V, Textsammlungen 7, Gesammelte Werke, Seite 5

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Gesannelte Nerke
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wach, die wir mit seinen Büchern verbrachten. Menschen, den angriffsmutigen Protestlaut. Allein man erkennt nun¬
mehr deutlich, daß just in der Epoche, in der auch „Frau
die er geformt, schreiten leise durch unser Denken wie
r.
Bertha Garlan“ entstand, in Schnitzler die Lust an herber
Sedl.
liebe, alte Bekannte, die uns nur zeitweilig entschwanden,
sozialer Kritik, an höhnischem Aufbegehren wider alle ver¬
ein feiner Duft von Parfüm, Vorstadtgärten und Ziga¬
hur
knöcherte Unfreiheit und vererbte Gedankenlosigkeit stärker¬
Schuißler3.—
retten steigt auf, den dann plötzlich ein kalter Moderhauch
war als jemals später. Sein dramatisches Schaffen brachte:
durchweht, seltsame Rätsel umschweben die Wirklichkeit
zu jener Zeit das „Vermächtnis“ und das „Freiwild“ her¬
lind und verfüh¬
in das sechste Jahr¬
unseres Lebens und Liebens
vor. Und in den Prosaschriften finden wir als weiteren
nun erscheint in sieben
rerisch umfängt uns die Welt Arthur Schnitzlers.
Zeugen jener Stimmung eine Skizze, die damals wochen¬
seiner Werke. Sie ent¬
Reizvoll und aufschlußreich ist es nun, in den An¬
lang das Tagesgespräch bildete und daher auch der Gefahr
Entliche seines Schaffens
fängen seiner Prosa den Bestandteilen und Motiven dieser
künstlerischer Ueberschätzung nicht entging, den „Leutnant
der Welt als ein an¬
Welt nachzugehen, die immer, auch späterhin in den
Gustl“. Eine unendlich witzige und von stupender Lebens¬
dramatischen Werken die gleichen bleiben, wie sehr sie sich
kvierter und wienerischer
echtheit strotzende Satire auf die kleinliche Ueberholtheit,
dann auch vertiefen und vervielfältigen mögen. Schon in
ken letzten Arbeiten, die
dann auch auf die unwürdige Sklaverei des militärischen
ar als die dichterischen
den ersten Erzählungen und Novellen, die ihm rasch die
Ehrbegriffes; daneben auch auf die drollige Beschränkt¬
Etikette des Wiener Maupassant aufzwangen, erklingt das
erehrten entgegennahm.
heit gewisser Leutnantshirne. Und so etwas wagte man
große Leitmotiv vom Glanz, von der Schönheit und der
den Wünschen vieler.
in Oesterreich, in der „Kaiserstadt"; wagte jemand, der
Flüchtigkeit des Daseins, das unablässig von den finsteren
s käme dies rückwärts¬
selbst Offiziersrang hatte. Man erinnert sich noch, welche
Mächten des Vergehens umlauert wird und dessen herr¬
just bei diesem Dichter
Entrüstungsstürme es damals gab und wie alle patrio¬
lichste Blüten hart am Rande des ewigen Nichts erblühen.
fünfzig Jahre alt sein,
tisch Gesinnten gar nicht erwarten konnten, Schnitzler vor
Dieser Zweiklang von Lebensjubel und Todesschauer tönt
deter und Abgeschlossener
ein hochnotpeinliches Verfahren gestellt zu sehen. Diese
schon in seinen ersten Novellen, die stofflich noch in der
iletzten Werken immer
Erwartungen wurden freilich enttäuscht. Alles in allem
bürgerlichen Enge des Alltags wurzeln und in denen er
daß seine letzten Ent¬
brachte sich das militärärztliche Offizierskorps um die
am liebsten die Prohleme illegitimer Erotik behandelt, die
Die steil aufstrebende
Ehre, Schnitzler in seinen Reihen zu wissen. Und heute
Freuden, die Schmerzen, die Verlogenheiten und die laut¬
itzigen Nachdenklichkeiten
ist es lustig, zu denken, daß es in Oesterreich gewiß Leute
losen Tragödien geheimer, weil verbotener Liebesbeziehun¬
Höhen des „Einsamen
gibt, für die Schnitzler bis zum heutigen Tag nur „der¬
gen. Heute erkennen wir, daß er es war, der all diese
icht die leiseste Neigung
jenige“ ist, der den „Leutnant Gustl“ schrieb:
verfärbten, frivol belachten
sentimental
sich den Bänden der
früher
Manchen mag dieser „Leutnant Gustl“ mit seinem
auch ängstlich gemiedenen Dinge zum ersten
sicht noch kostbarere zu¬
oder
ungewohnt hestigen Spott als ein nicht ganz echter, dichte¬
Male ernst, mitfühlend, mit der milden und behutsamen
risch nicht völlig organischer Schnitzler erschienen sein.
