box 37/2
2. Cuttings
Telephon 12.801.
„ODSLIVER
l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitunge-Ausschaitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Ouellenaagsbe ehne Gewähs).
Ausschnitt aus: Neue Hamburger Zeitung
vom:
B
Arthur Schniteter.
Die schöne und wirksame Kette der Montor=Rezi¬
kationen in der Musikhalle hat kürzlich ihr letztes Glied
angesetzt. Liliencrons „Merowinger“ waren der
erste Ring. Ein Ring aus fränkischem Feuerstein.
Byrons „Sardanapal“ schlängelte sich mit asiatisch¬
hellenischen Kameen hinzu. Grillparzer schloß sich
in klassisch=altwienerischen Fragmenten an. Arthur
Schnitzler, der Neuwiener, bildete das abschließende
Mittelstück.
Unschwer ließ sich dieses anregende Zentrum als inter¬
essanteste Stelle des ganzen Montor=Gürtels empfinden,
Hier liefen die geistigsten und sinnfälligsten Strahlen zu¬
sammen. Hier konzentrierten sich alle versteckten Kräfte
zu einem geheimnisvoll leuchtenden Glanz, der zwischen
kleinen und kostbaren Fassungen wie ein Katzenauge hervor¬
sah und unter spielerischen Reflexen die ernsthaftesten und
grausamsten Probleme des menschlichen Lebens verriet.
Was Schnitzler ist, kann den Hamburgern kaum ge¬
läufig sein, da dieser tiefe und reine Dichter, dieser Seiden¬
spinner und Goldschmied dazu, dieser Seelenkünder und
Menschenformer, der selbst den verschlossenen Ibsen zu
einer bekannten Bühnengestalt schöpferisch anregen konnte,
nur selten oder fast schon gar nicht mehr auf hamburgischen
Brettern erscheint. Aber vielleicht hat der Montor=Nach¬
mittag in den zahlreichen Lauscherinnen, die doch von
Grund aus gefangen waren, fruchtbare und werktätige
Schwingungen erzeugt. Solch eine werktätige Schwingung
pflegt ihre Kreise bis in den nächsten Buchladen zu ziehen,
wenn sie nicht vorher auf dem seichten Niveau einer Leihl
Hibliothek unsauber verläuft. Wie dem auch sei —:
— benig.
Künstler wollen nicht nur gehört und gesehen, Künstler
wollen auch gelesen sein. Jene Künstler zumal, die mit
ihrer vielfältigen Gestaltungswelt nur in den spätlichsten
Fällen auf öffentlichen Podien zu Gesicht und zu Gehör
kommen. So darf hier also rechtzeitig vermerkt perden,
daß beide Schnitzlerwerke des Montorprogramns bei
S. Fischer, Berlin, erschienen sind. Schnitzler ist kein
Weihnachtspoet. Schnitzlers Dichtungen fallen nur dort
ins Fenster, wo die Weihnachtsmarktliteratur bis auf den
letzten Rest hinausgeflogen. Gleichwohl hat gerade er
den künstlerischen Stimmungsgehalt der Weihnahtstage
in seinem „Anatol“ so glücklich, so lebendig und doch so
schweigsam festgehalten, daß ihm der liebe Gott dafür
eigentlich recht dankbar sein und alle Engel in den Häusern
der Philister zu Dichtersgunsten mobilisieren müßte Weil
doch ein Dichter von Gottes Gnaden schon ohnehin auf
Gottes Protektion das stärkste und erste Recht hat.
Mit dem knappen Revolutionsdrama „Der grüne
Kakadu“, das nur dem kleinsten Teile des Auditoriums
aus früheren Bühnenjahren in Erinnerung war, begann
Montor seinen Vortrag. Die Wiener Novelle „Lient¬
nant Gustl“ ließ den tragikomischen Grundion des
Einakters in leichteren und leiseren Noten weiterklingen,
abklingen. Aus den lauten Gewalten der szenischen
Akkorde wurde eine einzige, eine halblaute, eine un¬
körperliche Stimme. Die Stimme eines Erzählers, der
sich selber unwissentlich beobachtet, um unwissentlich von
den Regungen seines Unterbewußtseins Kunde zu geben.
Diese Novelle ist ein Seelenmonolog. Diese Novelle ist
eine unmerklich beschriebene Wachswalze. Die intimsten
Einzeichnungen eines imaginären Seelenstifts trägt sie in
wirrverschlungenen Runen und Arabesken auf ihrem
körperlosen Mantel. Sie enthält alle unbewußten Ge¬
danken, die ein Mensch in einer bestimmten Situation ohne
Absicht und Willen denken und doch nicht dem kontrollie¬
renden Blicke seines nachträglich erwachten Bewußtseins
eingestehen mag. Der Lieutenant Gustl sitzt gelangweilt
in einem Oratorium=Konzert. Mit schwerer Musik ist die
Atmosphäre geschwängert. Die Geistigkeit dieses geladenen
Milieus legt sich mit lähmender Faust auf sein primitives
Gehirn. Wie ein hypnotisierender Spiegel rotiert es um
sein Haupt. Das Bewußtsein schaltet sich aus. Die
Bewußtheit bekommt den Stickfluß. Der Leutnant denkt
nicht mehr. Der Leutnant wird gedacht...
