VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1899–1902, Seite 27

haber, jedoch im Gegensatz zu dem empfindenden, von sei¬
nem Gewissen geplagten, der genießende, sorglose, wenn
auch nicht grade herzlose. Seiie Geliebte ist die „Mo¬
distin“ Mizzi Schlager. Sie ist das schneidige, fesche Wie¬
ner Mädl, das „Verhältnis“ comme il kaut. Sie liebt
ihren Theodor nach ihrer Art, sie amüsiert sich mit ihm,
sie geht mit ihm durch Dick und Dünn. Aber, wenn er sie
verlassen wird, wird sie vielleicht einen Tag über untröstlich
sein, dann wird sie sich fassen und sich nach einem andern
umsehen. — Die Handlung ist eine sehr einfache. Fritz
Lobheimer hat ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau.
Während dessen lernt er Christine durch ihre Jugendfreun¬
din Mizzi kennen. Immer mehr bezaubert ihn die frische,
innige Weise des Mädchens. Aus einer „Liebelei“ wird
eine echte, tiefe Liebe. Er erkennt allmählig, daß ihm hier¬
aus ein wahres Glück erblühen könnte ... Da bricht das
Verhängnis herein. Der betrogene Ehemann jener Frau
hat von dem Ehebruch erfahren. Fritz wird im Duell er¬
stochen. Als Christine erfährt, daß der Geliebte einer an¬
deren wegen den Tod erlitten hat, sogar schon begraben
Alles dies ist von dem
sei, stürzt sie sich ins Wasser.
Dichter in der einfachsten und wirkungsvollsten Weise
dargestellt worden. Ein Stück, welches den Erfolg voll¬
kommen verdiente.
Das nächste Drama: „Freiwild“ ist wie „Das
Märchen“ ein Thesenstück. Es behandelt den „Ehrbegriff“
und die „Duellfrage". In den ersten Scenen wird uns
das lustige Leben einer kleinen Theatergesellschaft und der
Verkehr derselten mit Offizieren und Dandys geschildert.
Noch hören wir das lustige Beplander der bunten Gesell¬
schaft — da plötzlich wird aus der Komödie eine Tragödie.
Ein Offizier hat eine Schauspielerin beleidigt. Der Maler
Rönning, welcher dieses in verderbter Gesellschaft rein ge¬
bliebene Mädchen liebt, hat darauf den Offizier geohrfeigt.
Natürlich fordert letzterer den Maler. Dieser verweigert
das Duell, er erklärt, daß er einen Buben gezüchtigt habe.
Der Offizier muß, falls er keine Genugtuung erhält, den
Dienst quittieren. In seiner Verzweiflung schießt er den
Gegner auf offner Straße nieder. Atemlos folgen wir den
Ereignissen, bis die Katastrophe eintritt. Etwas lang ist
der Dialog zwischen Rönning und seinem Freunde über das
Duell; aber das hier Gesagte gehört zur Handlung, und
so drängt sich auch hier die Tendenz nicht grade störend
hervor. Wundervoll sind die Liebesscenen gelungen, die bei
der Herbheit der Charaktere dem Dichter größere Aufgaben
stellten als die in der „Liebelei".
Auch in dem folgenden Schauspiel „Das Ver¬
mächtnis“ kämpft Schnitzler gegen die bürgerliche Mo¬
ral. Das Vermächtnis des Dr. jur. Losetti, der infolge eines
Sturzes vom Pferde stirbt, ist seine Geliebte, die ihn vier
Jahre hindurch mit inniger Liebe beglückt hat. Dieses
Mädchen und sein Kind empfiehlt er sterbend seiner bürger¬
lich vornehmen Familie. Einige der Familienmitglieder
nehmen das Mädchen mit Liebe auf, andere mit Widerstre¬
ben und kleinlichem Hasse. Man freut sich des Kindes.
Aber dieses stirbt leider. Immer mehr wird man da der
Mutter überdrüssig. Man weist sie schließlich aus dem
Hause. Sie geht in den Tod, von allen verlassen. Man
kann sich vorstellen, daß diese Entwicklung eine Reihe dra¬
matisch wirksamer Scenen mit sich birgt. In der Tat ist auch
hier die Technik und der geschmeidige, lebendige Dialog be¬
wunderungswürdig. Trotzdem wirken die Hauptfiguren nicht
glaubwürdig, weil ihnen die ausgleichenden menschlichen
Tage fehlen. Sie wirken zum Teil karikaturen= und
schemenhaft.
