7. Gesammelte Nerke box 35/9
Nr. 40
Die Hilfe
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Gaukelspiel der Stimmungen in diesem Zyklus doch als ein den zufälligen oder gespielten, und an dem wir messen, ob
leiser Unterton mitschwingt, klingt von daher. Auch das
wir uns selbst treu oder untreu sind, so ist auch im Spiel,
frühe Schauspiel „Das Vermächtnis“ (1897), in dem ähnlich
in der vorübergehenden Rolle Wahrheit. Schnitzler hat in
wie in Ibsens „Stützen der Gesellschaft“ die herzensträge
der Groteske „Der grüne Kakadu“ diesen schwindelnden
Bourgeoisiemoral in ihrer Stellung zu einer gesellschaftlich
Uebergang aus dem Schein ins Sein gezeigt: Die Schau¬
Geächteten dargestellt wird, sagt doch schon: verlaßt euch
spieler, die in einem Wirtshaus zusammenkommen und Ver¬
nicht auf die Dauer von Gefühlen. Dem sterbenden Sohn
brecher spielen, finden sich plötzlich nicht mehr aus dem Spiel
gibt seine Familie das Versprechen, seine Geliebte mit ihrem
heraus, jenseits der Grenze.
Kinde aufzunehmen. Aber die Erfüllung scheitert nicht nur
„Was ist nicht Spiel, was wir auf Erden treiben,
an Klassenvorurteilen, sondern viel mehr noch an der all¬
Und schien es noch so groß und tief zu sein?
gemein menschlichen Unfähigkeit, versprochene Liebe zu halten.
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
In der Aufwallung eines Augenblicks täuschte man sich über
Der andere spielt mit tollen Abergläub'schen,
sich selbst. Was damals möglich schien, erlahmt im Weiter¬
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer.
gehen der Tage. Das ist Schicksalslauf.
Mit Menschenseelen spiele ich; ein Sinn
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
In den frühen Stücken stellte Schnitzler diesen wandel¬
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
baren Naturen, deren Leben „auf leichten Flügeln dahin¬
Wahrheit und Lüge — Sicherheit ist nirgends.
rauscht“, noch die schwereren, treueren Menschen gegenüber
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns;
und ließ die dramatische Spannung aus diesem Gegensatz
Wir spielen alle — wer es weiß, ist klug.“
und aus der Verkettung eines durch stärkere Gefühlskraft
Belasteten in ein leichtbewegtes Dasein hervorgehen. So
Hofmannsthal, dem der lyrische Ausdruck besser gelingt
etwa in dem Einakter „Die Gefährtin“ (1898) und dem
wie Schnitzler, hat dieses gleiche Gefühl der Unsicherheit
bürgerlichen Trauerspiel: „Liebelei“ (1894), das an die
dessen, was wir Wirklichkeit nennen, oft noch feiner aus¬
Atmosphäre von „Kabale und Liebe“ oder von Fontanes
gesprochen, als es in diesen Worten aus Schnitzlers Para¬
„Stine" gemahnt. Später aber wird alles, was sich zwischen
celsus geschieht.
Schnitzlers Gestalten begibt, aus der Unbeherrschbarkeit der
Du bist nichts als ein Schwindeln
Stimmung und des Gefühls, der Verantwortungslosigkeit
In einen dünnen Schleier eingewickelt.“ —
der Menschen vor der Verwandlungsmacht der Zeit heraus¬
„Mein Freund, das ist nur, was wir alle sind.“
gesponnen.
In Schnitzlers Werk gibt es eigentlich nur ein einziges
Wer es weiß — ist klug. Noch ein letzter abschließender
Erlebnis und eine einzige Schicksalsmacht: alle Probleme
Zug gehört zum seelischen Ausdruck von Schnitzlers Werk:
seiner Dichtung liegen innerhalb der Beziehungen der Ge¬
das fatalistische Wissen um die Schwäche und Mattigkeit
schlechter. Hier, im Kreise des stärksten „Besessenseins“,
eines Lebens ohne Pathos und einheitlich gerichtete Kraft,
fallen bei Schnitzler für jedes Schicksal und für jede Person
und die schwermütig=ironische Selbstkritik. In dem Roman
die Würfel. Alles andere gilt als Rahmen, Außenwerk: ist
„Der Weg ins Freie“ liest ein junger Dichter, so ein richtiges
nur, um die Lücken auszufüllen. Und was sonst in dieser
Kaffeehausgeschöpf, einem anderen ein eignes Gedicht vor
Ich=losen Welt Schnitzlers noch an inneren Gefühlslagen
mit dem Refrain „Hei — so jag' ich durch die Welt“.
