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18. Die kleine kodie
box 35/11
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Diie Stande, AAr
vom: 29
Nachlaß-Schränke öffnen
sich
Hofmannsthal und Schnitzler.
Als vor reichlich dreisig Jahren Her¬
mann Bahr einmal schrieb, eine damals
für wichtig gehaltene literarische An¬
gelegenheit werde ihre genaue Deutung
erst durch die Philologen erhalten, die
sich seinerzeit mit den Briefen, Schriften,
Entwürfen des „Jungen Wien“, beschäftigen!
würden, lachte die Lesewelt still vor sich hin
und der und jener sprach wohl von Größen¬
wahn. Die Zeit ist da. Das junge Wien von
1895, von vor- und nachher gehört der Ge¬
schichte an, so manche von seinen Führern
sind hinübergegangen oder verschollen, schon
waren Biographen am Werk und nun beginnt
tatsächlich die Arbeit der Literarbistoriker,
die sich nur einmal mit einer fast noch leben¬
digen Vergangenheit zu befassen haben. Ge¬
sammelte Werke von Hofmannsthal und
Schnitzler sind längst herausgegeben worden.
Jetzt geht es an ihre Ergänzung.
Der kritische Betrachter wird vielleicht
sagen: In den „gesammelten Werken“ haben!
diese beiden großen und richtigen Dichter
Gelegenheit gefunden, sich auszusprechen.
Diese gesammelten Werke sind obendrein noch
von ihnen selbst bei Lebzeiten zusammen¬
gestellt worden. Was eie dort nicht aufnahmen,
wird einer solchen Aufnahme wohl nicht wert
gewesen sein. Vergeht man sich jetzt nicht
gegen den ausdrücklichen Willen dieser neuen
Wiener Klassiker, wenn allerhand Werke und
Werkchen ans Licht geraten, die sie sorgfältig
verschlossen hielten und verschlossen ließen?
Die beiden waren ja nicht bloß Künstler, son¬
dern auch Beurteiler ihrer Zeit und vor allem
Selbstbeurteiler. Die Versuchung liegt gewiß
nahe, mit ihrem Nachlaß weitere Bände zu
füllen. Aber soll, darf man das?
Man darf es, wenn die Qualität des nachträg¬
lich zu Erschließenden das Verfahren heute
rechtfertigt. Darf es auch, wenn die Nachla߬
werke persönliche Beziehungen aufhellen, die
sonst verborgen geblieben wären oder wenn
sie interessante Vorstudien sind. Gerade jetzt,
so kurze Zeit nach Schnitzlers und Hofmanns¬
thals Tod, ist die biographische Leidenschaft
groß, die Sehnsucht stark, die teuren Ge¬
stalten in ihrem ganzen Wandel, in allen ihren
Beziehungen nochmals zu beschwören. Hinter¬
bliebene öffnen nicht mit Unrecht ihre
Schränke, Philologen bekommen zu tun.
Solcherart ist der herrliche, wenn auch
leider nur fragmentarische Roman
„Andreas“ von Hofmannsthal ans Licht ge¬
kommen, zuerst veröffentlicht in der ausgs¬
zeichneten Zeitschrift „Corona“ — in diesen
Blättern ist schon vor zwei Jahren ein Stück
daraus abgedruckt worden. Jetzt gibt
S. Fischer das Buch als Ganzes heraus und
Jakob Wassermann schreibt in einem Nach¬
WOLAEN
18. Die kleine kodie
box 35/11
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Diie Stande, AAr
vom: 29
Nachlaß-Schränke öffnen
sich
Hofmannsthal und Schnitzler.
Als vor reichlich dreisig Jahren Her¬
mann Bahr einmal schrieb, eine damals
für wichtig gehaltene literarische An¬
gelegenheit werde ihre genaue Deutung
erst durch die Philologen erhalten, die
sich seinerzeit mit den Briefen, Schriften,
Entwürfen des „Jungen Wien“, beschäftigen!
würden, lachte die Lesewelt still vor sich hin
und der und jener sprach wohl von Größen¬
wahn. Die Zeit ist da. Das junge Wien von
1895, von vor- und nachher gehört der Ge¬
schichte an, so manche von seinen Führern
sind hinübergegangen oder verschollen, schon
waren Biographen am Werk und nun beginnt
tatsächlich die Arbeit der Literarbistoriker,
die sich nur einmal mit einer fast noch leben¬
digen Vergangenheit zu befassen haben. Ge¬
sammelte Werke von Hofmannsthal und
Schnitzler sind längst herausgegeben worden.
Jetzt geht es an ihre Ergänzung.
Der kritische Betrachter wird vielleicht
sagen: In den „gesammelten Werken“ haben!
diese beiden großen und richtigen Dichter
Gelegenheit gefunden, sich auszusprechen.
Diese gesammelten Werke sind obendrein noch
von ihnen selbst bei Lebzeiten zusammen¬
gestellt worden. Was eie dort nicht aufnahmen,
wird einer solchen Aufnahme wohl nicht wert
gewesen sein. Vergeht man sich jetzt nicht
gegen den ausdrücklichen Willen dieser neuen
Wiener Klassiker, wenn allerhand Werke und
Werkchen ans Licht geraten, die sie sorgfältig
verschlossen hielten und verschlossen ließen?
Die beiden waren ja nicht bloß Künstler, son¬
dern auch Beurteiler ihrer Zeit und vor allem
Selbstbeurteiler. Die Versuchung liegt gewiß
nahe, mit ihrem Nachlaß weitere Bände zu
füllen. Aber soll, darf man das?
Man darf es, wenn die Qualität des nachträg¬
lich zu Erschließenden das Verfahren heute
rechtfertigt. Darf es auch, wenn die Nachla߬
werke persönliche Beziehungen aufhellen, die
sonst verborgen geblieben wären oder wenn
sie interessante Vorstudien sind. Gerade jetzt,
so kurze Zeit nach Schnitzlers und Hofmanns¬
thals Tod, ist die biographische Leidenschaft
groß, die Sehnsucht stark, die teuren Ge¬
stalten in ihrem ganzen Wandel, in allen ihren
Beziehungen nochmals zu beschwören. Hinter¬
bliebene öffnen nicht mit Unrecht ihre
Schränke, Philologen bekommen zu tun.
Solcherart ist der herrliche, wenn auch
leider nur fragmentarische Roman
„Andreas“ von Hofmannsthal ans Licht ge¬
kommen, zuerst veröffentlicht in der ausgs¬
zeichneten Zeitschrift „Corona“ — in diesen
Blättern ist schon vor zwei Jahren ein Stück
daraus abgedruckt worden. Jetzt gibt
S. Fischer das Buch als Ganzes heraus und
Jakob Wassermann schreibt in einem Nach¬
WOLAEN