anphlets Offbrints
fällig geworden. Wie viel mühselige Erfindung, ge¬
waltsame Honstruktion, offensichtlichen Zufall muß
aber noch Hebbel aufwenden, um den tragischen Aus¬
gang seines bürgerlichen Dramas herbeizuführen. Wie
selbstverständlich und natürlich wächst hiergegen die
Tragik Schnitzlers aus einer fröhlichen Liebelei. Kaum
daß die Wehmut der späteren Ereignisse in den lustigen
ersten Aufzug hineinklingt. Dieses Präludium enthält
bereits das ganze erschütternde Drama in nuce, und so
muß es sein, keine willkürliche Fortführung, vielmehr
Entwicklung. Jedes wahre Drama ist musikalisch ge¬
artet, einer symphonischen Dichtung verglech bar. So
gleicht hier der erste Akt einem lustigen Masch, in den
ein paar drohend schwere Töne hineinklingen. Mit
dem Erscheinen des beleidigten Gatten eine unüber¬
trefflich wiedergegebene schwüle Stille, hernach gepreßte
Heiterkeit. Der zweite Akt eine Idylle mit scherzhaften
und schwermütigen Intervallen, der Schlußakt ganz der
empörten Leidenschaft gewidmet, die sich mit der wachsenden
Erkenninis des verübten Verbrechens, tiefer und tiefer
hineinwühlt und den Helden, Christine, zu einer Größe
aufragen läßt, wie sie nur eine lang verborgene sittliche
Uraft scheert.
Künstlerisch angesehen hat hier der pspchologische
Impressionismus etwas Ausgezeichnetes geleistet. Er
verstand die Stimmung mit der fortlaufenden Handlung
in Einklang zu bringen, den ganzen Kreis eines Da¬
seins zu durchschreiten und die brutale Tatsachenwelt
auf ihre seelische Rückwirkung zu reduzieren. Die
Hauptpersonen sind sehr fein abgestuft. Zwei Gruppen
junger Teute Theodor und Mizi, die das Leben als
ein Fest vergnügter Stunden zu nehmen wissen, der
Mann nicht ohne Ahnung und Gefühl des Tragischen,
wenn man will darin schuldig, daß er die Hand an's
Schicksal legt und seinen Freund aus einer gefährlichen
Liebe durch eine Tiebelei zu retten sucht. Fritz und
Christine, zwei Menschen, die das Leben in den Ab¬
grund reißt, weil sie ihm widerstandslos angehören.
box 36/2
—
Sehr fein ist der alte Musikus gezeichnet, und nur
ganz von fern klingt in dieser echt lokalen Figur das
Urbild Miller's an. In diesem Manne finden wir
viel von Christines sanft hingebender Natur wieder,
nur daß hier ein langes mühseliges Leben eine Weisheit
eingab, die dem liebenden Weibe von Anfang an ge¬
hört. Diese Figur ist eines Anzengruber, der solche
wahrhafte Weisen freilich gern auch zu Meistern des
Lebens macht, durchaus würdig, und man vergißt
nicht leicht die Worte, die er der Frau Gevatterin
erwidert, da sie ihn als Beschützer und Wohltäter
seiner altjungferlichen Schwester preist: „Ja, das hab'
ich mir früher auch eingebildet, — wie sie noch ein
schönes junges Mädel war, —
und bin mir selber,
weiß Gott wie gescheidt und edel vorgekommen. Aber
dann später, wie so langsam die grauen haare ge¬
kommen sind und die Runzeln, und es ist ein Tag um
den andern hingegangen — und die ganze Jugend
und das junge Mädel ist so allmählich — man merkt
so was kaum — das alte Fräulein geworden,
da hab' ich einst zu spüren angefangen, was ich
eigentlich getan hab'! Ich sehe sie ja noch vor mir,
wie sie mir oft gegenübergesessen ist am Abend, bei der
Lampe, in dem Zimmer da, und hat mich so an¬
geschaut mit ihrem stillen Tächeln, mit dem gewissen
als wollt' sie mir noch danken; —
gottergebenen,
und ich — ich hätte mich am liebsten vor ihr auf die
Unie hingeworfen, sie um Verzeihung bitten mögen, daß
ich sie so gut behütet hab' vor allen Gefahren — und
vor allem Glück!“
Dieser alte Mann braucht seinem Kinde nicht zu
verzeihen — ein häßliches Wort —, er begreift es.
Hingegen sie es dem Geliebten nicht verzeihen kann,
daß er das „Liebesleben in ihr gemordet hat“ um
einen Ausdruck Ibsens zu gebrauchen. Sie fühlt sich
gefallen, weil er, da sie sich ihm hingab, innerlich einer
anderen Frau gehörte. Das Spiel ist ungleich. Sie
muß sterben.
