VI, Allgemeine Besprechungen 1, Friedrich Düsel Dramatische Rundschau, Seite 2


box 36/3
Pamphletsofforints
EEEZEEESSP P Dr. Friedrich Düsel: Dramatische Rundschau. Karearak 453
Es wäre töricht, behaupten zu wollen, Rein= schöpferische Regisseur mit ein bißchen Genie aus
hardt habe das Monopol für diese Art von jedem Shakespereschen Lustspiel zu erwecken ver¬
innen heraus wirkender Erneuerung der Klassiker. mag — trotz der Verblichenheit so vieler ihrer
Auch andere Bühnen arbeiten mit Ernst und Späße. Vielleicht hatte man den Mangel dieses
Glück daran. Selbst das Königliche Schau= Je ne sais quoi im Regiekollegium der könig¬
spielhaus, die älteste und repräsentativste Bühne
lichen Bühne selbst gespürt und war deshalb
Berlins, macht neuerdings unverkennbare An¬
auf den Gedanken gekommen, die Trauszene des
strengungen, diesem Gebot der Verjüngung zu vierten Aktes „In der Kirche“, die Shakespere
entsprechen. Die Stücke — wir haben es am ohne jede weitere Einleitung flugs mit dem
„Götz“, am „Tell“, am „Wallenstein“ und am Worte des Leonato beginnt: „Wohlan, Pater
„Hamlet“ erlebt — werden nicht mehr wie eine Franziskus, macht's kurz; nichts als was zur
ganze Zeitlang einfach aus dem Theaterarchiv eigentlichen Trauung gehört“, durch eine um¬
hervorgezogen, „wieder aufgenommen“, wie der ständliche Zelebration kniender Minisiranten und
schöne Fachausdruck lautet, sondern auch von weihräuchernder Chorknaben, vor allem aber durch
innen her besehen, neu besetzt und neu eingerichtet, einen feierlich langschwänzigen Aufzug der Fest¬
Doch scheint es noch immer, als sei die Rüstung gäste und Tranzeugen zu einem Akt im Akte zu
der Überlieferung und vielleicht auch der Rücksich= machen. Sieh da, eine Frucht vom Baume
ten zu schwer, als daß man durch sie hindurch zu
Beerbohm=Trees! hieß es da wohl nicht mit
rechter freier, ungezwungener Bewegung kommen
Unrecht, und es tat einem fast leid um all die
könnte. Der äußeren Inszenierung, die oft vor¬
kostbare Mühe und Zeit, die an diese Außerlich¬
trefflich, manchmal musterhaft ist, entspricht nur
keit verschwendet worden war. „Verschwendet“
selten ihre geistige Schwester, die innere Regie.
muß man sagen, wenn man daran denkt, was
Der alte Fontane, der Theaterkritiker Fontane,
in der Auffindung des rechten Tempos, mehr
dem das Schauspielhaus nahezu zwei Jahrzehnte
noch der inneren Melodie des Stückes statt dessen
hindurch (1870 bis 1889) auf die Knie gelegt
an anderem Orte Innerliches hätte geleistet wer¬
war, und der es an Liebe für diese Bühne weiß
den müssen und nicht geleistet wurde. Daß die
Gott nicht fehlen ließ, gebrauchte einmal das
Aufführung schließlich doch noch von einem fest¬
für den Schauspielhausstil jener Zeit höchst be¬
lichen Schimmer überflogen wurde, ist fast allein
zeichnende Wort: „Hier macht nicht das Stück
das Verdienst Arthur Vollmers, dieses phan¬
die Szene, sondern die Szene das Stück.“ Dies tasievollen, um nicht zu sagen genialen Humo¬
ironische Lob auf den Dekorationsmeister heute
risten, der aus den Szenen, die Holzapfel mit
noch uneingeschränkt zu wiederholen, würde un¬
seinem Gevatter Schlehwein beherrscht, jenes
gerecht sein; aber ein Körnchen Wahrheit steckt
unsterbliche, weil echt menschliche Komödienlachen
noch immer darin, und der neue Direktor, Lud¬
herausholte, das einen Shakespere — neben eini¬
gem anderen — von den modernen Hausdichtern
Gastspielvirtnos auf eigene Rechnung, ist sicher
des Königlichen Schauspielhauses unterscheidet.
im Grunde seines Herzens am allerwenigsten
Diese modernen Hausdichter heißen Oskar
gesonnen, mit diesem geheiligten Herkommen zu
Blumenthal und Gustav Kadelburg, und
brechen. So kommt es, daß wir am Schiller¬
ihr neuestes Stück, dem die Ehre der Aufführung
platz in Berlin fast immer Klassikeraufführungen
am Schillerplatz zuteil wurde, nennt sich „Der
erleben, von denen wir sagen müssen: durch und
letzte Funke“ ein Lustspiel in drei Akten.
durch tüchtig, würdig, vornehm, harmonisch, im
Der letzte Funke ist der einer einst lichterloh
einzelnen wie im ganzen sicher, fest, fertig, ge¬
brennenden Liebe, einer bis auf den winzigsten
schlossen; bei denen wir aber alsbald hinzusügen:
Stumpf herabgebrannten Ehekerze — wie könnte
es in einem Lustspiel, an dem die beiden Schäker
so war es gestern, so ist es heute, so wird es
ihr Dioskurentalent erprobt haben, wohl anders
morgen sein. Man denkt an imprägnierte Pfähle,
denen kein Regen und Sonnenschein etwas an¬
sein? Und sein sittlicher Unterschied von ähn¬
haben kann.
lich scheinenden (nur scheinenden!) französischen
Diesen Eindruck empfing man auch wieder bei
Schwänken besteht darin, daß hier bei den Deut¬
der jüngsten Shakespereaufführung des Schau¬
schen kunstvoll wieder zusammengeflickt wird,
spielhauses, dem Lustspiel „Viel Lärm um
was dort drüben im „Lande der Frivolität“
nichts". Da hatte all und jeder, vom Prin¬
heillos in die Brüche zu gehen pflegt. Freiherr
zen von Aragon herab bis zum letzten Mann von Zechlin, ein unverbesserlicher Schwerenöter,
des Gefolges, seinen höchst trefflichen, würdigen dem seine Frau deshalb auch längst den Rücken
Vertreter; die Dekorationen waren funkelnagel= gekehrt hat, soll auf seine alten Tage noch saniert
neu, die Requisiten von erlesener Kostbarkeit oder werden. Am Beutel wie am Herzen. Das
unantastbarer Echtheit — und doch! ihr eigenes Werk nimmt der Schwiegervater seiner Tochter,
Gesicht und ihre eigene Farbe ging der Auffüh= ein in derartigen Geschäften erfahrener Kommer¬
rung ab, und so stellte sich auch hier jener eigen= zienrat, in die Hand, indem er den Bankerottie¬
tümliche Zauber nicht ein, den heute noch der rer auf seinen Landsitz lädt und ihn dort unter
Monutshefte, Band 103, I: Heft 615. — Dezember 1907.
30