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1. Pamphlets. Offnrints
Das HITERARISCHE
in
DEDTSCH-OESTERREICH
SS
WIENER
Su!
G
MONATSSCHRIFT
4
Dl
E
1
W
80
2
S
G
Arthur Schnitzler.
Von Ernst Limé.
Wild tobte der Kampf um die verschiedenen Kunstan¬
schauungen. Eine Richtung bekämpfte die andere und jede hielt
sich für die allein selig machende, und eine jede war doch nur
eine enge Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gab, es sei denn
ein: zurück. So war es am Anfang der Neunziger Jahre, als
die Moderne — das Wort hat Hermann Bahr geprägt — ein¬
setzte. Nur wenige gingen diesem wirren Treiben aus dem Wege
und schufen frei von allen Dogmen und Doktrinen; zu diesen
wenigen gehört der Dichter, von dem ich heute zu Ihnen sprechen
will und den Sie wohl alle kennen: Arthur Schnitzler. Er
schritt durch das Leben hin, ein junger, reifender Mensch, und
er sah das Leben in seiner ganzen Größe und Schönheit, in
seiner jubelnden Lust und in seinem herztiefsten Leid, und er
erkannte etwas, das wenige erkannt haben, wie eng Lust und
Leid zusammenhängen, und daß im lachendsten Auge nicht allein
die Träne der Freude blitzt, sondern darunter das Weinen des
Schmerzes schimmert.
Von all dem kündet er uns in seinen Werken; es sind nie
Milieuschilderungen im engeren Sinne, obgleich kein anderer so
fein, so entzückend fein uns das Wiener Leben dramatisch vor¬
führte, wie er. Wenn man einst darnach forschen sollte, wie die
Wiener Gesellschaft, der Wiener Esprit, der Dialekt 2c. um
1900 waren, dann nehme man ein Werk von Schnitzler in die Hand,
hier lebt und webt das alles, singt und tändelt, schluchzt und weint,
so schön und so leichtlebig, so kraftvoll und so wurmstichig.
Aber das Milieu bleibt stets Hintergrund, es wird nie Haupt¬
sache wie in den vielen realistischen Dramen, die in Deutschland
um diese Zeit oder etwas früher erschienen; ich verweise als
— 1—4 —
1. Pamphlets. Offnrints
Das HITERARISCHE
in
DEDTSCH-OESTERREICH
SS
WIENER
Su!
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MONATSSCHRIFT
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G
Arthur Schnitzler.
Von Ernst Limé.
Wild tobte der Kampf um die verschiedenen Kunstan¬
schauungen. Eine Richtung bekämpfte die andere und jede hielt
sich für die allein selig machende, und eine jede war doch nur
eine enge Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gab, es sei denn
ein: zurück. So war es am Anfang der Neunziger Jahre, als
die Moderne — das Wort hat Hermann Bahr geprägt — ein¬
setzte. Nur wenige gingen diesem wirren Treiben aus dem Wege
und schufen frei von allen Dogmen und Doktrinen; zu diesen
wenigen gehört der Dichter, von dem ich heute zu Ihnen sprechen
will und den Sie wohl alle kennen: Arthur Schnitzler. Er
schritt durch das Leben hin, ein junger, reifender Mensch, und
er sah das Leben in seiner ganzen Größe und Schönheit, in
seiner jubelnden Lust und in seinem herztiefsten Leid, und er
erkannte etwas, das wenige erkannt haben, wie eng Lust und
Leid zusammenhängen, und daß im lachendsten Auge nicht allein
die Träne der Freude blitzt, sondern darunter das Weinen des
Schmerzes schimmert.
Von all dem kündet er uns in seinen Werken; es sind nie
Milieuschilderungen im engeren Sinne, obgleich kein anderer so
fein, so entzückend fein uns das Wiener Leben dramatisch vor¬
führte, wie er. Wenn man einst darnach forschen sollte, wie die
Wiener Gesellschaft, der Wiener Esprit, der Dialekt 2c. um
1900 waren, dann nehme man ein Werk von Schnitzler in die Hand,
hier lebt und webt das alles, singt und tändelt, schluchzt und weint,
so schön und so leichtlebig, so kraftvoll und so wurmstichig.
Aber das Milieu bleibt stets Hintergrund, es wird nie Haupt¬
sache wie in den vielen realistischen Dramen, die in Deutschland
um diese Zeit oder etwas früher erschienen; ich verweise als
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