gegeben sein kann: etwa der Mensch angesichts der Wirklich¬
Warum sagt er „Hei“? heißt es; es glaubt's ihm ja doch
keiten des Alters oder des Todes oder der Krankheit, das
niemand. Wir sind doch nicht die Menschen, die so etwas
wird doch alles am Liebeserlebnis gezeigt und enthüllt.
sagen dürfen. Und ernster noch, fast mit einem ethischen
Nur beiläufig wird hier und da einmal gesagt, daß diese
Auflug, den Schnitzler sonst vermeidet, hält Herr von Sala
Dinge etwas anders liegen für Menschen, die in irgend¬
dem Jugendfreund entgegen, der nach einem verantwortungs¬
einem Sinne „einen Beruf haben“ und nicht „von Gnaden
losen Leben sich den einsamen Weg durch das Alter zum
des Augenblicks Götter und zuweilen etwas weniger als
Tode mit unverdienter Liebe zu erleichtern hoffte: „Glauben
Menschen sind“ (so sagt Herr v. Sala in „Der einsame
Sie, daß wir von einem Menschen irgend etwas zurück¬
Weg“) — aber in allen Stücken und Erzählungen Schnitzlers
fordern dürften, das wir ihm geschenkt hatten? Ich meine
spielen diese Menschen die zweiten Rollen, sie leben das
keine Perlenschnur und keine Rente und keine wohlfeile
blassere, dürftigere, resigniertere Leben. In ihnen ist der
Weisheit, sondern ein Stück von unserem Wesen — eine
Dichter selbst nicht zu Hause. Sein eigenes Weltgefühl
Stunde unseres Daseins, das wir wirklich an sie verloren
durchdringt nur die Gestalten seines Werkes, die von Gnaden
hätten, ohne uns gleich dafür bezahlt zu machen, mit welcher
des Augenblicks leben. Diese Menschen fürchten nichts mehr
Münze immer. Mein lieber Julian, wir haben die Türen
als Verantwortungen. Wo immer sie sich tiefer in andere
offen stehen und unsere Schätze sehen lassen — aber Ver¬
Schicksale verstrickt fühlen, suchen sie instinktiv den „Weg ins
schwender sind wir nicht gewesen.“
Freie“ — ein Stichwort, das von Schnitzler ausgegeben
In dieser vornehmen Selbsteinschätzung liegt doch eine
wird, schon lange ehe es als Titel seines einen großen
„Haltung“, die, wenn man ganz tief schaut, in dem Werk
Romans erscheint.
dieser skeptischsten modernen Persönlichkeit doch eine unan¬
Mit diesem Schnitzlers Menschen eingewachsenen Zweifel
tastbare Ehrfurcht vor stärkeren und klareren Formen
an dem Vorhandensein eines Wesenhaften in uns, von dem
menschlichen Daseins erkennen läßt.
die Augenblicke zusammengehalten werden wie Perlen an
Und vielleicht ist es um deswillen, daß wir Schnitzler,
einer Schnur, hängt es zusammen, daß ihr Wirklichkeits¬
der ohne Zweifel der geistvollste und kultivierteste unserer
gefühl etwas Schwankendes, Loses bekommt. Zwischen Traum
Erzähler und Theaterdichter ist, auch mit der warmen
und Wachen, Wirklichkeit und Spiel verschwimmen die
Bewunderung gegenüberstehen, die wir empfinden, wo eine
Grenzen. Wenn es kein „Ich“ gibt, das in den wahren
tiefere Zone unserer Seele berührt ist als die rein ästhetische
Momenten unseres Lebens stärker gegenwärtig ist, als in Empfänglichkeit.
