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Weressajew Atemnot bei Typhus mit Koloquinten. Ein Kollege, der dazu gerufen
wird, öffnet den Mund des schwer benommenen Kranken und fördert eine ganze
Ladung von Schleim aus den oberen Luftwegen. Wenn unter Ihnen, meine Herren,
ein Mediziner aus dem ersten klinischen Semester ist, der zufällig das erste Kapitel
des ersten Bandes vomStrümpelle einmal durchgelesen, so würde er sagen, mein
lieber Herr Weressajew lesen sie erst ihren =Strümpellz, den sie auf jeder Seite
zitieren, genauer, bevor sie solche Bücher schreiben. Im selbigen Strümpelle steht
unter dem Kapitel Typhus auf etwa sechs Seiten die Mahnung, eine möglichst
sorgfältige Mundpflege einzuleiten und sind die Stomatitis sowie alle die Kompli¬
kationen aufgezählt, die bei Typhus das Verschlucken von Schleim seitens des
schwer benommenen Patienten verursachen können. Eine ähnliche Mahnung findet
sich übrigens naturgemäß auf jeder zehnten Seite des Strümpells. Nicht wahr? Wie
gleicht Werassajew dem von Billroth entworfenen Konterfei eines Arztes, wie er nicht
sein soll, der bei jedem Falle aus seiner zusammengeklaubten Bibliothek ein falsches
Buch aus einer falschen Lade erwischt. Mit dieser illustrierten Krankengeschichte
ist der Arzt Weressajew abgetan. Es bleibt nur mehr der Ethiker und soziale
Schriftsteller Weressajew. Nun der Ethiker Weressajew, der sich zartfühlend
davor scheut, bei einer jungen Dame die Milz zu palpieren, erzählt in seinem
Buche, das er ausdrücklich für Laien bestimmt, auf ungefähr vierzig Seiten über
Impfversuche von venerischen Krankheiten und ergeht sich dabei in die intimsten
Details. Ein Teil der Versuche ist natürlich entstellt. Einen Teil muß Weressajew selbst
als von der Arztewelt lebhaft getadelte Ausschreitungen bezeichnen. Aber gerade
dlieses Kapitel zeigt so deutlich, zu welchen Monstrositäten sich solch falsche Volks¬
aufklärung versteigt. Ja und ebenderselbe Weressajew, der hundertmal versichert,
daß die einzige Grundlage für ein gedeihliches Wirken der Arzte das unbegrenzte
Vertrauen des Publikums ist, versucht auf jeder Seite hundertmal dieses Vertrauen
zu untergraben. Und dieser Hochverrat an seiner Wissenschaft kann durch alle
jene Stellen, an welchen er einen dabei recht langweiligen Verteidiger der Arzte
spielt, nicht wieder gutgemacht werden. Das Traurige aber ist, daß der Arzte¬
stand gegen solche Bücher ebenso wehrlos ist, wie der einzelne Arzt gegen die
Verleumdung.
Einer Osterreicherin, der Gräfin Salburg, blieb der traurige Ruhm vorbehalten,
einen Roman gegen die junge Wiener Schule zu schreiben. Dem ironischen Titel
Humanitass steht die Devise der Wiener Schule Nur ein guter Mensch
kann ein guter Arzt seine in goldenen Lettern gegenüber, so daß ich kaum
glaube, besonders in diesem Saale hier die Wiener Schule gegen diesen Kolportage¬
roman verteidigen zu müssen.
Ilse Frapans Buch -Arbeit, mein Opiume ist zu einer eingehenden Betrachtung
zu spät erschienen. In der energischen Zurückweisung aber, die die Angriffe dieses
Buches in einer eigenen Versammlung der Züricher Professoren und Studenten
erfahren hat, sehe ich eine Bestätigung für die Wichtigkeit, die Literatur auch in
unserer Versammlung zu besprechen. Wer sich aber dann von der vorerwähnten
angreifenden Lektüre erholen will, der findet zahlreiche Bücher von hervorragenden
Arzten über den Arztestand geschrieben. Ich verweise hier nur kurz auf die Spezial¬
schriften von Billroth, Kußmaul, Ughetti, Mantegazza, Gersuny u. a. Eine ein¬
gehende Würdigung derselben würde einen besonderen Bericht erfordern.
Der Geist, der durch diese Bücher weht, findet seinen kräftigen Widerhall
in einem Romane, den ich mir zum Schlusse aufgespart, da er ein ausschlie߬
lich sozial-ärztlicher Roman ist. Es ist dies auch ein Österreicher, Dr. Heinrich
v. Schullern, dem wir einen Roman, Arztee betitelt, danken. Dieser Roman
sollte von Arzten gelesen, den Patienten als Gegenmittel gegen das Weressajew¬
Gift empfohlen, den Abiturienten aber in die Hand gegeben werden, damit diese,
die sich teils von jugendlichem Idealismus, teils von materiellen Hoffnungen genarrt,
dem Studium der Medizin zuwenden, ein richtiges Bild von dem Dornenwege er¬
halten, den sie betreten wollen.
