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PanphletsOfforints
JUNG-DEUTSCHLAND.
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Märchen“, „Der grüne Kakadu“, „Paracelsus“, „Die Gefährtin“, „Das Ver¬
mächtnis“, die ihm seinen grossen Namen gemacht haben, auch seine Novellen
gehören zu den Besten ihrer Zeit. Sein dramatischer Novellencyklus
„Anatol“ ist ein Wunderwerk geistreicher Einfälle, eine geradezu verblüffende
Menschenkenntnis, ein tiefer Born, eine unversiegliche Quelle goldenen
Humors zeigt sich darin den Lesern. Tragisch endet seine beste Novelle
„Sterben“, wohl Schnitzlers Meisterwerk. Mit grossartiger Fachkenntnis,
mit einer Wahrheitsliebe, einer Präzision, die an Zola gemahnt, einer Kraft
und einer Fülle von Geist, die wir bei deutschen Dichtern fast gar nicht
gewohnt sind, schildert er das Ende eines Lungenkranken, dessen Liebes¬
und Leidensgeschichte. Auf Arthur Schnitzler kann Oesterreich stolz sein,
er ist sein grösster, vielleicht einziger lebender Dichter.
Nach ihm, eigentlich weit hinter ihm, folgt eine grosse Menge Schrift¬
steller, die sich bereits einen Namen gemacht haben, die aber zum grössten
Teil viel dazuthun, um sich ihn wieder zu verscherzen.
C. Karlweis, unser „Volksdichter“, ein sehr begabter, etwas spiesserhafter
Herr mit kaustischem Witz, der aber Niemanden weh thun will, und der in
seiner Güte immer die Welt um Entschuldigung bittet, wenn er ein gutes,
treffendes satirisches Zeitbild verfasst hat. Seine Komödien „Der kleine
Mann“, „Goldene Herzen“ und vor allem seine letzte, „Onkel Toni“, sind
wirklich recht gute, volkstümliche Stücke.
Der Bühnenfabrikant Viktor Léon hat unter seinen zahlreichen Volks¬
stücken und seinen zahllosen Operetten nur ein gutes Werk geschrieben, das
ihn meiner Ansicht nach überdauern dürfte, und dieses Stückes halber wollen
wir ihm alle anderen verzeihen. Es heisst „Gebildete Menschen“.
Hermann Bahr ist auch ein Schriftsteller. Er ist, wie die amerikanischen
Excentricklowns, eine „gute Nummer“ im Schriftstellervarieté. Er ist immer
eigenartig, immer verrückt. Aber verrückt — mit Geist! Ein Mensch, den
man am liebsten einsperren möchte, weil er = zuviel Verstand hat, d. h. weil
er ihn immer an unrichtiger Stelle gebraucht. Da er jetzt Redakteur beim
„Neuen Wiener Tageblatt“ geworden, so ist er hoffentlich für die Litteratur
ziemlich unschädlich gemacht.
Felix Dörmann, Leo Ebermann haben sich trotz ihrer Jugend bereits
überlebt. Ersterer fällt nur noch durch, letzterer schreibt gar nichts mehr.
Den immer geistreichen, ungemein begabten Georg Hirschfeld können wir
jetzt den unseren nennen. Seit vorigem Jahre wohnt er mit seiner iungen
Gattin in Hietzing.
Beer-Hofmann und Hugo v. Hofmannsthal werden nach wie vor überschätzt.
besonders von sich selbst.
Sehr begabt ist die Romanschriftstellerin Emil Marriot. Nach der
Ebner-Eschenbach wohl die talentirteste österreichische Frau.
Von den Lyrikern kann man Paul Wertheimer und den alternden
Ferdinand v. Saar hinnehmen.
J. J. David ist ein sehr begabter Romancier, ein recht empfindender
Lyriker. Auch Stefan Zweig, der jüngste unter allen, zeigt recht schöne Anlagen.