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Gaukelspiel der Stimmungen in diesem Zyklus doch als ein den zufälligen oder gespielten, und an dem wir messen, ob
leiser Unterton mitschwingt, klingt von daher. Auch das
wir uns selbst treu oder untreu sind, so ist auch im Spiel,
frühe Schauspiel „Das Vermächtnis“ (1897), in dem ähnlich
in der vorübergehenden Rolle Wahrheit. Schnitzler hat in
wie in Ibsens „Stützen der Gesellschaft“ die herzensträge
der Groteske „Der grüne Kakadu“ diesen schwindelnden
Bourgeoisiemoral in ihrer Stellung zu einer gesellschaftlich
Uebergang aus dem Schein ins Sein gezeigt: Die Schau¬
Geächteten dargestellt wird, sagt doch schon: verlaßt euch
spieler, die in einem Wirtshaus zusammenkommen und Ver¬
nicht auf die Dauer von Gefühlen. Dem sterbenden Sohn
brecher spielen, finden sich plötzlich nicht mehr aus dem Spiel
gibt seine Familie das Versprechen, seine Geliebte mit ihrem
heraus, jenseits der Grenze.
Kinde aufzunehmen. Aber die Erfüllung scheitert nicht nur
„Was ist nicht Spiel, was wir auf Erden treiben,
an Klassenvorurteilen, sondern viel mehr noch an der all¬
Und schien es noch so groß und tief zu sein?
gemein menschlichen Unfähigkeit, versprochene Liebe zu halten.
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
In der Aufwallung eines Augenblicks täuschte man sich über
Der andere spielt mit tollen Abergläub'schen,
sich selbst. Was damals möglich schien, erlahmt im Weiter¬
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer.
gehen der Tage. Das ist Schicksalslauf.
Mit Menschenseelen spiele ich; ein Sinn
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
In den frühen Stücken stellte Schnitzler diesen wandel¬
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
baren Naturen, deren Leben „auf leichten Flügeln dahin¬
Wahrheit und Lüge — Sicherheit ist nirgends.
rauscht“, noch die schwereren, treueren Menschen gegenüber
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns;
und ließ die dramatische Spannung aus diesem Gegensatz
Wir spielen alle — wer es weiß, ist klug.“
und aus der Verkettung eines durch stärkere Gefühlskraft
Belasteten in ein leichtbewegtes Dasein hervorgehen. So
Hofmannsthal, dem der lyrische Ausdruck besser gelingt
etwa in dem Einakter „Die Gefährtin“ (1898) und dem
wie Schnitzler, hat dieses gleiche Gefühl der Unsicherheit
bürgerlichen Trauerspiel: „Liebelei“ (1894), das an die
dessen, was wir Wirklichkeit nennen, oft noch feiner aus¬
Atmosphäre von „Kabale und Liebe“ oder von Fontanes
gesprochen, als es in diesen Worten aus Schnitzlers Para¬
„Stine" gemahnt. Später aber wird alles, was sich zwischen
celsus geschieht.
Schnitzlers Gestalten begibt, aus der Unbeherrschbarkeit der
Du bist nichts als ein Schwindeln
Stimmung und des Gefühls, der Verantwortungslosigkeit
In einen dünnen Schleier eingewickelt.“ —
der Menschen vor der Verwandlungsmacht der Zeit heraus¬
„Mein Freund, das ist nur, was wir alle sind.“
gesponnen.
In Schnitzlers Werk gibt es eigentlich nur ein einziges
Wer es weiß — ist klug. Noch ein letzter abschließender
Erlebnis und eine einzige Schicksalsmacht: alle Probleme
Zug gehört zum seelischen Ausdruck von Schnitzlers Werk:
seiner Dichtung liegen innerhalb der Beziehungen der Ge¬
das fatalistische Wissen um die Schwäche und Mattigkeit
schlechter. Hier, im Kreise des stärksten „Besessenseins“,
eines Lebens ohne Pathos und einheitlich gerichtete Kraft,
fallen bei Schnitzler für jedes Schicksal und für jede Person
und die schwermütig=ironische Selbstkritik. In dem Roman
die Würfel. Alles andere gilt als Rahmen, Außenwerk: ist
„Der Weg ins Freie“ liest ein junger Dichter, so ein richtiges
nur, um die Lücken auszufüllen. Und was sonst in dieser
Kaffeehausgeschöpf, einem anderen ein eignes Gedicht vor
Ich=losen Welt Schnitzlers noch an inneren Gefühlslagen
mit dem Refrain „Hei — so jag' ich durch die Welt“.
