VI, Allgemeine Besprechungen 1, Friedrich Düsel Dramatische Rundschau, Seite 9

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1. Pamphlets offprints
Friedrich Düsel
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für das Spiel seiner Phantasie und seines Witzes: Stil und die Komposition seines Werkes festzu¬
aber wer so viel Geschmack und Bildung, so viel halten, noch seine Figuren in lebenswahrer Kör¬
Fleiß und Formgefühl dafür mitbringt, wie er in perlichkeit und mit folgerichtiger Psychologie aus¬
seinem jüngsten Schauspiel, sollte wenigstens einer gerüstet vor uns hinzustellen. Binterer Einst
freundlichen Aufnahme immer gewiß sein dürfen. und tändelnder Scherz stehen hart und unver¬
Auf dem Grenzrain, der sich zwischen dem heili= mittelt nebeneinander, ohne sich gegenseitig zu
gen Hain der Dichter und der setten Weide der durchdringen; ergreifende Naturtöne echter Leiden¬
Schriftsteller breitet, wachsen auch Otto Julius schaft werden jäh und schrill durch Bänkelsänger¬
Bierbaums Lorbeerreiser. Auch bei ihm, wie und Leierkastenklänge zerrissen. Das Thema ist
bei Fulda, halten wahres Gefühl und echte das alte, schei bei den Stürmern und Drängern
Empfindung gute Nachbarschaft mit Spiel und des achtzehm Jahrhunderts so beliebte: der
Maskenscherz, die sich am bunten Abglanz des Mann zwischen zwei Frauen. Nicht von unge¬
Lebens genügen lassen, anstatt in seine schmerz= fähr wohl führt eine der beiden Bierbaumschen
lichen Tiefen zu steigen. Man weiß, daß auch Heldinnen, zwischen die der junge Schmieren¬
direktor und geniale Feuerkopf Johann Christian,
der Lyriker Bierbaum schon gern in fremde
in manchen Zügen ein getreues Abbild des un¬
Kostüme schlüpfte und daß er einer der ersten
gezügelten schlesischen Poeten Joh. Christ. Gün¬
war, die um den Rosenbusch des Überbretils
ther, sich gestellt findet, den Namen der Goethi¬
tanzten. So wird man, nun da er uns, ein
schen Stella. Vieles von der Rokokosphäre des
Vierzigjähriger bald, sein erstes abendfüllendes
achtzehnten Jahrhunderis, in die so stürmisch
Drama schenkt, gegen allzu hohe Erwartungen,
das Rousseausche Naturevangelium bläst, begegnet
etwa auf erschütternde Dichterkonfessionen oder
auch sonst in dem Stücke, nur daß doch auch
tiefsinnige geistige Offenbarungen, von vornherem
dabei dem Eklektiker moderne Noten, die der
gefeit gewesen sein. Daß Bierbaum noch kein
unverstandenen Frau und die der Perversität, das
Eigener und in sich Reifer, hai denn auch sein
Konzept verwirren. Dem Direktor der wandern¬
den Schauspieltruppe ist seine Stella, sein leiden¬
schaftlich geliebtes Weib, mit einem anderen davon¬
gegangen; so findet ihn die vornehme Grafen¬
tochter, deren heißes, verlangendes Blut sich
mitten unter den Larven steifer Konvenienz nach
echtem Gefühl und schäumender Jugendlichteit
sehnt. Es lockt sie, den wilden Falken für sich
zu zähmen und das ungebändigte Naturlind ihren
verwöhnten Launen dienstbar zu machen. Ja,
sie weidet sich geradezu an den Qualen, die der
in eine Bedientenlivree gesteckte Dichter und
Schauspieler im Kreise der hohlen Gesellschaft
ausstehen muß, während seine und ihre Wangen
noch glühen von den heimlichen Küssen, die sie
beim Schlag der Nachtigall im heimlichen Garten¬
versteck getauscht haben. Als Johann Christians
Demütigung und Verzweiflung aufs höchste ge¬
stiegen, kommt eines Abends eine verirrte, vom
Elend der Landstraße zerzauste Harfenspielerin
ins Schloß, die seine Lieder singt. Er erkennt
seine Stella und fliegt ihr nach kurzem Kampfe
befreit und erlöst in die Arme, aus dem golde¬
nen Bauer der feinen Kultur, die Amonie ihn
lehren wollte, zurück an den Busen der Natur.
Wie nun aber weiter? Wird der erneute Bund
der beiden Naturkinder sich stärker erweisen als
der erste? Oder wird die Erinnerung an die
feineren und zarteren Empfindungen, die die
vornehme Geliebte ihn gelehrt hat, dem Befreiten
nachgehen und ihm zum zweitenmal das Glück
C
zerstören? Bierbaum selbst hat geschwankt, wie
er den Konflikt zwischen ungezügelter Natur und
(Mit Genehmig. von E. Bieber, Hofphotogr., Berlin u. Hamburg.)
höherer Sitte zu Ende führen solle — daher die
zwei verschiedenen Schlüsse, die der inneren Wahr¬
vieraktiges Schauspiel „Stella und Antonie“
heit seines Stückes und seiner Menschen ein so
bewiesen, das, zuerst in des Dichters schlesischer
bedentliches Zeugnis ausstellen. In der ersten
Heimat am rührigen Breslauer Lobe=Theater
Fassung, die zweifellos temperamentvoller und
hervorgetreten, später mit verändertem Schluß
zeitgerechter war, ersticht die von ihrer Flatter¬
auch in Berlin am „Berliner Theater“ aufgeführt
sucht keineswegs geheilte Stella ihre Nebenbuhle¬
worden ist. Noch vermag er weder den inneren
Dekoration zu Lessings
rin Antonie, als diese
kreuzt, und Johann Chr
Liebe zu der vornehme
mit demse
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eröteten
der Geliebte
aus Ar
des Stückes ausgema
glänzender Toiletten,
Titelrolle zur Schau
blauen Donau, wo

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