Sachlichkeit des Arztes aufdeckte und auf Wunden hinwies,
chriften, liegen heute vor
Sieht man jedoch näher hin, so gewahrt man, daß auch
die noch immer bluten mußten, weil sie nicht gesehen
folgen im Laufe des
dieses Leutnantsschicksal ein typisch Schnitzlersches Schicksal
werden durften. Von den hundert Franzosen, die dem
war diese Zweiteilung
darstellt. Ein Schicksal, das in andere Schicksale hinüber¬
einzigen Motiv des Ehebruches ungezählte Bühnenerfolge
hnitzler schrieb, entsprang,
greift und so Zusammenhänge erkennen läßt. In dem
verdanken, hat nicht einer an die tragischen Seelenbezirke
nnahm, doch stets den
irgendwie die unsichtbaren Fäden fühlbar werden, mit
gerührt, die Schnitzler in der „Frau des Weisen“ im
nd Fühlens, und wie es
denen wir alle aneinander gebunden sind und die ein
„Abschied“ beschreitet. Die dichterische Ruhe, mit der er
ar, niemals Ausschnitte,
großer Puppenspieler in Händen hält der damit ein
dies tat, die anmutige Gewähltheit seiner Formen, in der
des Lebens zu geben, so
Stück spielt, dessen Sinn, Inhalt und Ausgang wir nicht
sich alle Problematik sogleich zum Kunstwerk auflöste, ver¬
eer erschuf, ein Band
kennen. Immer hat Schnitzler Menschenerleben derart als
hüllte lange den aufrührerischen Geist, der in ihm lebte,
alle seine Gestalten, und
unbegreifliches Durcheinand rätselhafter Verknüpfungen
maskierte die mutige Kampfstimmung gegen die g.ausame
kine nahe Verwandte der
betrachtet, immer ließ er das unheimliche Walten dunkler
Herzlosiykeit unserer Ehe=, Liebes= und Gesellschaftsmoral
Anatol ein etwas leicht¬
Mächte als breiten Schlagschatten über den Weg seines
ebenso wie den bitteren Zorn, den ihm die geistige und
enaissancemalers Filippo
Erzählens fallen. Allmählich wurde dann dieser Hang,
leibliche Hörigkeit wertvoller Frauen einflößte. Ein wenig
eatrice“ ist.
Mystisches, Wunderbares, Unergründliches in das ge¬
merkbarer wurde diese Bitterkeit erst in der meisterlichsten
drei Bänden Schnitzler¬
schilderte Geschehen hineinspielen zu lassen, immer stärker.
seiner größeren Novellen, in „Frau Bertha Garlan“, einem
cht darüber, wie völlig frisch
In zwei Novellenbänden weisen schon die Titel: „Dämmer¬
Buche, das keine Frau ohne leises Grauen vor diesem
bestalten, ihre leichten, doch
seelen", „Masken und Wunder“ auf diese okkulte Grund¬
unheimlich hellseherischen Erkennen letzter, verborgenster
Porte noch im Gedächtnis
stimmung hin, in der oft köstlich zarte Erkenntnisse und
Weiblichkeiten lesen kann. Niemals bisher fand die Liebes¬
is so recht ins Bewußt¬
Ahnungen aufsprossen und die dennoch zuweilen, wenn
not reiner Frauen unserer Tage stärkeren dichterischen Aus¬
diesem Dichter verbunden
sich der Dichter allzusehr in ihr verlor, leisen Widerstand
druck, niemals auch wurde die niedrige, verantwortungslose
iserem geistigen Weltbild
hervorrufen mußten. Doch auch dann blieb noch der be¬
Genußsucht, die der Mann gern „Liebe“ nennt, so hart
edle Menschlichkeit, seine
zwingende Reiz der Sprache, in der diese Novellen ge¬
und eindringlich jener edlen Beglückungssehnsucht gegen¬
athetische Ueberlegenheit,
schrieben waren. Hier war nun Schnitzler ein völlig neuer.
übergestellt, die das gleiche Wort der Frau bedeutet. Frei¬
wertvoll uns der weiche,
Er, der bisher jedem Pathos, jeder Stilisierung mit ängst¬
ist. Erinnerungen an lich dämpft auch hier der gepflegte Ton der Darstellung,
krer letzten Jahre werden die weltmännische Distanz, die überall eingehalten wird, licher Behutsamkeit ausgewichen war, kleidete plötzlich just