VI, Allgemeine Besprechungen 1, 1-13, Bruno Fellner, Seite 7

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1. Panphlets offprints
Das Buch schildert bloß die verschiedenen Leidensstationen, die der Arzt
in der Praxis durchmessen muß. Mit begeisterter Liebe für seinen Stand schildert
der Verfasser, wie ein junger Arzt in die Praxis geht, in den Kampf um die
Patienten, für dieselben und auch mit ihnen gerät. Opfermutig und hilfsbereit,
mit allem Rüstzeug der Wissenschaft ausgestattet, muß er erst die größten De¬
mütigungen mitmachen, sich vor jedermann erniedrigen, bis er überhaupt zu
Patienten kommt. Wie muß er weiterkämpfen gegen die Beschränktheit der Kleinen,
gegen den Dünkel der Großen, gegen die Undankbarkeit beider und gegen die
Mißgunst und die Inkollegialität der Kollegen. Und endlich erreicht er die ersehnte
soziale Stellung, aber wie erscheint sie ihm jetzt in der nackten Wirklichkeit?
Sein Arbeitstag umfaßt 24 Stunden. Jede Laune des Patienten ruft ihn von der
jungen Gattin fort. Ja, darf der Arzt überhaupt Familie haben, kann er für sie
leben wie ein anderer? Dafür ist wohl seine Einnahme glänzend? Hunderte von
armen Patienten, Bezahlungen, die ein Dienstmann zurückweisen würde, und zwar
energisch; säumige bemittelte Schuldner darf er nicht klagen, das ist standes¬
widrig, aber nett muß er sich kleiden, nett muß er wohnen, nett gegen alle Leute
sein, kurz nett verhungern. Aber dafür hat er eine schöne, moralische Stellung.
Freilich, ein Schuster würde auf Ehrenbeleidigung klagen, wenn man seine Stiefeln
so zu bekritteln wagte, wie dies jeder Schuster mit den Leistungen des Arztes
sich erlaubt. Uberall Undank und Verleumdung. Das geringste Versäumnis und man
droht mit der Klage. Doch nicht nur hart am Kriminale geht der Arzt oft vorbei,
wie nahe steht er so oft dem Grabe. Auch unser Held überarbeitet sich, er wird
krank. Aber krank werden darf ja ein Arzt nicht. Urlaub, den gibt es nicht für
ihn. Sofort verliert er seine Praxis. Ein kranker Arzt, wie sollte der anderen
helfen können? Eine Invaliditätsversorgung, eine Versorgung seiner Familie ge¬
nießt er auch nicht, also muß er schwach und überreizt um das tägliche Brot
für seine Kinder arbeiten, und als nun der große innere Kampf an ihn herantritt,
als er das Kind eines Freundes, das eigene Kind während einer Epidemie nicht
retten kann, da verliert er mit dem letzten Freunde, der an ihn geglaubt, das
Selbstvertrauen und todmüde zieht er sich von seinem Berufe zurück in das
ruhige Arbeitsfeld eines Landmannes. Doch die Schwärmerei für seinen Beruf ist
nicht gestorben. Sie lebt in seinem Sohne weiter, und schweren Herzens, wie so
viele Arzte, muß er es zugeben, daß sein Sohn denselben Leidensweg einschlägt,
den er aufgegeben. Doch dann, ein unverbesserlicher Idealist wie die meisten
Arzte, glaubt er den schwärmerischen Verheißungen seines Sohnes, es werde eine
Vereinigung aller Arzte kommen, in der sie sich vereint selbst helfen und die
Regierungen zwingen werden, ihnen zu helfen: Ein goldenes Zeitalter, in dem
ein auf dem stolzen Bau der Wissenschaft thronender, einiger, gefestigter Arzte¬
stand die Menschen zu sich emporziehen wird.
Diese Stellung des Arztes ist das Ideal, welches uns auch auf unserem
Kongresse vorschwebt. Wird es erreicht, dann wird der Arztestand wohl noch
der erhabenste Beruf, nicht mehr aber das erbärmlichste Handwerk sein. (Stürmischer,
langanhaltender Beifall).
K. k. Hostheater-Druckerei, IX., Berggasse
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