VI, Allgemeine Besprechungen 1, Helene Hermann Probleme in Schnitzlers Dichtungen, Seite 11

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PanphletsOfforints
694 Helene Herrmann: Probleme in Arthur Schnitzlers Dichtungen.
Mörder wird. Er kann Leben nur noch Das ist Poalas Geschick, daran gehen die
betätigen, indem er vernichtet, zerstört, das beiden so verschieden gearteten Frauen Bertha
blühende Geschöpf an seiner Seite mit sich
und Anna in der meisterhaften Seelenstudie
ins Grab zieht Und auch von den Schauern
„Frau Bertha Garlan“ zugrunde. In ihnen
erfahren wir, die der Tod auf das Leben allen ist die Lebenskraft gebrochen. Beatrice
selbst ausströmt.
aber ist Lebensoffenbarung. Sie hat die
In zwei ganz in Maupassautscher Art ge= Fülle der Wünsche, die Sehnsucht nach dem
schriebenen Skizzen „Ein Abschied“ und „Die Rätselvollen, sie will vom Manne, den sie
Toten schweigen“ ist dies das Hauptmotiv: liebt, das höchste Seelenglück empfangen.
„So schaudert Leben vor dem Tod.“ Im Und zugleich träumt es in ihrem Inneren
„Sterben“ will Marie mit dem Geliebten von Sinneslust, von Pracht und Glanz.
ihr Leben enden, und sie berauscht sich an Und sie, die wie ein Symbol der blühenden,
diesem Bilde, und sie kann diesen Willen unterganggeweihten Renaissancestadt erscheint,
ebensowenig festhalten wie er den seinen, deren schönste Tochter sie ist, wird ohne
gegenüber der Macht ihrer Jugend und der Schauder all ihren Wünschen folgen, dem
blühenden Natur, zu der ihre Jugend ge= dunklen, glühenden Zuge ihrer Natur. Denn
hört. Ihr Mitleid will den Sterbenden all diese Wünsche sind nur Stimmen des
lieben, und sie muß ihn hassen und endlich
Lebens selbst, das so stark ist in ihr und
von seinem Totenbette forteilen — ins Leben.
sie vom selbstgewählten Tode zurückreißt,
Marie ist die blassere Schwester Beatrices.
den sie eben noch aus des Geliebten Hand
Diese ist geradezu eine Verkörperung des
empfangen wollte.
Lebens in seiner vollen Kraft und Blüte.
Ihre Unbewußtheit hüllt sie wie ein
Sie hat das Recht, von der Leiche des Ge¬
Schleier ein und scheint ein täuschendes Ge¬
liebten fortzustürzen mit dem Schrei: „Le¬
webe der Maja all denen, die sie nicht ver¬
ben!“ — von dem Geliebten, zu dem sie doch
stehen, weil sie ihre Lebensfülle für Seelen¬
in ihrer Herzensangst floh, um mit ihm zu
armut halten. Nein, unbewußt und sicher
sterben.
und darum ohne Schauder ist sie wie ein
Schnitzler hat viel über Rätsel und Zwie¬
Kind:
spalt in der Frauenseele nachgegrübelt. Seine
Warst du nicht, Beatrice, wie ein Kind,
Frauengestalten haben die Ellidasehnsucht
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
nach den ungewissen Fernen, nach den See¬
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel,
Mit eines Jünglings Herzen, weil dir's just
len voller Rätsel, nach dem tödlichen Glück,
Geschenkt war?
von den ewig Schweisenden geliebt zu sein.
Das hat Schnitzler in Justina, in Paola,
Das Leben, das ein Mann wie der Her¬
in Johanna mehr angedeutet als gestaltet.
zog in Taten gestaltet und bezwingt, ruht
Er kennt auch die Tragik der Frau, deren
in ihr: ungestaltet, elementarisch, strömend.
eigentliches Glück die Seelengemeinschaft mit
Wie schade, daß der Dichter in ethischem
dem Manne wäre, die ex tief als Wahrheit Besinnen auch ihr zuletzt den frohen Lebens¬
fühlt: „Zusammen wach sein, das allein be¬
mut brach. Und doch liebt er diese seine
deutet“, und die doch dem lockenden dunk= Gestalt wie das Leben, das ihm ewig un¬
len Zuge der Sinnlichkeit erliegen muß. erreichbar ist.

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