VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Landsberg, Seite 18

Panphlets, Offprints
besonderen Kunstwert beanspruchen, ja dies Dramolei
ist dem Besten, was Schnitzler geschaffen hat, durchaus
ebenbürtig. Im Begriffe, ein verfehltes Leben im
Krankenhause zu beschließen, will sich ein Journalist
eine letzte lebendige Stunde bereiten, indem er dem glück¬
begünstigten Jugendgenossen, der es zum berühmten und
tantiemereichen Dichter gebracht hat, einen tödlichen
Schlag versetzt. Er will ihn in seiner Mannesehre
treffen. Er ist der Geliebte seiner Frau gewesen. Und
wieder sehen wir, wie das sorgsam inszenierte Schau¬
spiel vor der Wirklichkeit verblaßt. Er erfährt, daß
das Schicksal seine Rache längst besser besorgt hat, als
er selbst es je hätte tun können. Der berühmte Doet
erscheint vor dem Freunde in seiner ganzen, kahlen Arm¬
seligkeit. Er hat nichts Lebendiges als den Glauben
an sein Weib und sein Heim. Soll er ihm auch
den noch nehmen? Wieder hat das Leben dem
Dichter die Feder geführt. Unseren Plänen, Wünschen
und Hoffnungen setzt es mit vollendeter Ironie einen
neuen Zustand entgegen, den wir nur zu erkennen
brauchen, um solcher Sehnsucht bar zu werden.
Das Schnitzlersche Dramolet, zuletzt durch den fein¬
sinnigen „Duppenspieler“ vermehrt, bietet zumeist ein
Nichts an Handlung, vornehmlich wirksam durch die
zarte Unabsichtlichkeit des Dialogs, der uns mit leisem
Nachtasten in verschwiegene Seelengänge führt. Diese
Kunstart kennt keine dramatische Prägnanz, nicht die
Energie des kämpfenden, vorwärts drängenden und
zurückweichenden Charakters, vielmehr ist sie einem
weichen, nachzitternden Geigenstrich vergleichbar.
Und die Begrenzung dieser Begabung wird am
ehesten sichtbar in dem einzigen Drama großen Stils,
das Schnitzler bisher versucht hat, im „Schleier der
Beatrice“
Beatrice Mardi, halb Kind, halb Weib, Tochter
einer kupplerischen Mutter, deren Schamlosigkeit den
Gatten in die Nacht des Wahnsinns trieb, erfüllt den
jungen Dichter Filippo Loschi ob ihrer wunderbaren
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Schönheit mit so grenzenloser Leidenschaft, daß er
jählings hingerissen, seine adlige Braut verschmäht und die
dringendste Gefahr, in der sich seine Daterstadt Bologna
durch Cesare Borgia befindet, im Liebestaumel vergißt.
Aber bei diesem seltsam sensitiven Jüngling genügt die
Erzählung eines Traumes, in dem sich seine Geliebte
als Herzogin gesehen hatte, um all seine Leidenschaft
brach zu legen. Er jagt das unschuldig=schuldige Kind
von sich. Geängstigt, ratlos gehorcht sie dem Bruder,
der die Werbung eines Freundes unterstützt, um das
Kind vor der schmutzigen Mutterliebe und dem Schicksal
der Schwestern zu schützen. Auf dem Wege zum Altar
begegnet sie dem Herzog. Ihr Traum gewinnt Leben.
Ihre königliche Natur läßt den Fürsten, dem sie sich
nur als Gattin hingeben will, das Ungeheure voll¬
bringen. In der Hochzeitsnacht flieht sie, von unerklärlicher
Sehnsucht getrieben, vom Herzog fort zu dem Geliebten. Sie
ist entschlossen, eine letzte Liebesnacht an seiner Seite
mit dem gemeinsamen Tod zu büßen. Er stellt sie auf
die Drobe und zeigt ihr durch einen vermeintlichen
Gifttrunk, wie sehr sie noch mit dem Leben verschwistert,
wie ihr Todesmut nur aus einem Rausch geboren ist.
Er selbst trinkt den Tod. Sie entflieht mit einem sinn¬
losen, krampfhaften Aufschrei: „Leben!“
Inzwischen ist die fürstliche Braut vermißt worden.
Heimkehrend, gelingt es ihr nicht, die Wahrheit zu ver¬
hüllen. Mit dem Tode bedroht, wenn sie nicht des
Herzogs Brautgeschenk, einen kostbaren Schleier,
wiederschafft, muß sie den Gatten in das Haus des
toten Geliebten führen. Ihre Sünde wird offenbar.
Während der Herzog verstehen und verzeihen will, stößt
ihr der Bruder den Dolch ins Herz.
Nicht zufällig spielt das Drama, das mit zahl¬
reichen Nebenmotiven überlastet ist, in der Renaissance.
Die Zeit gibt ihm das Recht, die Lust des Lebens, den
wilden Drang rastlosen Genusses, der, einmal gesättigt,
den Tod als Krönung des Daseins empfindet, i
rauschenden Akkorden buntfarbig abzuspiegeln. Und
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