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Weressajew Atemnot bei Typhus mit Koloquinten. Ein Kollege, der dazu gerufen
wird, öffnet den Mund des schwer benommenen Kranken und fördert eine ganze
Ladung von Schleim aus den oberen Luftwegen. Wenn unter Ihnen, meine Herren,
ein Mediziner aus dem ersten klinischen Semester ist, der zufällig das erste Kapitel
des ersten Bandes vomStrümpelle einmal durchgelesen, so würde er sagen, mein
lieber Herr Weressajew lesen sie erst ihren =Strümpellz, den sie auf jeder Seite
zitieren, genauer, bevor sie solche Bücher schreiben. Im selbigen Strümpelle steht
unter dem Kapitel Typhus auf etwa sechs Seiten die Mahnung, eine möglichst
sorgfältige Mundpflege einzuleiten und sind die Stomatitis sowie alle die Kompli¬
kationen aufgezählt, die bei Typhus das Verschlucken von Schleim seitens des
schwer benommenen Patienten verursachen können. Eine ähnliche Mahnung findet
sich übrigens naturgemäß auf jeder zehnten Seite des Strümpells. Nicht wahr? Wie
gleicht Werassajew dem von Billroth entworfenen Konterfei eines Arztes, wie er nicht
sein soll, der bei jedem Falle aus seiner zusammengeklaubten Bibliothek ein falsches
Buch aus einer falschen Lade erwischt. Mit dieser illustrierten Krankengeschichte
ist der Arzt Weressajew abgetan. Es bleibt nur mehr der Ethiker und soziale
Schriftsteller Weressajew. Nun der Ethiker Weressajew, der sich zartfühlend
davor scheut, bei einer jungen Dame die Milz zu palpieren, erzählt in seinem
Buche, das er ausdrücklich für Laien bestimmt, auf ungefähr vierzig Seiten über
Impfversuche von venerischen Krankheiten und ergeht sich dabei in die intimsten
Details. Ein Teil der Versuche ist natürlich entstellt. Einen Teil muß Weressajew selbst
als von der Arztewelt lebhaft getadelte Ausschreitungen bezeichnen. Aber gerade
dlieses Kapitel zeigt so deutlich, zu welchen Monstrositäten sich solch falsche Volks¬
aufklärung versteigt. Ja und ebenderselbe Weressajew, der hundertmal versichert,
daß die einzige Grundlage für ein gedeihliches Wirken der Arzte das unbegrenzte
Vertrauen des Publikums ist, versucht auf jeder Seite hundertmal dieses Vertrauen
zu untergraben. Und dieser Hochverrat an seiner Wissenschaft kann durch alle
jene Stellen, an welchen er einen dabei recht langweiligen Verteidiger der Arzte
spielt, nicht wieder gutgemacht werden. Das Traurige aber ist, daß der Arzte¬
stand gegen solche Bücher ebenso wehrlos ist, wie der einzelne Arzt gegen die
Verleumdung.
Einer Osterreicherin, der Gräfin Salburg, blieb der traurige Ruhm vorbehalten,
einen Roman gegen die junge Wiener Schule zu schreiben. Dem ironischen Titel
Humanitass steht die Devise der Wiener Schule Nur ein guter Mensch
kann ein guter Arzt seine in goldenen Lettern gegenüber, so daß ich kaum
glaube, besonders in diesem Saale hier die Wiener Schule gegen diesen Kolportage¬
roman verteidigen zu müssen.
Ilse Frapans Buch -Arbeit, mein Opiume ist zu einer eingehenden Betrachtung
zu spät erschienen. In der energischen Zurückweisung aber, die die Angriffe dieses
Buches in einer eigenen Versammlung der Züricher Professoren und Studenten
erfahren hat, sehe ich eine Bestätigung für die Wichtigkeit, die Literatur auch in
unserer Versammlung zu besprechen. Wer sich aber dann von der vorerwähnten
angreifenden Lektüre erholen will, der findet zahlreiche Bücher von hervorragenden
Arzten über den Arztestand geschrieben. Ich verweise hier nur kurz auf die Spezial¬
schriften von Billroth, Kußmaul, Ughetti, Mantegazza, Gersuny u. a. Eine ein¬
gehende Würdigung derselben würde einen besonderen Bericht erfordern.
Der Geist, der durch diese Bücher weht, findet seinen kräftigen Widerhall
in einem Romane, den ich mir zum Schlusse aufgespart, da er ein ausschlie߬
lich sozial-ärztlicher Roman ist. Es ist dies auch ein Österreicher, Dr. Heinrich
v. Schullern, dem wir einen Roman, Arztee betitelt, danken. Dieser Roman
sollte von Arzten gelesen, den Patienten als Gegenmittel gegen das Weressajew¬
Gift empfohlen, den Abiturienten aber in die Hand gegeben werden, damit diese,
die sich teils von jugendlichem Idealismus, teils von materiellen Hoffnungen genarrt,
dem Studium der Medizin zuwenden, ein richtiges Bild von dem Dornenwege er¬
halten, den sie betreten wollen.