VI, Allgemeine Besprechungen 1, Richard Charmatz, Seite 4

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Panphlets offprints
Wiener Litteraten.
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Trotzdem ist er der feinste Seelenmaler, der mit eigenartigen, verschwommenen
und doch glänzenden Farben seine Gestalten malt. Diese sind jedoch nicht
aus der Wirklichkeit geholt, sondern Traumgebilde. Aber es geht von ihnen
ein sonderbarer Zauber aus, wir vergessen, daß es Phantome sind und
fühlen mit. Ja, wir folgen ihnen willig in ihre, weit in der Geschichte
zurückliegende, Zeit und verleugnen uns selbst. Wer Muße hat, um
an einem schönen Sommernachmittag im duftigen Grün ein Stündchen
sorgenlos zu verweilen, wird in Hofmannsthals Werken erlesenen Genuß
finden. Man legt seine Bücher nicht aus der Hand, ohne eine leises,
wonniges Nachklingen zu empfinden. So zarte Dichtungen können nicht
recht den Dunst und die Lauschermenge des Theaters vertragen. Kein
Wunder, wenn bisher keines der dramatischen Gedichte auf der Bühne
festen Fuß fassen konnte. Aber Hofmannsthal ist jung und eine reiche
Arbeitszeit liegt vor ihm, vielleicht lernt er auch das Leben besser verstehen,
ein bißchen Lebenswahrheit. Sein Talent ist stark und unleugbar, bei
sorgsamer Pflege müßte es herrlich erblühen. Der Dichter, der so gerne
bei den Bildern und dem scheinbaren Frieden der Vergangenheit weilt,
hat eine vielversprechende Zukunft.
M. E. delle Grazie ist im besten Sinne des Wortes Dichterin.
Jeder Zoll, jedes Gefühl ist Doesie. Ihre Wiege stand in Ungarn,
und viel von dem Temperament dieses Landes liegt in ihrem Wesen.
An einem Dollmondabend ging ich heuer über eine ungarische Land¬
straße, da tönte vom nächsten Dorfe Musik an mein Ohr. Ungarisches
Geigenspiel — selig, jauchzend, schwärmerisch und wieder sinnend, klagend
und glücklich zugleich. Damals zogen mir delle Grazies Dichtungen
durch den Sinn. Ungarisches Blut und Leben mit deutscher Kultur!
Die Dichterin ist die formvollendeteste Sprachmeisterin und die gemüt¬
vollste Kennerin der Frauenseele, deren süßestes Erklingen sie mit derselben
Dirtuosität wiederzugeben vermag, wie das wuchtige Aufbrausen
entfesselter Leidenschaft. Sie beherrscht alle Tonarten des weiblichen
Empfindens und zeigt uns dieses mit einer Unmittelbarkeit, welche uns
kaum glauben läßt, es seien die Erlebnisse Dritter. Delle Grazie hat
das Leben durchkostet und taumelt nicht nur im Sonnenglanze des Daseins.
Sie hat ein warmschlagendes Herz für die Leiden der Menschheit und
giebt ihrem Mitgefühl erschütternden Ausdruck.
Losgerungen aus dem Schoße
Der entgötterten Natur,
Sah die Menschheit, friedlos, zagend,
Überall des Jammers Spur ¬
Weh! — gleich einem Gott am Kreuze
Blutet nun ihr krankes Herz,
Und vom Himmel der Geschichte
Starrt gebroch'nen Aug's der Schmerz.
Die stimmungsvolle Dichterin der Liebe hat in einem sprachschönen,
handlungsreichen Epos die französische Revolution besungen. Sie kennt