VI, Allgemeine Besprechungen 1, 1-14, Lamprecht Deutsche Geschichte Ergänzungsband, Seite 62

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1. Panphlets offprints
Dichtung.
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bedeutend ist, kann im letzten Grunde nur nach dem Maßstabe
einer Weltanschauung bemessen werden.
So muß das moderne Drama wirklicher Vollendung eine
doppelte Form aufweisen: eine äußere der jeweils höchst er¬
reichbaren sozial= und individual=psychologischen Technik und
eine innere der Schicksalsidee, nach deren Wesen die Gestalten
des Stückes leiden und handeln. Der Dichter erlebt zunächst
in seinem Innern gewisse Gestalten bis zu dem Grade, daß er
der Entbindung von ihnen bedarf, soll seine Einbildungskraft
nicht an Überfülltsein zu Grunde gehen; er vollzieht diese Ent¬
lastung, indem er die Gestalten in eine bestimmte Handlung
hinein= und damit einem Schicksal unterstellt, dessen Verlauf
von dem, was er für edel, gut und groß hält, d. h. von seiner
Weltanschauung abhängig ist.
Die äußere Form ist für das Drama das Erste; sie giebt
ihm auch in erster Linie Zeitcharakter. Aber daneben steht
für jede höher entfaltete dramatische Kunst eine innere Form,
die Form der Weltanschauung.
Ist nun diese innere Form durchaus und in jeder Hinsicht
nur rein persönliches Eigentum des einzelnen Dichters? Oder
ist auch ihre Entwicklung von allgemeinen geschichtlichen Wand¬
lungen abhängig? Das ist die Frage, die hier zunächst auf¬
taucht, und von deren richtiger Beantwortung die Sicherheit
abhängig zu sein scheint, mit der man über Gegenwart und
nächste Zukunft des heutigen deutschen Dramas urteilen kann.
Und da liegt nun zunächst auf der Hand, daß einzelne
kleine Schattierungen der Weltanschauung zweifelsohne indi¬
viduelles Eigen der einzelnen Dichterpersönlichkeit sind — genau
so, wie auch einzelne Eigenheiten der äußeren Form immer
dem besonderen Charakter der einzelnen schöpferischen Persön¬
lichkeit angehören werden. Aber darüber hinaus sind, wiederum
wie bei der äußeren Form, die allgemeinen Züge der Welt¬
anschauung doch Momente und Ergebnisse der generellen Kultur¬
entwicklung — schon deshalb, weil die Weltanschauung eines
Dramas, soll dieses wirken, nicht bloß dem Dichter vom Herzen
kommen, sondern auch dem Publikum zum Herzen gehen muß.
Dichtung.
Und weil sie dies sind, darum ist ein
und Publikum zugleich umfassende,
angehörige Weltanschauung die V
Dramas.
Ist nun diese Voraussetzung
Die Weltanschauungen der
hunderte lassen sich in ihrem Verhä
in transcendente und immanente sch
Die wirksamste aller transcendel
in dieser Zeit die christliche. Völlig :
sie während dieser Periode eigentlich
bestanden. Dies verlegt in seiner r
noch in den Himmel, in die Liel
weltlich, jenseitig, persönlich gefü
Gnade ist es, die den schuldigen He
dennoch erlöst. Und alle Gestalten d
diese Liebe, haben Seelen, deren gu
als Gnadengaben Gottes, deren schl
erscheinen. Es ist das Drama C
aller großen Dramatiker der europä
Auf evangelischem Boden dage
gleich schon der philosophischen Regu
dies christlich=transcendente Schicksa
geblaßt vor, durchsetzt von dem Ge
des Menschen, unterhöhlt von
naturalis, die sich seit dem 16. I
den Immanenz predigenden Stoicis
entwickelten: es ist die Atmosphäre
reiche Shakespeare atmet.
Und mit dem Emporsteigen ei
Zeitalters um 1750, mit der
Freundschaftskult und der zunehmend
der Individuen setzte speziell in
nun ein Trieb immanenter Welta
Schicksal erschien gegeben in Abh
Charakter der Zeit und des Ortes