„Der
Auch die drei Einakter: „Paracelsus“,
grüne Kakadu“ und „Die Gefährtin“ bedeuten keinen
Fortschritt. Glänzt in dem einen die geistreiche Idee, so
besticht in dem anderen der gentvolle Dialog. Aber Ideen
und Dialog sind voll innerer Unwahrheit und Oberfläch¬
lichkeit. Im „Paracelsus“ operiert der Dichter mit dem
Hypnotismus, er führt gleichsam in einer Salonsitzung ein
hypnotisches Experiment vor. Paracelsus, der bekannte
Geheimgelehrte des Mittelalters, suggeriert die Gattin
eines biederen Handwerkers, die er einstmals liebte, daß sie
einen Nachmittag lang die Wahrheit sagen solle. Nun er¬
Diese reiche Han
fahren wir vieles aus ihrem Seelenleben, Geheimnisse, die
nicht verbergen. Das I
sie mit banger Scheu hütete. Dazwischen spricht Paracelsus
einer geschlossenen sich st#
weisheitsvolle Worte über Schein und Wirklichkeit und über
lung kann durch geistvoh
die Wichtigkeit des jedesmal gegenwärtigen Augenblickes, die
deckt werden.
allein untrüglich sei. Die Tendenzen sind geistreich erdacht, die
Glücklicher ist Schn
Sitzung selbst hat aber wenig überzeugendes und notwen¬
Ein Meisterstück der S
Züges. Ein unfruchtbares, überflusnges Kunststuck. Auch
ben“. Die unbegreiflich
„Der grüne Kakadu“ vermag uns wenig zu inter¬
Liebe, Leben von Leben
essieren. Der „grüne Kakadu“ ist eine Kneipe in Paris zur
Zeit der Revolution. Hier sind heruntergekommene Schau¬
Mitleid, unser Mitleid
spieler und liederliche Aristokraten beisammen. Sie ver¬
Und der Sterbende: er
gnügen sich damit, mit Pathos Verbrecherscenen, Diebstahl
nehmen, zuletzt nicht mehr
und Mord vorzuführen. Henry, einer der Schauspieler,
Neid, aus Feindschaft.
hat sich soeben mit der schönen Leocadie vermählt. Er stellt
Sterbenden und des Leber
nun gerade mit Pathos dar, wie er einen Herzog getötet
hüllt uns Schnitzler in
hat, weil seine Frau mit diesem ein Verhältnis gehabt hat.
Da erfährt er, daß die Untreue auf Wahrheit beruht.
„Die Frau des W
Soeben kommt der Herzog in die Kneipe. Da tötet ihn
Tode. Aus der glänzen
Henry nun wirklich. Gänzlich erdacht und kalt wirkt das
Ehrentag“, in welch
Stück „Die Gefährtin“. Ein Professor hat soeben
geschichte eines kleinen
die Gattin verloren. Er hat das Verhältnis derselben mit
„Die Toten schwei
einem jungen Assistenten gebilligt, er fand es natürlich,
Ein ehebrecherisches Weih
daß die zwanzig Jahre jüngere Gattin bei ihm nicht das
die Nacht auf einsamer L#
Glück finden konnte. Am Abend des Begräbnisses besucht
von der hohen Landstraf
ihn der Assistent und teilt ihm seine Verlobung mit einer
dabei ums Leben. Nicht
Dame mit, die er seit langem geliebt habe. Da erfaßt den
Novelle: „Leutnant
sein Weib ist nicht die Geliebte, son¬
Professor ein Ekel
lein mit Recht ein
dern nur die Dirne eines anderen gewesen. Er weist dem
will sich ersch
Gusti
Assistenten die Tür. Der überfeine subtil geführte Dialog
Bäckermeister beschimpf
vermag uns über die innere Unwahrheit dieses Stückes nicht
Morgen will er sich ins
hinweghelfen.