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Se
fällig geworden. Wie viel mühselige Erfindung, ge¬
waltsame Honstruktion, offensichtlichen Zufall muß
aber noch Hebbel aufwenden, um den tragischen Aus¬
gang seines bürgerlichen Dramas herbeizuführen. Wie
selbstverständlich und natürlich wächst hiergegen die
Tragik Schnitzlers aus einer fröhlichen Liebelei. Kaum
daß die Wehmut der späteren Ereignisse in den lustigen
ersten Aufzug hineinklingt. Dieses Präludium enthält
bereits das ganze erschütternde Drama in nuce, und so
muß es sein, keine willkürliche Fortführung, vielmehr
Entwicklung. Jedes wahre Drama ist musikalisch ge¬
artet, einer symphonischen Dichtung verglech bar. So
gleicht hier der erste Akt einem lustigen Masch, in den
ein paar drohend schwere Töne hineinklingen. Mit
dem Erscheinen des beleidigten Gatten eine unüber¬
trefflich wiedergegebene schwüle Stille, hernach gepreßte
Heiterkeit. Der zweite Akt eine Idylle mit scherzhaften
und schwermütigen Intervallen, der Schlußakt ganz der
empörten Leidenschaft gewidmet, die sich mit der wachsenden
Erkenninis des verübten Verbrechens, tiefer und tiefer
hineinwühlt und den Helden, Christine, zu einer Größe
aufragen läßt, wie sie nur eine lang verborgene sittliche
Uraft scheert.
Künstlerisch angesehen hat hier der pspchologische
Impressionismus etwas Ausgezeichnetes geleistet. Er
verstand die Stimmung mit der fortlaufenden Handlung
in Einklang zu bringen, den ganzen Kreis eines Da¬
seins zu durchschreiten und die brutale Tatsachenwelt
auf ihre seelische Rückwirkung zu reduzieren. Die
Hauptpersonen sind sehr fein abgestuft. Zwei Gruppen
junger Teute Theodor und Mizi, die das Leben als
ein Fest vergnügter Stunden zu nehmen wissen, der
Mann nicht ohne Ahnung und Gefühl des Tragischen,
wenn man will darin schuldig, daß er die Hand an's
Schicksal legt und seinen Freund aus einer gefährlichen
Liebe durch eine Tiebelei zu retten sucht. Fritz und
Christine, zwei Menschen, die das Leben in den Ab¬
grund reißt, weil sie ihm widerstandslos angehören.
box 36/2
—
Sehr fein ist der alte Musikus gezeichnet, und nur
ganz von fern klingt in dieser echt lokalen Figur das
Urbild Miller's an. In diesem Manne finden wir
viel von Christines sanft hingebender Natur wieder,
nur daß hier ein langes mühseliges Leben eine Weisheit
eingab, die dem liebenden Weibe von Anfang an ge¬
hört. Diese Figur ist eines Anzengruber, der solche
wahrhafte Weisen freilich gern auch zu Meistern des
Lebens macht, durchaus würdig, und man vergißt
nicht leicht die Worte, die er der Frau Gevatterin
erwidert, da sie ihn als Beschützer und Wohltäter
seiner altjungferlichen Schwester preist: „Ja, das hab'
ich mir früher auch eingebildet, — wie sie noch ein
schönes junges Mädel war, —
und bin mir selber,
weiß Gott wie gescheidt und edel vorgekommen. Aber
dann später, wie so langsam die grauen haare ge¬
kommen sind und die Runzeln, und es ist ein Tag um
den andern hingegangen — und die ganze Jugend
und das junge Mädel ist so allmählich — man merkt
so was kaum — das alte Fräulein geworden,
da hab' ich einst zu spüren angefangen, was ich
eigentlich getan hab'! Ich sehe sie ja noch vor mir,
wie sie mir oft gegenübergesessen ist am Abend, bei der
Lampe, in dem Zimmer da, und hat mich so an¬
geschaut mit ihrem stillen Tächeln, mit dem gewissen
als wollt' sie mir noch danken; —
gottergebenen,
und ich — ich hätte mich am liebsten vor ihr auf die
Unie hingeworfen, sie um Verzeihung bitten mögen, daß
ich sie so gut behütet hab' vor allen Gefahren — und
vor allem Glück!“
Dieser alte Mann braucht seinem Kinde nicht zu
verzeihen — ein häßliches Wort —, er begreift es.
Hingegen sie es dem Geliebten nicht verzeihen kann,
daß er das „Liebesleben in ihr gemordet hat“ um
einen Ausdruck Ibsens zu gebrauchen. Sie fühlt sich
gefallen, weil er, da sie sich ihm hingab, innerlich einer
anderen Frau gehörte. Das Spiel ist ungleich. Sie
muß sterben.
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