Und nun
hören wir die Reibungsgeräusche der Blasen, die im
psychischen Bauche dieses entgeistigten Menschen aufsteigen
und an der Schwelle seines Unbewußtseins rumoren, um
über die Schwelle emporzuturnen. D
sich selbst. Der Dichter spricht nich
keinen Bericht. Er legt nur sein 4
des Leutnants und horcht in ihn hir
hört, wird wie von ungefähr zu Wo
sätzen, gebrochenen Redegliedern, ver
Aber der Wahnsinn, der hier im Gru
Natur ist, hat eine verblüffend klare
Methode. Man erfährt nicht nur,
gleichgiltigen Leutnant aussieht.
echten und ehrlichen Menschen au
plötzlich von einem tödlichen Verhä
bedroht fühlen. Man erfährt, wie
haupt zu Mute ist, wenn ihnen au
rinnbare Todesgefahr jählings ins A
Probe aufs Exempel macht der Le
willige Halbschlaf hat seine gewohn
bis zur Ueberempfindlichkeit einer
In
dieser ultravioletten Gereizth
dicken, aber energischen Spießbürger
Spießbürger packt auf diffamierende
des Angreifers und fügt eine unverk
hinzu. In diesem furchtbaren Aug
maßlos gedemütigte Offizier wie ein
täubter von innen her zu einer r#
verurteilt. Er fährt dem Spießbür
Er läßt geschehen, was geschehen wi
später, da es schon zu spät ist, brich
leptischen Ruhe blutrünstig hervor
sich nun unter allen Umständen nc
Nucht erschießen müsse, um die verpf
Von eigenen Gnaden zum Tode ve
mit seiner verfrühten Todesgewißhei
umher, schläft auf einer einsamen
woacht mit dem dämmernden Morgen
kaffeehause auf. Wo ihm nicht oh
götzlichkeit eine unverhoffte Rettung
lichen Dilemma zuteil wird. In dies
aber hat er alle Seelennöte eines
durchlebt, dem der baldigste Tod zur u
Selbstverständlichkeit geworden. In
Lösung dieser Seelennöte liegt die w
und doch so wunderbar einfache
geborgen.
Traum ist Wirklichkeit, Wirklichkei
ist Wahrheit, Wahrheit ist Schein. D
1 mitten bindurch und mirkt oft gerade
2. Cuttings
Telephon 12.801.
„ODSLIVER
l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitunge-Ausschaitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Ouellenaagsbe ehne Gewähs).
Ausschnitt aus: Neue Hamburger Zeitung
vom:
B
Arthur Schniteter.
Die schöne und wirksame Kette der Montor=Rezi¬
kationen in der Musikhalle hat kürzlich ihr letztes Glied
angesetzt. Liliencrons „Merowinger“ waren der
erste Ring. Ein Ring aus fränkischem Feuerstein.
Byrons „Sardanapal“ schlängelte sich mit asiatisch¬
hellenischen Kameen hinzu. Grillparzer schloß sich
in klassisch=altwienerischen Fragmenten an. Arthur
Schnitzler, der Neuwiener, bildete das abschließende
Mittelstück.
Unschwer ließ sich dieses anregende Zentrum als inter¬
essanteste Stelle des ganzen Montor=Gürtels empfinden,
Hier liefen die geistigsten und sinnfälligsten Strahlen zu¬
sammen. Hier konzentrierten sich alle versteckten Kräfte
zu einem geheimnisvoll leuchtenden Glanz, der zwischen
kleinen und kostbaren Fassungen wie ein Katzenauge hervor¬
sah und unter spielerischen Reflexen die ernsthaftesten und
grausamsten Probleme des menschlichen Lebens verriet.
Was Schnitzler ist, kann den Hamburgern kaum ge¬
läufig sein, da dieser tiefe und reine Dichter, dieser Seiden¬
spinner und Goldschmied dazu, dieser Seelenkünder und
Menschenformer, der selbst den verschlossenen Ibsen zu
einer bekannten Bühnengestalt schöpferisch anregen konnte,
nur selten oder fast schon gar nicht mehr auf hamburgischen
Brettern erscheint. Aber vielleicht hat der Montor=Nach¬
mittag in den zahlreichen Lauscherinnen, die doch von
Grund aus gefangen waren, fruchtbare und werktätige
Schwingungen erzeugt. Solch eine werktätige Schwingung
pflegt ihre Kreise bis in den nächsten Buchladen zu ziehen,
wenn sie nicht vorher auf dem seichten Niveau einer Leihl
Hibliothek unsauber verläuft. Wie dem auch sei —:
— benig.