gegeben sein kann: etwa der Mensch angesichts der Wirklich¬
Warum sagt er „Hei“? heißt es; es glaubt's ihm ja doch
keiten des Alters oder des Todes oder der Krankheit, das
niemand. Wir sind doch nicht die Menschen, die so etwas
wird doch alles am Liebeserlebnis gezeigt und enthüllt.
sagen dürfen. Und ernster noch, fast mit einem ethischen
Nur beiläufig wird hier und da einmal gesagt, daß diese
Auflug, den Schnitzler sonst vermeidet, hält Herr von Sala
Dinge etwas anders liegen für Menschen, die in irgend¬
dem Jugendfreund entgegen, der nach einem verantwortungs¬
einem Sinne „einen Beruf haben“ und nicht „von Gnaden
losen Leben sich den einsamen Weg durch das Alter zum
des Augenblicks Götter und zuweilen etwas weniger als
Tode mit unverdienter Liebe zu erleichtern hoffte: „Glauben
Menschen sind“ (so sagt Herr v. Sala in „Der einsame
Sie, daß wir von einem Menschen irgend etwas zurück¬
Weg“) — aber in allen Stücken und Erzählungen Schnitzlers
fordern dürften, das wir ihm geschenkt hatten? Ich meine
spielen diese Menschen die zweiten Rollen, sie leben das
keine Perlenschnur und keine Rente und keine wohlfeile
blassere, dürftigere, resigniertere Leben. In ihnen ist der
Weisheit, sondern ein Stück von unserem Wesen — eine
Dichter selbst nicht zu Hause. Sein eigenes Weltgefühl
Stunde unseres Daseins, das wir wirklich an sie verloren
durchdringt nur die Gestalten seines Werkes, die von Gnaden
hätten, ohne uns gleich dafür bezahlt zu machen, mit welcher
des Augenblicks leben. Diese Menschen fürchten nichts mehr
Münze immer. Mein lieber Julian, wir haben die Türen
als Verantwortungen. Wo immer sie sich tiefer in andere
offen stehen und unsere Schätze sehen lassen — aber Ver¬
Schicksale verstrickt fühlen, suchen sie instinktiv den „Weg ins
schwender sind wir nicht gewesen.“
Freie“ — ein Stichwort, das von Schnitzler ausgegeben
In dieser vornehmen Selbsteinschätzung liegt doch eine
wird, schon lange ehe es als Titel seines einen großen
„Haltung“, die, wenn man ganz tief schaut, in dem Werk
Romans erscheint.
dieser skeptischsten modernen Persönlichkeit doch eine unan¬
Mit diesem Schnitzlers Menschen eingewachsenen Zweifel
tastbare Ehrfurcht vor stärkeren und klareren Formen
an dem Vorhandensein eines Wesenhaften in uns, von dem
menschlichen Daseins erkennen läßt.
die Augenblicke zusammengehalten werden wie Perlen an
Und vielleicht ist es um deswillen, daß wir Schnitzler,
einer Schnur, hängt es zusammen, daß ihr Wirklichkeits¬
der ohne Zweifel der geistvollste und kultivierteste unserer
gefühl etwas Schwankendes, Loses bekommt. Zwischen Traum
Erzähler und Theaterdichter ist, auch mit der warmen
und Wachen, Wirklichkeit und Spiel verschwimmen die
Bewunderung gegenüberstehen, die wir empfinden, wo eine
Grenzen. Wenn es kein „Ich“ gibt, das in den wahren
tiefere Zone unserer Seele berührt ist als die rein ästhetische
Momenten unseres Lebens stärker gegenwärtig ist, als in Empfänglichkeit.