Panphlets, offprints
gleichzeitig erhöht die nahe Stunde des Untergangs
einer ganzen Stadt die natürliche Unsittlichkeit der
Renaissance, deren schrankenlosem Individualismus es
an jedem Gefühl der Verantwortlichkeit gebricht. Wieder,
wie so oft bei Schnitzler, wird ein wirksamer Kontrast
geschaffen zwischen blühender Lebenslust und der bitteren
Notwendigkeit des Todes.
Gleichwohl haben wir nicht den Eindruck eines
organisch entwickelten Dramas. An Einzelschönheiten
ungemein reich, versagt das Werk in seiner Totalität,
weil es sich nach machtvollen Anfängen ganz in
das Detail einer spitzfindigen Ospchologie verliert. Einer
literarischen Zeitströmung folgend, setzt Schnitzler der
älteren logisch=strengen, klassizistischen Verknüpfung
von Schuld und Sühne ein mpstisches Chaos un¬
entwirrbarer Linien entgegen. Er macht den Zufall
zum alleinigen Gebieter irdischer Verwicklungen. Sein
Held wird ein unschuldiges Hind, das, von natürlichen
Regungen der weiblichen Seele geleitet, durch seine über¬
irdische Schönheit Unheil und Derderben ausgießt. In
Beatrice wollte der Dichter das Weib schildern in seinem
grenzenlosen Liebeshunger und seiner natürlichen Un¬
moral, das Weib, das, seinen Instinkten folgend, aller
Kultur und aller sittlichen Banden spottet. Die ur¬
sprüngliche Eva:
„Du bist
Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat Dich
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
Nie bist Du vor der Buntheit dieser Welt
In Andacht hingesunken, und daß Du,
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
Sich unter den unendlich Dielen fanden,
Hat nie mit tiefem Schauer Dich erfüllt.
Und daß Dein Dater toll, füllt nicht mit Bangen,
Daß Dittorino starb, der Dich geliebt,
Nicht mit dem fürchterlichsten Grau'n dein Herz.
Und daß Du Fürstin von Bologna bist,
Macht Dich so wenig staunen, Beatrice,
Wie wenn sich eine Mück' auf deine Hand“ setzt.
Beatrice also, der Idee nach ein Mensch, der gegen
alle Wirrnis und Tragik so unempfindlich ist wie das
box 36/2
Leben selbst. Und als ihr Gegenbild wäre ein Mann
zu denken der jedem Schicksal gewachsen ist, ein Meister
des Lebens. Tatsächlich steht aber unsere Heldin nicht
weit ab von dem „lieben süßen Mädel“, das uns aus
den früheren Dramen so wohlbekannt ist. Hinwieder
Filippo Loschi das Leiden aller dargestellten Dichter
hat, sich soweit mit dem Autor zu identifizieren, daß er
im Grunde jenseits des Dramas steht. Dieser Doet
reflektiert zuviel. Er macht pspchologische Experimente.
Gleichwohl löst dieses edel gehaltene, empfindungs¬
warme Drama bei aller Unsicherheit des Stils, viel
von der modernen Empfindungswelt aus. Es hält sich
frei von der starren Engherzigkeit eines Dramas, das
sich noch immer von verlebten Konflikten nährt. Nur
verfällt es gegenteilig ins Unbegrenzte. So zerflattern
Töne, Worte, Empfindungen, die bei einer plastisch
sicheren Gestaltung uns ganz anders berühren würden.
Auch Schnitzlers jüngstes Drama „Der einsame
Weg“ ist nur ein Uebergangsstück, das uns gerade ob
seiner unverkennbaren Schwächen das Charakteristische
seiner Sphäre und seines Stils verdeutlicht. Dieses
Drama ist durchaus novellistisch gehalten, ohne
eine ausreichende Zuspitzung der Konflikte, ohne ge¬
nügende Plastik der Charaktere. Es kommt hier ein
sehr charakteristischer Trieb der modernen Literatur zum
Ausdruck, dem Tragischen seine gefährliche Spitze zu
nehmen, indem man es mit dem cynischen Gleichmut
anschaut, den das Leben selber bekundet, als welches nur
gesetzmäßige Notwendigkeiten anerkennt. In diesem
Gegensatz menschlicher Strebungen und Gefühle und
der natürlichen Brutalität der Geschehnisse, die die
Menschen gleichsam nur als Werkzeuge ihres geheimnis¬
vollen Wollens ansehen, liegt zweifellos ein höchst dank¬
barer tragischer Dorwurf. Nur ist das Genie allein
imstande, bis zur schonungslosen Unmoral der Natur
vorzudringen, sie glaubhaft darzustellen. Schnitzler rührt
nur an dieses letzte Geheimnis aller Dinge, indem er
seine Menschen darüber reflektieren und philosophieren
gleichzeitig erhöht die nahe Stunde des Untergangs
einer ganzen Stadt die natürliche Unsittlichkeit der
Renaissance, deren schrankenlosem Individualismus es
an jedem Gefühl der Verantwortlichkeit gebricht. Wieder,
wie so oft bei Schnitzler, wird ein wirksamer Kontrast
geschaffen zwischen blühender Lebenslust und der bitteren
Notwendigkeit des Todes.
