V, Textsammlungen 7, Gesammelte Werke, Seite 13

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kommt. Ein Almosenier der Liebe. Zuverlässig und nie ent¬
Bücherwesen.
täuschend, auch in der prompten Todeserfüllung. Daneben
der blonde, abergläubige Kunstriese aus dem Norden, der
Neu erschienene Bücher (Besprechung einzelner Werke vorbehalten
Tenor singt und die männerfrohe, urgesunde Kläre ihrer
Rücksedung findet in keinem Falle statt.)
Mission wiedergibt. Die Nebenfiguren mit einem treffenden
Arthur Schnitzler. Gesammelte Werke.
Wort gekennzeichnet in ihrer ganzen Daseinsart. Eine feine
Kunst des Silhouettierens. Ihr zur Seite diese unaufdring¬
Erste Abteil. ig: Die erzählenden Schriften in
liche, aus den Tiefen freigewordener Erkenntnis quillende
3 Bänden gebunden 10 Mark; in Hälbleder 13 Mark, in Ganz¬
Heiterkeit, die in köstlich=knappen Charakteristiken auflächelt,
leder 16 Mark. S. Fischer, Verlag. Berlin.
dann die klare Sicherheit der Hand, die den Faden der Ge¬
Das gesegnete Jahr 1862 har'in seiner überraschenden
schichte knüpft. Der Dichter ergreift nicht Partei, seine Liebe
Fruchtbarkeit an wertvollen Geherney auch den Wiener Arthur
eifert nicht und urteilt nicht. Sie konstatiert. Die innere Er¬
Schnitzler dem deutschen Schrifttum gegeben. Am 15. Mai
griffenheit wird hervisch zu vornehmer Kühle gebändigt, das
d. J. hatte er 50 Jahre seines Lebens vollendet, und der ##r¬
Antlitz bleibt ungerührt. Das Leben schäkert und mordet in
lag S. Fischer in Berlin hat den prominenten Lebenstag des
einem Atemzuge. Sinnenfreudige Schönheit und die arge Lust
Dichters mit einer Herausgabe seiner erzählenden Schriften
an bitter=süßen Qualen sind oft schwesterliche Weggenossinnen
gefeiert. Die dramatischen werden in 4 Bänden im Herbst des
des Lebens. Wer kann's ändern? Des Dichters Kunst lehrt's
Jahres nachfolgen, so daß dann das Dichterwerk, soweit es bis
ge¬
uns ertragen und — belächeln.
zum markantesten Daseinsabschnitt eines Menschenlebens
Der große Psychologe Schnitzler offenbart sich mir am
diehen ist, in einer lückenlosen Sammlung vorliegt. Die
stärksten in der Novelle „Sterben“, im „Leutnant Gustl“, in
Werke der saftigsten Jugend= und Manneskraft blühen auf
Frau Bertas Weiblichkeit und dem großen österreichischen
dieser Wegstrecke, diesseits der Fünfzig, und das Bild des Dich¬
Zeit= und Streitgemälde: „Der Weg ins Freie“. Von diesem
entwickelt und zu festen Linien gehärtet haben,
ters muß
perspektivenreichen Werke mit den großen Problemen, von den
wenn das Leben die Grenzlinie zum Jahrzehnt der Fünfziger
umfassenden Lebenskenntnissen und Bekenntnissen, die es ent¬
ungerührt überschritten hat. Die Hauptkonturen auch dieser
hüllt, den vielen interessanten Menschen und Schicksalen von
Dichtergestalt stehen, wie ich glaube, vollkommen fest, zumal
denen es erzählt, war hier schon die Rede, eine Rede dank¬
noch kurz vor dem nachdenklichen Feiertage die Maskengeschich¬
barer Freude am Dichter und seiner Schaffensweise. In der
ten und Wundersagen erschienen waren, die eine bestimmte
Erzählung „Sterben“ mit der Schnitzler gleich im ersten An¬
Linie dieses Dichterantlitzes plötzlich noch verdeutlichten und
lauf in die Vorderreihe zeitgenössischer Erzähler sich hindurch¬
die Nüance des Wunderbaren aus dem Zwischenreich von
kämpfte, ist die Kreuzung des Wollens und Empfindens der
Wissen und Ahnen und Glauben und des Schreckhaft=Unbegreif¬
beiden Liebesleute in natürlicher, lückenloser Entwicklung zu
lichen noch zur rechten und ebenbürtigen Bedeutung brachten.
