VI, Allgemeine Besprechungen 1, Helene Hermann Probleme in Schnitzlers Dichtungen, Seite 10

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Probleme in Arthur Schnitzlers Dichtungen.
Maße eignet ihm die Bewußtheit moderner Gefühl für ausgleichende Gerechtigkeit, das
Menschen, so hat er auch die Schmerzen er= in diesem Verzicht liegt, berührt nicht als
sehnt und genossen, die das Kunstwerk des ein fremder Zug in der Natur dieses Asthe¬
Lebens erst vollenden. Ja, um das Be= ten. Nur durfte Schnitzler diesen Sala nicht
wußtsein der letzten Stunden will er nicht um eines ethischen Konfliktes willen sein
betrogen sein: „Ich finde, man hat das Leben verkürzen lassen.
Sala besitzt die seltene Kunst, sein Leben
Recht, sein Dasein vollkommen auszuleben
in einem reinen Stil durchzuführen, und
mit allen Wonnen und allen Schauern, die
die schwerere, mit Anstand zu sterben. Der
darin verborgen liegen.“ Das sagen so viele,
Tod ist für diese ganze Generation mit ihrer
so wenige vermögen es. Diese Kultur der
Lebensschen und Lebenssehnsucht ein Rätsel,
eigenen Seele schenkt ihm auch die seltene
das ebensosehr lockt als es schreckt. Sie sehnen
Gabe, das Wesen fremder Seelen — „die
sich nach ihm, sie fühlen ihn immer gegen¬
da sind wie ein dunkler Wald“ — zu ahnen.
wärtig, am meisten in den Stunden der Er¬
Ein halbes Wort, ein Blick genügt seinem
zarten Erraten. Er hat die seine, tastende füllung, im zitternden Überschwang sommer¬
Hand, die über wunde Stellen wegzugleiten licher Reise:
weiß. Und er besitzt im Gegensatz zu dem
Das ist der Tod, er ist Musik geworden, unendlich
haltlosen Freunde Julian das volle Ver¬
sehnend, süß und dunkel glühend,
Verwandt der tiefsten Sehnsucht.
ständnis für die fremde Lebensform der
Menschen, „die einen Beruf haben“, Freude
Auch Schnitzler empfindet wohl die Schön¬
anders wie sein Schöpfer, der Dichter:
heit des Todes und die Macht, mit der
sehnsuchtsvolle Freude an der jungen
seine Nähe zu reinigen und zu befreien
Generation, die nicht seine Wege gehen wird:
weiß. In den „Letzten Masken“ will der
„Es wächst jetzt überhaupt wieder ein besse¬
Todgeweihte dem verhaßten Nebenbuhler
res Geschlecht heran ... Weniger Geist und
allen Groll seines verbitterten Lebens noch
mehr Haltung.“ Wo Julian das Weh eines
einmal entgegenschleudern. Als der nun
Mangels empfindet, kann er ruhiges, zu¬
schauendes Verstehen haben — weil er, von aber an seinem Bette sitzt, ahnungslos ihm
dem doch gesagt wird: „Ihnen ist wohl nie alle Nichtigkeit seiner Existenz vorklagt, da
ein Wunsch unerfüllt geblieben,“ sich bei= kommt die große Stille über ihn, die Reife
zeiten auf das Alleinsein eingerichtet hat. einer schönen Todesstunde. „Was habe ich
Intim können die Freunde mit ihm sein, er mit ihm zu schaffen? ... Was hat unser¬
ist es mit niemandem. „Ich bin immer für einer mit den Leuten zu schaffen, die mor¬
gemessene Distanzen gewesen, daß es die gen noch auf der Welt sein werden?“
Aber Schnitzler hat doch auch ein sehr
anderen nicht merken, ist nicht meine Schuld.“
anderes Verhältnis zum Tode. Er ist Arzt,
Und weil er weiß, daß er sich nie an einen
und er kennt alle Schauer des Todes, die
anderen Menschen hingegeben, nie eine Stunde
seelenmordende Kraft einer langsamen Auf¬
seines Daseins an jemanden verloren hat,
lösung. Und den unerbittlichen Kampf, den
was nicht ausschließt, daß er mehr Glück
das Leben gegen den Tod führen muß. In
geschenkt hat als andere selbstlose Naturen
seiner Novelle „Sterben“ hat er uns das
— darum belächelt er die „wehleidige" Halb¬
geschildert. Ein Schwindsüchtiger erfährt,
heit Juliaus, der verspätete Vatergesühle
daß er noch ein Jahr zu leben habe. Er
hat, weil er den dreißig Jahre lang verleug¬
will dies letzte Jahr an der Seite seiner
neten Sohn braucht. Er weiß, daß er nicht
beides haben kann, das Glück der Altruisten Geliebten in ruhiger Bewußtheit genießen,
und das des bewußten Selbstgenießers. Hier dem Tod erwartend ins Auge sehen. Und
Schnitzler zeigt, wie unmöglich es ist, solchen
findet seine Resignation die schönsten Worte
Willen gegenüber den mählich, fast unmerk¬
in diesem Drama, das so viele feine, lang
lich sich wandelnden Empfindungen festzu¬
in uns nachhallende Gespräche enthält: „Und
wenn uns ein Zug von Bacchanten beglei= halten, wie der Unglückliche mit letzter Kraft
tet, den Weg hinab gehen wir allein, wir, das fliehende Leben umklammert und, da er
die selbst niemand angehört haben." Das es nicht halten kann, in seinem Wollen zum
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