1. Panphlets, offorints
heit. Wieder begegnen wir zumeist der Stimmung des
leisen Erinnerns, in der sich der Mensch aller Aktivität
entäußert und ein neugieriger Beobachter seiner selbst wird.
In der er sich nicht mehr im Geginsatz zu der Land¬
schaft, die ihn umgibt, empfindet, vielmehr in seinem
Fühlen und Denken völlig mit ihr zusammenfließt.
Allenthalben herrschen bei Schnitzler seelische Zustände,
nicht aber tätige, bestimmten Zielen zustrebende Menschen.
Und er ist ein Meister in der Schilderung dieser Zu¬
stände, die sich lose auf dem Faden einer ureinfachen
Geschichte aufreihen. Wie wunderbar weiß er die
Wechselbeziehungen des Empfindens und Denkens, wie
eins ins andere übergeht, darzustellen. „Sterben“ ist
die beste Schöpfung seiner Erzählungskunst. Ein junger
Schwindsüchtiger, der sich in ohnmächtigem Lebenstrotz
gegen die Gewißheit des nahen Todes aufbäumt. Mit
ihm seine Geliebte, die das Dollgefühl gesunder Lebens¬
kraft langsam und allmählich von seiner Seite reißt.
Hier ist ein dem Leser Schnitzlers wohlbekanntes Motiv
in seiner ganzen Breite und Fruchtbarkeit behandelt. So
ist auch der lebensfrohe „Lieutnant Gustl“ dem Tode
verfallen, aus dessen Fängen ihn nur ein tragischer
Zufall reißt. Ein an sich unbedeutendes Geschehnis
das Renkontre mit einem athletischen Bäckermeister,
dessen Kraft den jungen Offizier zwingt, einen Affront
ruhig einzustecken, ihm befiehlt, sich zu erschießen. Da
befreit ihn der Tod von dem einzigen Mitwisser seiner
Schmach. Diese leisen Tragödien des Lebens, die ein
flüchtiger Hauch in eine Komödie verwandeln kann,
seelische Geheimnisse, die mit einem Schlage die Farbe
des Daseins verändern, sie bilden die eigenste Domäne
dieser Erzählungskunst, die den ruhigen Atem des
Lebens nur hier und da durch einen starken tragischen
Accent unterbricht. So ist die „Frau des Weisen“
ganz von jenem zarten lprischen hauch erfüllt, der in
uns aufklingt, wenn wir, in Erinnerungen versunken,
den stillen Rätseln des Daseins lauschen. Für einen
Roman ist diese Note freilich zu schwach und zart, und
box 36/2
in „Frau BerthaGarlan“ reicht sie nicht aus, das
Wiederaufleben einer Jugendliebe und die notwendig
Enttäuschung uns als ein Lebensschicksal empfinden
zu lassen.
ArthurSchnitzler ist am 15. Mai(862 zu Wien
als Sohn eines bekannten Laryngologen geboren. Er
studiert Medizin. Wird 1885 Arzt. Veröffentlicht ein
Jahr hernach Gedichte, Novelletten, Dialoge in der von
Paul Goldmann herausgegebenen Zeitschrift „An der
schönen blauen Donau“. Erringt den ersten großen
Erfolg mit seinem „Anatol“ 1892.
Die Entwicklung des Dierzigjährigen ist in künst¬
lerischer Hinsicht noch nicht abgeschlossen. Er steht heute
in der ersten Reihe derer, die sich um eine Erneuerung
des deutschen Dramas bemühen. Er hat es um eine
Tat bereichert: die „Liebelei“. Und er hat zugleich
seine Zuschauer gewöhnt, aufzuhorchen auf die Stimme
eines Dichters, der es verschmäht, seine Kunst um des
blinden Erfolgs zum bequemen Erwerb zu erniedrigen.