mächtiger Wirkung gediehen. Er und Sie, zwei Liebende. Er,
Soviel galt charakteristischer Weise der Dichter aus dem
dem baldigen Tode verschrieben — er weiß es —, will Sie
sogenannten Zeitalter der jungen Wiener, die nie so laut und
dem Leben und der Freiheit wiedergeben. Sie aber will mit
revolutionär sich gebärdeten, wie damals Jung=Berlin und
ihm sterben. (So gebietet es ihre liebende, ahnungslose Ju¬
Jung=München, auch seinen vorurteilsvollen Gegnern, daß sie
gend. Wie immer! Treue bis in den Tod! Geliebter!) Doch
ihn zum festlichen Tage weidlich betintenklext und bewertet
als' es wirklich ans Sterben geht, verlangt Er gebieterisch das
haben. Und auch die Liebe hat ihre Rosenfeste gefeiert und
versprochene Opfer, in gräßlicher Angst, allein zu sterben. Sie
an den süßen Bechern des Festjubels sich berauscht, Beweis ge¬
aber drängt, von Entsetzen geschüttelt, ins blühende Leben
nug, daß Arthur Schnitzler eine Dichter=Erscheinung ist, um die
zurück, sie will nicht sterben, sie will atmen und sein. In einer
das Blut der Zeitgenossen sich erhitzen kann, indessen er selbst,
erschütternden Nachtszene ringen Leben und Tod. Die künst¬
fern jedem Fest= und Kampfgetümmel und unbekümmert um
lerische und menschliche Wirkung, die Schnitzler schafft,
Massen= und Tagesstreit, einsam in üppiger Fruchtbarkeit seine
außerordentlich. Hier hat der Arzt mit scharfem Blick be¬
feinen, stimmungsreichen, klingenden, leidigen und lustigen Ge¬
obachtet und der Dichter im Arzt hat aus der Wissenschaft ein
schichten schreibt, teils in knapper Fassung, teils breit aus¬
großes und ernstes Kunstwerk geboren. Die fortschreitende
holend, teils in der derben und hellen Wirklichkeit
Krankengeschichte und die enthüllte Seele in ihren Zuckungen
wurzelnd, teils aus dem halbdunkeln Dämmerreich der Seelen
von Angst und Hoffen sind mit ungeheurer Deutlichkeit zur
schürfend, wie es dem Arzt und dem gründlichen Psychologen
Anschauung gebracht. Aber das Kunstwerk bringt Befrei¬
sich offenbarte.
ung. Da liegt das erhabene Schlußelement dieser Schöpfung.
In irgend einem stillen, bunten Familienblättchen fand
Auch im „Leutnant Gustl“. Es wirkt, mag auch die Zunft¬
das Urteil des lieben Meinungsmachers, der seine artigen
Theorie eine andere Lehre vertreten, am Ende doch befteiend,
Leser mit schwachprozentigen Geisteslösungen chloroformiert,
daß der rasche, bunte Knabe nicht dem rohen Zorn eines
die kompromißlichen Vokabeln, Schnitzlers Kunst sei müde und
apoplektischen Bäckermeisters sich opfern muß, befreiend um
krank. Wir müssen vor dieser geschlossenen Schranke der Tor¬
Vaters und Mutters und der lieben Schwester willen, auch
heit einen kleinen Umweg gehen. Als Nietzsche nach der
um der Menschlichkeit willen, die nur dem allernatürlichsten
leidenschaftlichen Umkehr seiner verehrenden Jugendinstinkte
Empfinden folgt. Der aufmerksame Leser wird bewundern,
gegen den großen Gegenstand der Wagnerischen Kunst sich
wie in der nachtlichen Selbst=Zwiesprache, dem scheinbaren
wehrte und den Heiland seiner Jugend zu stürzen sich vermaß, —
Durcheinander wirrer Gedankenbrocken und Gefühlsfetzen mit
er unterlag und Wagner blieb Sieger —, da nannte er den
geschickter Darstellungskunst das ganze bisherige Leben des
einst vergötterten Helden den „Künstler der Decadence", und