Künstler wollen nicht nur gehört und gesehen, Künstler
wollen auch gelesen sein. Jene Künstler zumal, die mit
ihrer vielfältigen Gestaltungswelt nur in den spätlichsten
Fällen auf öffentlichen Podien zu Gesicht und zu Gehör
kommen. So darf hier also rechtzeitig vermerkt perden,
daß beide Schnitzlerwerke des Montorprogramns bei
S. Fischer, Berlin, erschienen sind. Schnitzler ist kein
Weihnachtspoet. Schnitzlers Dichtungen fallen nur dort
ins Fenster, wo die Weihnachtsmarktliteratur bis auf den
letzten Rest hinausgeflogen. Gleichwohl hat gerade er
den künstlerischen Stimmungsgehalt der Weihnahtstage
in seinem „Anatol“ so glücklich, so lebendig und doch so
schweigsam festgehalten, daß ihm der liebe Gott dafür
eigentlich recht dankbar sein und alle Engel in den Häusern
der Philister zu Dichtersgunsten mobilisieren müßte Weil
doch ein Dichter von Gottes Gnaden schon ohnehin auf
Gottes Protektion das stärkste und erste Recht hat.
Mit dem knappen Revolutionsdrama „Der grüne
Kakadu“, das nur dem kleinsten Teile des Auditoriums
aus früheren Bühnenjahren in Erinnerung war, begann
Montor seinen Vortrag. Die Wiener Novelle „Lient¬
nant Gustl“ ließ den tragikomischen Grundion des
Einakters in leichteren und leiseren Noten weiterklingen,
abklingen. Aus den lauten Gewalten der szenischen
Akkorde wurde eine einzige, eine halblaute, eine un¬
körperliche Stimme. Die Stimme eines Erzählers, der
sich selber unwissentlich beobachtet, um unwissentlich von
den Regungen seines Unterbewußtseins Kunde zu geben.
Diese Novelle ist ein Seelenmonolog. Diese Novelle ist
eine unmerklich beschriebene Wachswalze. Die intimsten
Einzeichnungen eines imaginären Seelenstifts trägt sie in
wirrverschlungenen Runen und Arabesken auf ihrem
körperlosen Mantel. Sie enthält alle unbewußten Ge¬
danken, die ein Mensch in einer bestimmten Situation ohne
Absicht und Willen denken und doch nicht dem kontrollie¬
renden Blicke seines nachträglich erwachten Bewußtseins
eingestehen mag. Der Lieutenant Gustl sitzt gelangweilt
in einem Oratorium=Konzert. Mit schwerer Musik ist die
Atmosphäre geschwängert. Die Geistigkeit dieses geladenen
Milieus legt sich mit lähmender Faust auf sein primitives
Gehirn. Wie ein hypnotisierender Spiegel rotiert es um
sein Haupt. Das Bewußtsein schaltet sich aus. Die
Bewußtheit bekommt den Stickfluß. Der Leutnant denkt
nicht mehr. Der Leutnant wird gedacht...
Und nun
hören wir die Reibungsgeräusche der Blasen, die im
psychischen Bauche dieses entgeistigten Menschen aufsteigen
und an der Schwelle seines Unbewußtseins rumoren, um
über die Schwelle emporzuturnen. D
sich selbst. Der Dichter spricht nich
keinen Bericht. Er legt nur sein 4
des Leutnants und horcht in ihn hir
hört, wird wie von ungefähr zu Wo
sätzen, gebrochenen Redegliedern, ver
Aber der Wahnsinn, der hier im Gru
Natur ist, hat eine verblüffend klare
Methode. Man erfährt nicht nur,
gleichgiltigen Leutnant aussieht.
echten und ehrlichen Menschen au
plötzlich von einem tödlichen Verhä
bedroht fühlen. Man erfährt, wie
haupt zu Mute ist, wenn ihnen au
rinnbare Todesgefahr jählings ins A
Probe aufs Exempel macht der Le
willige Halbschlaf hat seine gewohn
bis zur Ueberempfindlichkeit einer
In
dieser ultravioletten Gereizth
dicken, aber energischen Spießbürger
Spießbürger packt auf diffamierende
des Angreifers und fügt eine unverk
hinzu. In diesem furchtbaren Aug
maßlos gedemütigte Offizier wie ein
täubter von innen her zu einer r#
verurteilt. Er fährt dem Spießbür
Er läßt geschehen, was geschehen wi
später, da es schon zu spät ist, brich
leptischen Ruhe blutrünstig hervor
sich nun unter allen Umständen nc
Nucht erschießen müsse, um die verpf
Von eigenen Gnaden zum Tode ve
mit seiner verfrühten Todesgewißhei
umher, schläft auf einer einsamen
woacht mit dem dämmernden Morgen
kaffeehause auf. Wo ihm nicht oh
götzlichkeit eine unverhoffte Rettung
lichen Dilemma zuteil wird. In dies
aber hat er alle Seelennöte eines
durchlebt, dem der baldigste Tod zur u
Selbstverständlichkeit geworden. In
Lösung dieser Seelennöte liegt die w
und doch so wunderbar einfache
geborgen.
Traum ist Wirklichkeit, Wirklichkei
ist Wahrheit, Wahrheit ist Schein. D
1 mitten bindurch und mirkt oft gerade