice“ ist.
leibliche Hörigkeit wertvoller Frauen einflößte. Ein wenig
Erzählens fallen. Allmählich wu
Blättert man nun in diesen drei Bänden Schnitzler¬
merkbarer wurde diese Bitterkeit erst in der meisterlichsten
Mystisches, Wunderbares, Uner
scher Prosa, so ist man wohl überrascht darüber, wie völlig frisch
seiner größeren Novellen, in „Frau Bertha Garlan“, einem
schilderte Geschehen hineinspielen
und unverblichen ihr Inhalt, ihre Gestalten, ihre leichten, doch
Buche, das keine Frau ohne leises Grauen vor diesem
In zwei Novellenbänden weisen
dabei oft grüblerisch tiessinnigen Worte noch im Gedächtnis
unheimlich hellseherischen Erkennen letzter, verborgenster
seelen“, „Masken und Wunder“
haften. Und nun erst tritt es uns so recht ins Bewußt¬
Weiblichkeiten lesen kann. Niemals bisher fand die Liebes¬
stimmung hin, in der oft köstlich
sein, wie lange wir schon mit diesem Dichter verbunden
not reiner Frauen unserer Tage stärkeren dichterischen Aus¬
Ahnungen aufsprossen und die
sind, wie sehr er zu uns und unserem geistigen Weltbild
druck, niemals auch wurde die niedrige, verantwortungslose
sich der Dichter allzusehr in ihr
gehört, wie vertraut uns seine edle Menschlichkeit, seine
Genußsucht, die der Mann gern „Liebe“ nennt, so hart
hervorrufen mußten. Doch auch
melancholische Ironie, seine unpathetische Ueberlegenheit,
und eindringlich jener edlen Beglückungssehnsucht gegen¬
zwingende Reiz der Sprache, in
sein weltkundige Weisheit, wie wertvoll uns der weiche,
übergestellt, die das gleiche Wort der Frau bedeutet. Frei¬
schrieben waren. Hier war nun S
mondamne Zauber seines Wesens ist. Erinnerungen an
lich dämpft auch hier der gepflegte Ton der Darstellung,
Er, der bisher jedem Pathos, jede
viele dev besten Stunden unserer letzten Jahre werden die weltmännische Distanz, die überall eingehalten wird,licher Behutsamkeit ausgewichen w