VI, Allgemeine Besprechungen 1, Der Arzt in der schönen Literatur, Seite 7

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Pamphlets, offprints
eine Arztin zur Heldin erhoben !5). Fräulein Dr. Solstander
verliebt sich in den Professor v. Helmstorff, eine Art Mischung
von Don Juan und Faust — siehe Grabbe; er endigt durch
Selbstmord. Sie sucht den Tod in den Fluten des Neckars, findet
ihren Verlobten wieder und wird Frau Dr. Riedinger. Der Roman
mag den Geschmack des Publikums treffen, dem Thema wird er
nicht gerecht. — An einem Buche von Victorien Du Saussay
kann man nicht achtlos vorübergehen 10). Der Autor bringt den
Arzt in verfänglicher Situationen und arbeitet durchaus nach Mephistos
Ratschlägen. Das Buch ist einseitig, zum Teile unwahr, weil es
Möglichkeiten zu typischen Wahrheiten erhebt, weil es nach dem
bekannten Fehlschlusse des reisenden Engländers, der einen
stotternden Kellner in Paris getroffen und berichtet aat: „Alle
Kellner in Paris stottern“, gearbeitet ist. Trotzdem wir bei der
Lektüre in das vorgeschriebene moralische Entsetzen geraten,
können wir nicht umhin, das Buch bis zur letzten Seite zu lesen
(das ist ja Referentenpflicht!) und vielen deutschen Autoren, welche
linkische und lederne, schlecht kostümierte, faniert aussehende
Arzte in Romanen, unmögliche Tugendhelden und ärztliche Calos
in Dramen verewigen, die Anlagen des Herrn Du Saussay zu
empfehlen. Es fehlt ihm Gemüt (er ist Franzose) und er ist lasziv
(Spekulation auf buchhändlerischen Erfolg?), aber er führt uns
trotz alledem Menschen vor Augen, nicht unmögliche Puppen.
Der Arzt ist oft genug von nichtärztlichen Autoren über die
Bretter, welche die Welt bedeuten sollen, gezerrt worden. Hans
Müller gibt in dem schlechten Einakter „Die Blumen des
Todes“, in welchem eine vermeintliche Ehebrecherin ihren Gatten
und dieser sein Maltalent wiederfindet, dem Arzte eine wertlose
Rolle. — „Der Dummkopf“ Ludwig Fuldas soll der Tücke seiner
Verwandten zum Opfer werden; Dr. Thilenius, der Direktor
einer Nervenheilanstalt, diagnostiziert aus einem — Tagebuche den
poetischen Sinn und die Herzensgüte des ldealisten:
Was er da in aller Naivität und Heimlichkeit niedergeschrieben
hat mit der Weisung, daß es nach seinem Tode verbrannt werden soll,
darum könnte manch ein Poet mit klingendem Namen ihn beneiden. Nichts
Unechtes, nicht Anempfundenes steht darin, Ich vermochte mich nicht
loszureißen, bis ich das ganze Heft verschlungen hatte, und als ich es
zuklappte, da war ich sein Freund.-
Leo Felds Schauspiel: „Der Arzt“ ist eine feinergeslimmte
dramatische Arbeit. Der Arzt wird vor die Frage gestellt: Muß ich
dem Kinde meines Beleidigers heifen oder nicht? Die Antwort
lautet: Ich muß. Der Einakter, welcher schon früher in Wien
gegeben wurde, hatte auch im Vorjahre keinen nennenswerten
15) Stratz: Der du vom Himmel bist. Stutlgart, Cotta, 1907.
10) Du Saussay: Médecins pour dames seules. Paris 1907.

Erfolg — offenbar weil das liebe
der ärztlichen Pflicht nicht goutiert,
Scherz von Karl Hans Strobl zo
lockt den Boten des Juweliers
Psychiaters; die Diebin eilt mit de
und der verzweifelte Bote wird
gehalten. — Die grassierenden Einakt
Arzten. Araulf Sonntag bringt
Geliebten erobert und ihn davon ab
Jugendversprechens wegen als einsa
Hier scheitert das Problem daran,
Standesverhältnisse unkundig, den I
schildert. Das tapfere Mädchen
Grund, dem Geliebten nicht aufs Lan
Lothar lassen in „Der großen
des Liebhabers spielen. — Georg H
akter „Das tote Leben“ einen Maler
loren hat und zum Troste von eine
Weltanschauung eingeführt wird. U
wird er Einsiedler und stirbt, da
den allen Schmerz wieder fühlen 1ä
wie undramatisch. — „Der Meister
mehr als einer Beziehung Kurpfusch
ohne wissenschaftliche Vorbildung,
Weiblein, regieren und tut es nur
den Mitmenschen seine Schwäche
treibt es in fremde Arme. In d
Lob gefunden hat, geht ein Med.
Persönchen ohne Initiative, uni
Kokoro. Beide sollen dem Meiste
Balsam, der ein abgelegtes Mädeh
seiner Wissenschaft lächerlich ers
daß ein erfahrener Dramatiker sich di
daß der bekannte Schriftsteller
tierens auf der Bühne noch immer
Salten, ein schärferer Beobachter,
gegangen. Da soll im „Ernst des L
rat von seinem Schwager und P#
weil er diesem salbungsvoll empfoh
Würde auf den Tod vorzubereiten.
kurzer Frist seiner Krankheit erliege
gleiter auf der Reise zum „ander
11 Sonntag: Virgines. Münche
12) Bahr: Der Meister. Berlin, I
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