VI, Allgemeine Besprechungen 1, W. Fred Wiener Moderne, Seite 2

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Panphletsofforints
1224 „Die Redenden Künste“, Zeitschrift für Musik und Litteratur, III. Jahrgang 1896/97.
Litteratur; wir brauchen solche und sollen sie ehren. Man soll auch ihre Arbeiten
verzeichnen und ihre Entwicklungen beobachten. Nur soll man ihre redliche
Arbeit nicht für die grosse, lichte Kunst halten.
Die andern sind spärlich gesäet, Einen habe ich hier schon zu zeichnen
versucht, den Hermann Bahr, den kritischen Führer der Wiener Moderne.
Stiller verträumter, im Geiste weniger jung, aber mehr Wiener ist Arthur
Schnitzler.
Nur wenige Jahre sind her, dass man ihn in Wien kennt; im Reiche sind
erst seine letzten dramatischen Arbeiten bekannt geworden.
Er ist ein Dichter. Das heisst: er weiss bedeutsames zu erlebe:, fühlt sein
Erlebnis als solches und kann diesem dann würdigen Ausdruck verleihen. In
seinen Dichtungen ist kein lautes Pathos. Wie ja unser Wiener Leben meistens
nur bei kleinen Anlässen laut tönt, der grosse Zug des Lebens aber hier stiller
und heimlicher ist als anderswo.
Es sind Bücher des Friedens, die er gedichtet hat. Man muss nicht schau¬
dern und nicht erschrecken, wenn man sein Schauspiel „Liebelei“ im Theater sieht
oder seine Novelle „Sterben“ liest: aber weinen kann man, und braucht sich dieser
Thränen nicht zu schämen, die uns selig machen und eine leichte, liebe Stimmung
verbreiten. Seine Werke sind aber bei weitem nicht rührselig; seine Töne sind
eher zart als weich.
Die Skizzensammlung „Anatol“*) enthält eine Reihe kurzer Gespräche, Man
kann hier nicht von „Technik“ sprechen. Das „süsse Mädel“
— das Wort ist ja
bekannt geworden —, der Wiener Jüngling Anatol und sein Freund sprechen So,
wie ein jeder von uns hat schon sprechen hören. Die Wiener jungen Leute müssen
sich da wiedererkennen. So sind wir. Etwas weich, manchmal bei aller Jugend
auch altväterisch, dann auch stark egoistisch, aber im allgemeinen doch „lieb“.
Und die Wiener süssen Mädel sind auch so wie die immer wechselnden Freun¬
dinnen Anatols: Kinder, die sich gerne täuschen lassen, schnell die Zucker¬
schichte der Lebensstille wegnaschend, trotzdem sie den bitteren Kern darunter
wissen.
Stark ausgeprägt und jedem fühlbar, werden diese Gestalten in dem Schau¬
spiel „Liebelei“, das im Wiener Burgtheater vor zwei Jahren so gewirkt und auch
in Deutschland den Ruf Schnitzlers begründet hat.
Man kann Bilder aus dem Leben im Roman oder im Theaterstück zeichnen,
indem man Typen vorführt und deren Eigenschaften auf einander wirken lässt oder
indem man einzelne merkwürdige Persönlichkeiten aus einer Menge heraushebt
und durch die Verschiedenheit ihrer besonderen Eigenschaften die dramatische Ver¬
wicklung herbeiführt. Das erste hat Arthur Schnitzler in der „Liebelei“, das zweite
in der Novelle „Sterben“ gemacht. Die Personen der „Liebelei“ sind durchwegs
Typen, mit einer kleinen Verschiedenheit sogar ein und derselbe Typus. Eine der
auftretenden Personen heisst am Theaterzettel „Ein Herr“; kurz, ohne Namen, den
man, wie Lebensstellung und näheren Charakter, auch nicht erfährt. So hätte
Schnitzler auch die anderen bloss, zwei Wiener Mädel, zwei Jünglinge usw. nennen
können. Das eine Paar ist der Wiener Typus, wie er gang und gäbe ist: ein vom
Moralisten sehr verachteter Typus, was das Mädchen anbelangt. Dieser nennt sie
eine Grisette oder im Affekt eine — Dirne, Schnitzler nennt sie ein „süsses Mädel“.
Die beiden, ihn braucht man gar nicht zu charakterisieren, leben miteinander leicht
dahin, ein paar Wochen oder Monate lang, dann gehen sie still ohne Scene aus¬
einander. Sie machen in ihrem „Verhältnis“ keine grossen Sprünge, sie „lieben“
sich auch nicht, sondern „haben sich gern“.
Durch eine kleine Variation ist aus diesem sorglosen Paar der zweite Typus
entstanden, den die beiden andern verkörpern. Dieses Paar nimmt das Leben ernst.
„Anatol“, „Liebelei“, „Sterben“, sowie überhaupt alle bisher erschienenen Werke Arthur
Schnitzlers, sind in Berlin bei S. Fischer verlegt.