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1. Panphlets offorints
Jung-Deutschland.
Neue Folge des „Liebetraut“
Von deutscher Art und Kunst.
Herausgegeben von Max Beyer, Saarbrücken.
Verlag S. Dyck, Eberswalde.
Juli.
1900.
Erscheint monatlich, die einzelne Nummer 40 Pfg. Abonnementspreis
vierteljährlich inkl. Porto 1 Mk., jährlich 4 Mk. Zu beziehen durch alle
Buchhandlungen, sowie direkt vom Verlag.
Wiener Schriftsteller.
Von HugoOehler (Graz).
Nirgends auf dieser Welt ist es leichter, sich als Schriftsteller einen
Namen zu machen, als in Wien. Man braucht nämlich nur in einem der
besseren Litteratencafes öfters seine Zeche schuldig zu bleiben und man ist
der Herr Doktor, der Herr Redakteur..
Ein Gymnasiast, der in der sechsten Klasse in Deutsch eine unge¬
nügende Note erhalten hatte und sich durch dieses Zeugnis berufen fühlte
Schriftsteller zu werden, sagte einmal allen Ernstes zu mir: „Was, Sie
zahlen sich Ihren Kaffee? Sie sind ja kein Dichter!“
Man irrt aber, wenn man ganz Jung-Wien, die ganze künstlerische
neue Bewegung von dieser dumpfigen Kaffeehausatmosphäre aus betrachtet.
Es giebt unter dieser grossen Schar von Litteraturgigerln, Schmöcken, Tauge¬
nichtsen, Tagedieben und Lokalreportern auch Menschen, deren tiefer Geist,
ernstes Wissen, schöne Sprache und edles Denken sie berechtigen, Schrift¬
steller zu sein, ja deren Werke zu den bedeutendsten gehören, die seit den
letzten drei Dezennien geschaffen worden sind.
Der grösste Oesterreicher, der Besten einer überhaupt, ist der Wiener
Arthur Schnitzler. Seine Schauspiele haben sich die Bühnen der ganzen Welt
erobert. Seine Novellen kennt und liebt heutzutage wohl jeder gebildete
Deutsche. Gemütstiefe, sprudelnder Witz, ein Gemisch echt französischen
Esprits mit alter Wiener Gemütlichkeit, geistvoller, pikanter, geradezu
klassisch moderner Dialog, seltene Menschenkenntnis, wunderbares Auffassen
der wirksamen, bühnensicheren Effekte, das sind Arthur Schnitzlers wesent¬
liche Vorzüge, die ihn weit über seine anderen Wiener Kollegen stellen. Er
bildet eine Grösse, einen leuchtenden Stern für sich, und seine Schreibweise,
die Schilderung seiner, wenn auch engen, so doch schönen, gemütlichen,
reizenden Welt hat nicht nur in Oesterreich Schule gemacht. Die „süssen
Vorstadtmädeln“ überfluten die Bühnen, und es giebt in den Theaterschulen
Schauspielerinnen, die sich direkt für das Fach der „Wiener Schnitzlermädeln“
ausbilden, Doch nicht nur als Dramatiker hat Schnitzler die grössten Erfolge
aufzuweisen, es sind nicht nur seine Stücke „Liebelei“, „Freiwild“, „Das
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1. Panphlets offorints
Jung-Deutschland.
Neue Folge des „Liebetraut“
Von deutscher Art und Kunst.
Herausgegeben von Max Beyer, Saarbrücken.
Verlag S. Dyck, Eberswalde.
Juli.
1900.
Erscheint monatlich, die einzelne Nummer 40 Pfg. Abonnementspreis
vierteljährlich inkl. Porto 1 Mk., jährlich 4 Mk. Zu beziehen durch alle
Buchhandlungen, sowie direkt vom Verlag.
Wiener Schriftsteller.
Von HugoOehler (Graz).
Nirgends auf dieser Welt ist es leichter, sich als Schriftsteller einen
Namen zu machen, als in Wien. Man braucht nämlich nur in einem der
besseren Litteratencafes öfters seine Zeche schuldig zu bleiben und man ist
der Herr Doktor, der Herr Redakteur..
Ein Gymnasiast, der in der sechsten Klasse in Deutsch eine unge¬
nügende Note erhalten hatte und sich durch dieses Zeugnis berufen fühlte
Schriftsteller zu werden, sagte einmal allen Ernstes zu mir: „Was, Sie
zahlen sich Ihren Kaffee? Sie sind ja kein Dichter!“
Man irrt aber, wenn man ganz Jung-Wien, die ganze künstlerische
neue Bewegung von dieser dumpfigen Kaffeehausatmosphäre aus betrachtet.
Es giebt unter dieser grossen Schar von Litteraturgigerln, Schmöcken, Tauge¬
nichtsen, Tagedieben und Lokalreportern auch Menschen, deren tiefer Geist,
ernstes Wissen, schöne Sprache und edles Denken sie berechtigen, Schrift¬
steller zu sein, ja deren Werke zu den bedeutendsten gehören, die seit den
letzten drei Dezennien geschaffen worden sind.
Der grösste Oesterreicher, der Besten einer überhaupt, ist der Wiener
Arthur Schnitzler. Seine Schauspiele haben sich die Bühnen der ganzen Welt
erobert. Seine Novellen kennt und liebt heutzutage wohl jeder gebildete
Deutsche. Gemütstiefe, sprudelnder Witz, ein Gemisch echt französischen
Esprits mit alter Wiener Gemütlichkeit, geistvoller, pikanter, geradezu
klassisch moderner Dialog, seltene Menschenkenntnis, wunderbares Auffassen
der wirksamen, bühnensicheren Effekte, das sind Arthur Schnitzlers wesent¬
liche Vorzüge, die ihn weit über seine anderen Wiener Kollegen stellen. Er
bildet eine Grösse, einen leuchtenden Stern für sich, und seine Schreibweise,
die Schilderung seiner, wenn auch engen, so doch schönen, gemütlichen,
reizenden Welt hat nicht nur in Oesterreich Schule gemacht. Die „süssen
Vorstadtmädeln“ überfluten die Bühnen, und es giebt in den Theaterschulen
Schauspielerinnen, die sich direkt für das Fach der „Wiener Schnitzlermädeln“
ausbilden, Doch nicht nur als Dramatiker hat Schnitzler die grössten Erfolge
aufzuweisen, es sind nicht nur seine Stücke „Liebelei“, „Freiwild“, „Das
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