VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Landsberg, Seite 16

.Panphlets offprints
zu geben. Indes, dieser subjektive Impressionismus
will den künstlerischen Gewaltaft auf ein Minimum
reduziert wissen. Ihm liegen gerade die unwesentlichen
Begleiterscheinungen seelischer Vorgänge am Herzen. Er
ist mit einem Operateur zu vergleichen, der alles Blut¬
vergießen vermeiden will. Und also räumt er dem Leben
selbst jene Schöpfertätigkeit ein, die es in seinen be¬
deutenden Stunden besitzt. Anders ausgedrückt: diese
Kunst geht vom Leben aus, nicht vom Menschen. Das
Leben ist ihr jenes gemeinsame Medium, das jede Kunst
besitzen muß, um den Eindruck der Totalität zu er¬
wecken.
Und so eignet allen Helden Schnitzlers eine augen¬
scheinliche Ehrfurcht vor den geheimen Gesetzen des
Lebens, denen willensstarke Naturen wohl energisch
zu trotzen vermögen. Willfährig beugen sie sich
vor den unsichtbaren Daseinsmächten, und wo sie
handelnd auftreten, stehen sie jedesmal im Bunde
mit diesen innersten Gesetzen des Lebens, als
seine Fürsprecher. Besonders deutlich wird dies am
„Paracelsus“ (Der grüne Kakadu), vielleicht der feinsten
und zartesten Schöpfung des Dichters. Der mittel¬
alterliche Hexenmeister wirkt hier nur durch reine
Menschlichkeit. Ein Arzt der Seele, läßt er gegenüber
den Verhältnissen die menschliche Natur zum Durch¬
bruch kommen. Sie ist sein Arcanum, und es wirkt um
so überraschender, als es von allen Teilnehmern un¬
mittelbar mitempfunden wird. Der heimatlose Arzt
und Mystiker, der allenthalben als Wundermann und
Quacksalber gepriesen oder verschrieen wird, kommt in
seine Daterstadt Basel, in das Haus eines Waffen¬
schmiedes, der seine Jugendliebe heimgeführt hat. Und
nun besteht die ganze Handlung eigentlich darin, daß
er das prahlerische Selbstbewußtsein des feisten Rats¬
herrn, der sich auf seine Ahnen, sein Anwesen, sein
Weib nicht wenig zugute hält, im Innersten erschüttert,
ihn auf einen Augenblick erkennen läßt, daß sein hoch¬
gepriesener Besitz vor dem Lebendig=Wirklichen in nichts
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zusammenschrumpft. Wir sehen, wie sein Weib ver¬
schwiegene Träume und heimliche Sehnsucht nach Schön¬
heit und Jugend nährt und nur durch das Gebot der
Sitt gewaltsam die Stimme des Blutes übertönt. Das
Nora=Problem erscheint hier in einer eigenartigen, neuen
Fassung. Der Besitz des Weibes will immer aufs neue
erworben sein, denn seine Liebe dürstet nach immer neuer
Erfüllung. Es ist sehr fein, daß einem einzigen Geschehen
alle Personen ganz verschieden gegenüberstehen. In jedem
Mitspieler löst es eine verschiedene Empfindungswelt,
ein eigenartiges Erkennen aus. Und es ist wiederum
charakteristisch, daß Paracelsus nicht als weiser Mann
bringt ihm unerwartete Wirrnis statt der erhofften Klar¬
heit, und nicht zuletzt fühlt er sich durch die plötzlich aus¬
brechende Leidenschaft Justinas für den jungen Edel¬
mann seelisch betroffen, muß er doch glauben, daß die
Liebe seiner Jugend noch lebendig fortwirkt.
Sein kräftiges Gegenstück findet der „Daracelsus“
in dem „Grünen Kakadu“ einer geradezu klassischen,
dramatischen Szene. Don dieser Groteske aus ließe sich
die Entwicklung des modernen, historischen Dramas
interessant verfolgen. Wir glauben nicht mehr an die
Möglichkeit, den Geist einer Zeit zu versinnbildlichen,
wenn wir ihre Taten und Helden aufmarschieren lassen.
Ja das endliche Ereignis, das auf einen großen, ge¬
schichtlichen Namen getauft wurde, berührt uns hart
und nüchtern in seiner brutalen Nacktheit. Wohl aber
werfen die Ereignisse jedesmal einen Schatten voraus.
Dom Zeitgeist durchdrungen, zittert ihnen die Seele des
Menschen entgegen, vorlebend noch ungeborenen Stand
der Dinge. Aus diesem Gefühl heraus erfand sich die
moderne Dichtung das Mittel der indirekten Wieder¬
gabe der Ereignisse. Oder sie fängt, wie in unserer Komödie,
ein großes, grausiges Schauspiel in einem kleinen, auf jedem
Dunkte lebendigen, Mikrokosmos auf. Zeit: der Abend
des Bastillesturmes; Ort: eine Spelunke, in der ein ge¬
wesener Schmierendirektor mit seiner Truppe durch