läßt nun den kindlichen
Auch Schnitzlers letztes Schauspiel: „Der
Nacht einen Monolog üb
Schleier der Beatrice“ versetzt uns in die Ver¬
merkwürdigen österreichis
gangenheit, in die Zeit der Renaissance nach Bologna. Es
Monolog wirkt schließlich
sei vorausgeschickt, daß sich die Dichtung durch eine feine
dann die Pointe: in d
edle Sprache vor ähnlichen Dramen auszeichnet. Eine
vom Schlage getroffen u
Reihe stimmungsvoller, teils lebendiger, teils ruhig schöner
schießen und geht freudig
Bilder zieht an uns vorüber. Die Handlung dagegen in
letzter Roman: „Frau
ihrer Entwickelung wirkt nicht groß, nicht ruhig genug, sie
nur eine Episode: Eine
ist episodenhaft und läßt die eigentlichen Motive und Vor¬
Klavierlehrerin in einer
züge, die dramatische Idee schwer erkennen. Cäsar Borgig
Jugendgeliebten wieder.
naht, um Bologna zu belagern. Von Schrecknissen aller
lebten Liebesnacht aber
Art, Raub und Plünderung wird die Stadt, die bisher von
und die Jahre beide ver#
Lebenslust und Liebesseligkeit widerklang, heimgesucht wer¬
wieder, als wenn nichts
den. Dem Dichter scheint nun die Idee vorgeschwebt zu
Inhalt des Romans beste
haben, diese letzten Tage in Bologna — vor der Belagerung
aus Selbstgesprächen der
in welchen noch einmal und toller denn je, die Lebens;
fesseln mögen. Das Wer
lust und die Freuden entfacht werden, und das Tragische;
in einzelnen Teilen, in
Gewaltsame dieser Stimmung und ihren Einfuß auf einige
vollendet erscheint, als
bedeutendere Charaktere zu schildern. Eine tragische
wirkt, auch nicht als Be
Liebesgeschichte und die Entwicklung eines seltenen Charak¬
medizinisch= und sozial=pff
ters bilden aber schließlich den Hauptinhalt des Dramas,
Es sei zum Schluß
Dieser Charakter ist der Dichter Filippo Loschi, der mit
Schriften im Verlage v
seinen überzarten Empfindungen uns so garnicht wie ein
sind.
Mensch der italienischen Renaissance anmutet. Er ist ver¬
lobt mit einer edlen Bolagneserin, er verläßt sie aber und
der schönen 16 jährigen Beatrice Nardi willen. Dieser
opfert er alles, mit ihr will er aus Bologna schmählich ent¬
fliehen. Da erzählt sie ihm einen Traum, in dem sie sich¬
Deu
in den Armen des Herzogs von Bologna sah. Loschi ent¬
— Die über hundert
sagt ihr, um dieses Traumes willen, der geheimen Wün¬
nach den von der „Stati
Volkszahlungen von 1871 bis
schen entgegenzukommen scheint. Und der Traum wird
Während die Zählung vom
zur Wirklichkeit. Der Herzog sieht Beatrice, er verliebt sich
hatte, die über 100 Jahre al
in sie und verlobt sich mit ihr. Schon in der nächsten Nacht
noch 381 und die von 1880
soll die Vermählung stattfinden. Da wird Beatrice von
von 1885 nur noch 91, die
Sehnsucht nach ihrem geliebten Filippo erfaßt, sie schleicht
46 und die letzte Lählung
35 Ueberhundertjährige
zu ihm, um mit ihm gemeinsam zu sterben. Aber schau¬
weiblichen Geschlechts. Dies
dernd schreckt sie vor dem Ende zurück, als Filippo bereits
Zahlen, besonders seit 188
den Giftbecher genommen hat. Sie flüchtet zurück ies
sorgfältigen Kontrole, der ##
Herzogsschloß. Aber der Schleier, ein Geschenk des Her¬
fahrungsmäßig sehr unzuver
klassen unterzteht. Dem Rel
zogs, verrät sie; sie hat ihm bei der Leiche Loschis ver¬
die Katholiken, heren 23
gessen. Der Herzog verlangt dorthin geführt zu werden,
darunter 22 in Westpreuß
wo sie war, unter dem Versprechen, daß er ihr verzeihen
evangelischen und 2 jüdisch
werde. Sie tat es. An der Leiche Loschis erfaßt ihn
Rheinland, einer in Westpre
Mischehen in Altona.
Ekel. Beatrice wird von ihrem Bruder erstochen. Und
schon naht Cäsar Borgia. Der Herzog zieht ihm entgegen.,] es in Allva 1600 Mischehen
Srar
und tropfenweise siel es ihnen aus den Augen und hier! und mit seinem Volke in