VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Landsberg, Seite 9

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In der Romantik haben wir bereits einen Dor¬
klang dieser müden Weltresignation:
Was ist das Leben? Kommen nur und Schwinden,
Ein Wechsel nur von Nacht und Cageshelle,
Verlust und Schmerz, Sehnsucht und Wiederfinden.
So schwebt durch Traum und Wachen hin die Welt.
Tieck.
Oder man vernehme das Bekenntnis eines Brentano:
Wohl muß ich es gestehen,
Daß Dinge mich umscheinen, menschengleich;
Zu hören sie, ja leibhaft sie zu sehen
Kann ich nicht leugnen; doch mir bleibt dies Reich
Der Welt so fremd und hohl, daß all' ihr Drehen
Soviel nicht schafft, daß mir der Zweifel weich',
Ob Sein, ob Nichtsein seinen Spuck hier treibe,
Ob solcher Welt auch Seele wohn' im Leibe!
Man wird bei Doeten des jungen Wiens, etwa
bei Hofmannsthal, ganz dieselben Töne wiederfinden.
Das Wesentliche der romantischen Kunstart bleibt indes
die Flucht vor der Gegenwart, die psochische Dor¬
herrschaft der Vergangenheit: „Zierlich denken und süß
Erinnern bildet das Leben im tiefsten Innern“. In
der Erinnerung verliert alles Erlebte seine Härte und
Herbheit, und es bleibt der Duft und Hauch der Dinge
ein je ne sais quoi von träumerischer Schwermut, das
allem Erinnern anhaftet. Man kann nun kraft einer
eigentümlichen Veranlagung auch das Gegenwärtige
als etwas bereits Vergangenes, der Seele fremd und
wehmütig lieb Gewordenes voraus empfinden. Also
tut der romantische Geist mit seinem unentwickelten
Sinn für das unmittelbar Lebendige. Er hat bei jedem
Erleben das Bedürfnis, das Bild, das wir uns später
davon machen werden, vorauszunehmen. Während der
realistische Dichter danach strebt, ein Bild der Welt in
seinem jeweiligen Zustand zu geben, malt der
Romantiker ein Bild des Bildes in einer Schönheit
und Reine, die nur den kräftigen Dulsschlag, die rechte
Leidenschaftlichkeit vermissen läßt.
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Während Hofmannsthal sich diesem angeborenen
romantischen Geist ganz hingibt, bekämpft ihn Schnitzler,
schon mit seinem Erstling, dem „Anatol=Cpklus.“
Den Schönheitsträumen stellt er die ganze irdische
Frechheit gegenüber, der liebenden Seele die Brutalität
der Sinne, dem anmutigen Spiele des Geistes und der
Gefühle den wahren Lebenstrieb. Nur kommt das
nicht groß und kräftig genug zum Ausdruck. Wir
beobachten, wie unser Dichter in den Tragödien des
Lebens eigentlich keine Hauptpersonen und =Ereignisse
kennt. Er hat ein Gefühl für das Gleichwertige aller
Existenzen und Zustände, das wir menschlich anerkennen
und vom künstlerischen Standpunkte bestreiten müssen.
Wir wissen freilich, daß das Leben den großen
theatralischen Ereignissen, die sich aus menschlichen Der¬
hältnissen entwickeln, nicht mehr dieselbe Beachtung
schenkt wie ehedem. Mord, Ehebruch, Familienzwist,
Not und Entbehrung, was ist das für uns anderes als
Schlußaccord in einer langen Entwickelungsreihe seelischer
Verstimmungen, die auch nach dem Abschluß noch
lunge, lange in uns nachklingen? Nicht das Ereignis
also ist das Wesentliche, sondern seine Dorstadien und
Nachwirkungen, das seelische Milieu des Geschehens.
Gleichviel! So muß eben das Nebensächliche von
gestern, das wir heute als das Wesentliche anschen, in
den Dordergrund treten. Es muß die Tragik des Er¬
lebens an Stelle der Tragödie des Geschehens treten.
Und diese neue Form des Dramas schuf Ibsen, bei
dem das phpsische Ende seiner Helden gleichgiltig, fast
zufällig geworden ist; bei dem wieder und wieder die
brutalen Ereignisse des Lebens hinter dem Erleben ver¬
schwinden. Schnitzler ist dies nicht in demselben Grade
gelungen, weil seine Ospchologie nichts Schöpferisches
hat. Sie läßt ihre Helden nicht etwas erleben aus dem
Willen des Schöpfers, der seine Gestalten trotz aller
scheinbaren Freiheit unter das Joch einer seelischen
Prüfung schickt, sie beobachtet vielmehr den Seelen¬
zustand des Erlebenden, den sie darstellen will. Oder