Mit der, von den misslichen politischen Zuständen zurückgedrängten
PanphletsOfforints
JUNG-DEUTSCHLAND.
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Märchen“, „Der grüne Kakadu“, „Paracelsus“, „Die Gefährtin“, „Das Ver¬
mächtnis“, die ihm seinen grossen Namen gemacht haben, auch seine Novellen
gehören zu den Besten ihrer Zeit. Sein dramatischer Novellencyklus
„Anatol“ ist ein Wunderwerk geistreicher Einfälle, eine geradezu verblüffende
Menschenkenntnis, ein tiefer Born, eine unversiegliche Quelle goldenen
Humors zeigt sich darin den Lesern. Tragisch endet seine beste Novelle
„Sterben“, wohl Schnitzlers Meisterwerk. Mit grossartiger Fachkenntnis,
mit einer Wahrheitsliebe, einer Präzision, die an Zola gemahnt, einer Kraft
und einer Fülle von Geist, die wir bei deutschen Dichtern fast gar nicht
gewohnt sind, schildert er das Ende eines Lungenkranken, dessen Liebes¬
und Leidensgeschichte. Auf Arthur Schnitzler kann Oesterreich stolz sein,
er ist sein grösster, vielleicht einziger lebender Dichter.
Nach ihm, eigentlich weit hinter ihm, folgt eine grosse Menge Schrift¬
steller, die sich bereits einen Namen gemacht haben, die aber zum grössten
Teil viel dazuthun, um sich ihn wieder zu verscherzen.
C. Karlweis, unser „Volksdichter“, ein sehr begabter, etwas spiesserhafter
Herr mit kaustischem Witz, der aber Niemanden weh thun will, und der in
seiner Güte immer die Welt um Entschuldigung bittet, wenn er ein gutes,
treffendes satirisches Zeitbild verfasst hat. Seine Komödien „Der kleine
Mann“, „Goldene Herzen“ und vor allem seine letzte, „Onkel Toni“, sind
wirklich recht gute, volkstümliche Stücke.
Der Bühnenfabrikant Viktor Léon hat unter seinen zahlreichen Volks¬
stücken und seinen zahllosen Operetten nur ein gutes Werk geschrieben, das
ihn meiner Ansicht nach überdauern dürfte, und dieses Stückes halber wollen
wir ihm alle anderen verzeihen. Es heisst „Gebildete Menschen“.
Hermann Bahr ist auch ein Schriftsteller. Er ist, wie die amerikanischen
Excentricklowns, eine „gute Nummer“ im Schriftstellervarieté. Er ist immer
eigenartig, immer verrückt. Aber verrückt — mit Geist! Ein Mensch, den
man am liebsten einsperren möchte, weil er = zuviel Verstand hat, d. h. weil
er ihn immer an unrichtiger Stelle gebraucht. Da er jetzt Redakteur beim
„Neuen Wiener Tageblatt“ geworden, so ist er hoffentlich für die Litteratur
ziemlich unschädlich gemacht.
Felix Dörmann, Leo Ebermann haben sich trotz ihrer Jugend bereits
überlebt. Ersterer fällt nur noch durch, letzterer schreibt gar nichts mehr.
Den immer geistreichen, ungemein begabten Georg Hirschfeld können wir
jetzt den unseren nennen. Seit vorigem Jahre wohnt er mit seiner iungen
Gattin in Hietzing.
Beer-Hofmann und Hugo v. Hofmannsthal werden nach wie vor überschätzt.
besonders von sich selbst.
Sehr begabt ist die Romanschriftstellerin Emil Marriot. Nach der
Ebner-Eschenbach wohl die talentirteste österreichische Frau.
Von den Lyrikern kann man Paul Wertheimer und den alternden
Ferdinand v. Saar hinnehmen.
J. J. David ist ein sehr begabter Romancier, ein recht empfindender
Lyriker. Auch Stefan Zweig, der jüngste unter allen, zeigt recht schöne Anlagen.
Mit der, von den misslichen politischen Zuständen zurückgedrängten