VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Landsberg, Seite 8

1. PanphletsOfforints
durchaus in die höchsten Fragen des Daseins hinauf¬
reicht. Man bemerke, wie vornehm und diskret sich
seine Menschen in ernsten Konflikten benehmen, wie
ganz erfüllt von der Würde des Augenblicks. Hier
also gilt ähnliches wie von seiner Frauenschilderung.
Wenn uns bei anderen Dichtern oft ein berechtigter
Zweifel auftaucht, ob ein Mensch in einer bestimmten
Situation sich so und so verhalten wird, wenn sie es
vollends lieben, Konflikte mit einer Machtvollkommenheit
zu lösen, die ihnen alle Ueberzeugungskraft nimmt, so
wird sich hier dieser Widerspruch niemals einstellen.
Schnitzler irrt sehr oft, aber er verstößt nie gegen die
richtige menschliche Empfindung. Bis hinab zur Dirne
haben seine Menschen eine gewisse Herzensbildung, die
sie vor dem Aeußersten zurückhält.
Dichter des öfteren
Ueberhaupt ist man unserem
dankbar für das, was er nicht sagt. Er besitzt die Kunst
des Schweigens wie die der Rede. Er enthüllt nicht
nur, er verschleiert. In dieser Traulichkeit, die er um
seine Menschen zu breiten weiß, liegt ein großer Reiz
seiner Dichtung.
Man kann Schnitzler's Deuvre nicht gut aus einer
Totalität heraus begreifen und darstellen, der Eigenart
seines Werkes den spezifischen Charakter des Künstlers
entgegensetzen, auf daß sich beide decken und erklären.
Wir finden bei ihm keine norddeutsch scharfen und
schroffen Linien, keine durchaus prägnanten Situationen,
die gewisse Lebensumstände in typische Formen gießen,
vielmehr überall eine traumvolle Weichheit, eine Zart¬
heit und Zärtlichkeit, die da zu sagen scheint: Wenn
Ihr dem Leben Gewalt antut, so zerbricht es unter
Euren Händen. Nicht der Wille ist das eigentliche
Ferment des Lebens, sondern das Gefühl. In dem
rätselvollen Schleier, der über Menschen und Dinge
ausgebreitet ist, liegt der Nerv des Daseins. Es kommt
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darauf an im Strome zu schwimmen, sich nicht zum
Herren der Situation zu machen. Gleichwohl reizt es
unseren Dichter, den Schleier hier und da zu lüften,
aus der Scheinexistenz des Menschen das Sein, und um¬
gekehrt im Sein das Scheinvoll=Trughafte aufleuchten
zu lassen:
„Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben,
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
Ein anderer spielt mit tollen Abergläubischen.
Dielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer, —
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
0's fließen ineinander Traum und Wachen,
Bahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“
(Paracelsus.)
Hier ist eine ungemein treffende Selbstcharakteristik
des Dichters gegeben. Das weit Begreifende seines Ge¬
fühls verhindert die Einseitigkeit und Konstanz einer in
Charakter und Persönlichkeit beruhenden festen Welt¬
anschauung. In dieser Lebensauffassung liegt etwas
durchaus Weibliches und, wenn man das Wort richtig
versteht, etwas Unmoralisches. Alle Moral, und gerade
der Immoralismus, der den herrschenden Sittlichkeits¬
geist durch neue Ideale ersetzen will, ist an eine lebendige
und persönliche Dorstellung des Weltgeschehens gebunden.
Und dieser Immoralismus findet sich in einer Dichtung,
die es wagt, die Welt zu vernichten, um sie aus eigenem
Material wieder aufzubauen. Die an die Wurzeln des
Seins greift, um die Kultur durch einen höhergearteten
natürlichen Zustand zu überbieten. Hingegen entspricht
es durchaus der weiblichen Natur, im lebendigen Ge¬
nießen den Endzweck des Daseins zu erblicken, alles
Seiende als ein unverrückbares Gesetz anzuerkennen, das
die Welt über den Menschen aufgehängt hat. Es
gipfelt seine Lebensweisheit darin, daß man sich den
bestehenden Verhältnissen anzupassen hat, und in dieser
Willenlosigkeit liegt das eigentlich Unmoralische.