Wohin diese Kunst strebt, wissen wir nicht. Nur, daß
sie ehrlich ist und adlig.
heit. Wieder begegnen wir zumeist der Stimmung des
leisen Erinnerns, in der sich der Mensch aller Aktivität
entäußert und ein neugieriger Beobachter seiner selbst wird.
In der er sich nicht mehr im Geginsatz zu der Land¬
schaft, die ihn umgibt, empfindet, vielmehr in seinem
Fühlen und Denken völlig mit ihr zusammenfließt.
Allenthalben herrschen bei Schnitzler seelische Zustände,
nicht aber tätige, bestimmten Zielen zustrebende Menschen.
Und er ist ein Meister in der Schilderung dieser Zu¬
stände, die sich lose auf dem Faden einer ureinfachen
Geschichte aufreihen. Wie wunderbar weiß er die
Wechselbeziehungen des Empfindens und Denkens, wie
eins ins andere übergeht, darzustellen. „Sterben“ ist
die beste Schöpfung seiner Erzählungskunst. Ein junger
Schwindsüchtiger, der sich in ohnmächtigem Lebenstrotz
gegen die Gewißheit des nahen Todes aufbäumt. Mit
ihm seine Geliebte, die das Dollgefühl gesunder Lebens¬
kraft langsam und allmählich von seiner Seite reißt.
Hier ist ein dem Leser Schnitzlers wohlbekanntes Motiv
in seiner ganzen Breite und Fruchtbarkeit behandelt. So
ist auch der lebensfrohe „Lieutnant Gustl“ dem Tode
verfallen, aus dessen Fängen ihn nur ein tragischer
Zufall reißt. Ein an sich unbedeutendes Geschehnis
das Renkontre mit einem athletischen Bäckermeister,
dessen Kraft den jungen Offizier zwingt, einen Affront
ruhig einzustecken, ihm befiehlt, sich zu erschießen. Da
befreit ihn der Tod von dem einzigen Mitwisser seiner
Schmach. Diese leisen Tragödien des Lebens, die ein
flüchtiger Hauch in eine Komödie verwandeln kann,
seelische Geheimnisse, die mit einem Schlage die Farbe
des Daseins verändern, sie bilden die eigenste Domäne
dieser Erzählungskunst, die den ruhigen Atem des
Lebens nur hier und da durch einen starken tragischen
Accent unterbricht. So ist die „Frau des Weisen“
ganz von jenem zarten lprischen hauch erfüllt, der in
uns aufklingt, wenn wir, in Erinnerungen versunken,
den stillen Rätseln des Daseins lauschen. Für einen
Roman ist diese Note freilich zu schwach und zart, und
box 36/2
in „Frau BerthaGarlan“ reicht sie nicht aus, das
Wiederaufleben einer Jugendliebe und die notwendig
Enttäuschung uns als ein Lebensschicksal empfinden
zu lassen.
ArthurSchnitzler ist am 15. Mai(862 zu Wien
als Sohn eines bekannten Laryngologen geboren. Er
studiert Medizin. Wird 1885 Arzt. Veröffentlicht ein
Jahr hernach Gedichte, Novelletten, Dialoge in der von
Paul Goldmann herausgegebenen Zeitschrift „An der
schönen blauen Donau“. Erringt den ersten großen
Erfolg mit seinem „Anatol“ 1892.
Die Entwicklung des Dierzigjährigen ist in künst¬
lerischer Hinsicht noch nicht abgeschlossen. Er steht heute
in der ersten Reihe derer, die sich um eine Erneuerung
des deutschen Dramas bemühen. Er hat es um eine
Tat bereichert: die „Liebelei“. Und er hat zugleich
seine Zuschauer gewöhnt, aufzuhorchen auf die Stimme
eines Dichters, der es verschmäht, seine Kunst um des
blinden Erfolgs zum bequemen Erwerb zu erniedrigen.
Wohin diese Kunst strebt, wissen wir nicht. Nur, daß
sie ehrlich ist und adlig.