VI, Allgemeine Besprechungen 1, Friedrich Düsel Dramatische Rundschau, Seite 11


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Panphlets, offprints
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Friedrich Düsel:
Haar ähnlich sieht, daß er ständig mit ihm ver= ironie“ daran zu wetzen (deutsch von Siegfried
wechselt wird
Emanuel Reicher spielte Trebitsch; Berlin, S. Fischer). Auch Shaw also
die Doppelrolle mit großer Virtuosität — macht gehört zu denen, die an alten heiligen Gewän¬
eines Tages den Gedanken, mit dem er längst dern zupfen, um zu sehen, was denn eigentlich,
geliebäugelt hat, wahr: er läßt in einem Tumult rein menschlich betrachtet, dahinter steckt. Der
den echten König verhaften und spielt statt seiner
siebenundzwanzigjährige Sieger von Lodi, der
den Tyrannen und Landesvater. Das wird ihm
„erbarmungslose Kanonier des politischen Wirr¬
um so leichter, als beide, der echte wie der un¬
warrs“, steht denn vor seiner respektlosen Skepsis
echte König, im Grunde gleich hohl und schatten¬
auch bald gar armselig und bloß da, schwankend
haft sind; mit ein paar erhabenen Phrasen und
zwischen kindischer Schwäche und schauspieleri¬
großtnerischen Gebärden, meint der Satiriker
scher Pose. Am Ende der quecksilbernen, sich
Paul, läßt sich das ganze Handwerk verrichten, selbst immer wieder durchkreuzenden, mit geistrei¬
Aber dem vereinten An¬
chen Sarkasmen gespick¬
sturm seines verlassenen
ten Handlung sehen wir
Weibes, der Mutter
den „Schlachtenlenker“,
seines Kindes, und sei¬
wie er sich, von einer
ner Geige, die man
pikanten Abenteurerin,
ihm heimlich hingelegt
die Agnes Sorma mit
verführerischer Grazie
hat, gelingt es bald,
den falschen König zu
spielte, durchschaut und
überlistet, mit ihr über
entlarven, ihn seiner
Kunst, den echten Kö¬
das Licht beugt, daran
#nig seinem Throne zu¬
ein aufgefangener, seine
rückzugeben. Die Welt
Frau bloßstellender Lie¬
geht ihren Lauf weiter,
besbrief verkohlt, den
wie sie es getan haben
zu lesen er zu feig war,
würde, wenn der Geiger
bei dessen noch warmer
ferner das Königskleid
Asche mit verlangenden
Augen bei der schönen
getragen, der gekrönte
König weiter im Kerker
Gefährtin um Erhörung
und Entschädigung zu
geschmachtet oder nie¬
betteln er sich aber weder
mals in seiner Re¬
giererei gestört worden
zu sehr Gott noch zu
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wenig Mensch fühlt.
wäre. Hier findet Paul
Sind schon hier, bei
die Furchen, in welche
4
Paul und Shaw, die
er die Drachensaat sei¬
Weltgeschichte mitsamt
ner Simplicissimuswitze
den Großen dieser Erde
ausstreuen kann. Doch
trifft seine Satire ei¬
fast zu Karnevalsfiguren
geworden, so führt uns
gentlich nirgends ins
Herz der Dinge. In
Ludwig Fulda in
der verwegenen Mi¬
seinem Faschingsscherz
Agnes Sorma als Minna von Barnhelm (4. Aufzug).
„Lästige Schönheit“
schung von Phantastik
Nach der Aufführung im „Neuen Theater“ zu Berlin.
vollends und wirklich
und Realistik ist Wede¬
kind seinem sinnischen Kollegen weit überlegen, ins lustige Reich der Maske und des Domino.
beide aber sind gleich weit davon entfernt, einen Eine schöne Frau Kastiliens hat nur den einen
Kummer, daß alle Welt von ihren schönen Augen,
festen Pol in dem wirren Durcheinander von
Scherz und Ernst, Satire und tieferer Bedeutung
ihrem schönen Haar, ihren schönen Augen spricht,
niemand aber je danach fragt, ob dazu auch ein
zu finden, von dem aus allein die zersetzten und
zerstreuten Glieder des Komischen und Tragischen
kluger Kopf und eine schöne Seele gehöre. Erst
auf einem Maskenfest, da ihre äußeren Reize
zur künstlerischen Einheit der Tragilomödie oder
vom Kostüm verhüllt sind, erlebt sie es zu ihrem
meinetwegen der Komitragödie sich organisieren
Erstaunen, daß ein fremder Ritter sich zuerst in
könnten. Vielleicht aber ging Pauls Ehrgeiz
ihren Geist und in ihr Herz verliebt. Nun will
gar nicht so hoch, und er läßt sich dran genügen,
sie gleich auch die Probe aufs Exempel machen.
eine prickelnde Abendunterhaltung geschaffen zu
Seine verschwiegene Hoffnung, daß mit der schö¬
haben mit allerlei glitzernden Lichtern, wie sie
nen Seele sich auch ein schöner Körper paare,
sonst nicht überall angezündet werden; dann soll
zerstört sie ihm deshalb gründlich, indem sie ver¬
ihm gern das Zeugnis eines artigen Planderers
sichert, daß sie häßlich sei, häßlich wie ein Uhn.
und Stundenkürzers ausgestellt werden.
Ihm und seinem Kollegen, dem Iren Ver= Aber siehe da! der standhafte Ritter läßt sich
nicht verwirren. Die Seele allein ist's, die ihn
nard Shaw, welcher sich in seiner vom Ber¬
an Donna Clara bezaubert. Da erbarmt sie
liner „Neuen Theater“ aufgeführten Komödie
„Der Schlachtenienker“ den großen Na= sich endlich — die Schönheit ist ihr nun ja nicht
poleon auserkoren hat, um seine „Geschichts= mehr lästig —, nimmt die Maske vom Gesicht
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raten, wie das Alter sich a
Es kommt nicht unter S
Gleich einem Herbstgewitt
Es schleichi verstohlen auf
An unser Lager geisterglen
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