Gleichwohl haben wir nicht den Eindruck eines
organisch entwickelten Dramas. An Einzelschönheiten
ungemein reich, versagt das Werk in seiner Totalität,
weil es sich nach machtvollen Anfängen ganz in
das Detail einer spitzfindigen Ospchologie verliert. Einer
literarischen Zeitströmung folgend, setzt Schnitzler der
älteren logisch=strengen, klassizistischen Verknüpfung
von Schuld und Sühne ein mpstisches Chaos un¬
entwirrbarer Linien entgegen. Er macht den Zufall
zum alleinigen Gebieter irdischer Verwicklungen. Sein
Held wird ein unschuldiges Hind, das, von natürlichen
Regungen der weiblichen Seele geleitet, durch seine über¬
irdische Schönheit Unheil und Derderben ausgießt. In
Beatrice wollte der Dichter das Weib schildern in seinem
grenzenlosen Liebeshunger und seiner natürlichen Un¬
moral, das Weib, das, seinen Instinkten folgend, aller
Kultur und aller sittlichen Banden spottet. Die ur¬
sprüngliche Eva:
„Du bist
Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat Dich
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
Nie bist Du vor der Buntheit dieser Welt
In Andacht hingesunken, und daß Du,
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
Sich unter den unendlich Dielen fanden,
Hat nie mit tiefem Schauer Dich erfüllt.
Und daß Dein Dater toll, füllt nicht mit Bangen,
Daß Dittorino starb, der Dich geliebt,
Nicht mit dem fürchterlichsten Grau'n dein Herz.
Und daß Du Fürstin von Bologna bist,
Macht Dich so wenig staunen, Beatrice,
Wie wenn sich eine Mück' auf deine Hand“ setzt.
Beatrice also, der Idee nach ein Mensch, der gegen
alle Wirrnis und Tragik so unempfindlich ist wie das
box 36/2
Leben selbst. Und als ihr Gegenbild wäre ein Mann
zu denken der jedem Schicksal gewachsen ist, ein Meister
des Lebens. Tatsächlich steht aber unsere Heldin nicht
weit ab von dem „lieben süßen Mädel“, das uns aus
den früheren Dramen so wohlbekannt ist. Hinwieder
Filippo Loschi das Leiden aller dargestellten Dichter
hat, sich soweit mit dem Autor zu identifizieren, daß er
im Grunde jenseits des Dramas steht. Dieser Doet
reflektiert zuviel. Er macht pspchologische Experimente.
Gleichwohl löst dieses edel gehaltene, empfindungs¬
warme Drama bei aller Unsicherheit des Stils, viel
von der modernen Empfindungswelt aus. Es hält sich
frei von der starren Engherzigkeit eines Dramas, das
sich noch immer von verlebten Konflikten nährt. Nur
verfällt es gegenteilig ins Unbegrenzte. So zerflattern
Töne, Worte, Empfindungen, die bei einer plastisch
sicheren Gestaltung uns ganz anders berühren würden.
Auch Schnitzlers jüngstes Drama „Der einsame
Weg“ ist nur ein Uebergangsstück, das uns gerade ob
seiner unverkennbaren Schwächen das Charakteristische
seiner Sphäre und seines Stils verdeutlicht. Dieses
Drama ist durchaus novellistisch gehalten, ohne
eine ausreichende Zuspitzung der Konflikte, ohne ge¬
nügende Plastik der Charaktere. Es kommt hier ein
sehr charakteristischer Trieb der modernen Literatur zum
Ausdruck, dem Tragischen seine gefährliche Spitze zu
nehmen, indem man es mit dem cynischen Gleichmut
anschaut, den das Leben selber bekundet, als welches nur
gesetzmäßige Notwendigkeiten anerkennt. In diesem
Gegensatz menschlicher Strebungen und Gefühle und
der natürlichen Brutalität der Geschehnisse, die die
Menschen gleichsam nur als Werkzeuge ihres geheimnis¬
vollen Wollens ansehen, liegt zweifellos ein höchst dank¬
barer tragischer Dorwurf. Nur ist das Genie allein
imstande, bis zur schonungslosen Unmoral der Natur
vorzudringen, sie glaubhaft darzustellen. Schnitzler rührt
nur an dieses letzte Geheimnis aller Dinge, indem er
seine Menschen darüber reflektieren und philosophieren