planlos durch die Nacht Taumelnden sich offenbart. Und ein
er proklamierte als den obersten Satz seiner feindlichen Ent¬
Freiwerden aus den Banden irrenden Blutes bedeutet letzten
deckungen die Lehre: Wagners Kunst ist krank, Wagner selbst
Endes auch die Erzählung von Frau Berta Garlans viel ver¬
ist eine Krankheit, Wagner est une nevrose“. Was soll das
kannter Weibesart. Sie ist in ihrer jungen Witwenschaft das
heißen? Nietzsche empfand eine Gesamt=Verderbnis
rührende Opfer heißen Jugendsehnens, das sie überstürzt ge¬
des Geschmackes bei Wagner, diese noch dazu zum maß= und
rade in den letzten drängenden Tagen vor der klärenden Er¬
richtunggebenden Gesetz erhoben; er nennt die Probleme die
lösung. Die Jugend steigt empor aus den alten, gilbenden
Wagner auf die Bühne stellt, „Hysteriker=Probleme“, seine
Papieren, ein Liebes=Erinnern nach den schalen Jahren einer
Helden und Heldinnen eine „Kranken=Galerie“ und schaudert
glatten, gleichgültigen Ehe, das Herr wird über ein junges
vor dem „Konvulsivischen“ des Wagnerischen Affekts, seiner
Herz, das noch immer in echter Liebe, wie es wohl wähnt,
„überreizten Sensibilität“, dem „Proteus=Charakter der De¬
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dem gefeierten Künstler gehört. Von hier aus erklärt sich
generescenz, der hier sich als Kunst und Künstler verpuppt.
alles. Und Frau Berta findet sich und ihren rechten Weg,
Alles zusammen, Mensch und Werk, Mittel und Gegenstand
als sie den Ersehnten klar erkannt hat, mit solcher Sicherheit
der Kunst, stellt ihm bei Wagner ein Krankheitsbild dar, das
wieder, streift die Hülle menschlichen Irrens so tapfer von sich
Nietzsche ist den schwachen und unsichern
keinen Zweifel läßt.
ab, daß alle Schatten verwehen und nie, wie es wohl schon ge¬
Kantonisten der Federzunft der Verführer zum Schlagwort ge¬
schah, jenes häßlich=verurteilende Wort sich hervorwagen sollte,
worden. Die apodiktische Wucht und Sicherheit, der Klang
das nur ekler Gier, der blanke Vorteilssucht sich paart, gebühren
seiner üppigen, verführerischen Rede lockt in das Trugland
kann. Ganz menschlich echt, in wundervoller Natürlichkeit sich
matter Nachahmung. Mit seinem prangenden Pathos donnert
gebend, ist dieser Wechsel in den Entschlüssen und Empfin¬
der widerstandsunfähige Schreibersmann nicht selten die eigene
dungen von Unruhe, Zweifeln, Hoffen, Zürnen und Ver¬
Dünne seiner Sprüchlein auf. So leitet sich von ihm auch das
zeihen, das Anlehnungsbedürfnis an die erfahrenere Frau, das
oft unverständig angewandte Schlagwort von der Dekadence, von
weiche Mitempfinden, bis in den Tiefen dieser guten Seele
der Gesamt=Erkrankung des modernen Künstlers her. Was
die klare Erkenntnis siegreich wird, „daß sie nicht von denen
nicht im Alltags=Einmaleins der Gewöhnlichkeit aufgeht, was
war, die, mit leichtem Sinn beschenkt, die Freuden des Leben¬
als unbequem empfunden wird und außerhalb der Massenord¬
ohne Zagen trinken dürfen“. Köstlich lebensecht sind auch die
nung lebt ist „modern“ und morbid und wird mit übelriechen¬
begleitenden Nebenmenschen, von der rührenden Gestalt de¬
dem Mitleid ins Medizinische verwiesen. Aber man ver¬
gelähmten Edelmenschen an bis zur scheußlichen Erscheinung
wechsele doch um des lieben Kunsthimmels willen gerade bei
schon allein durch seine Existenz be##
„icht in beilloser