VI, Allgemeine Besprechungen 1, Broschüren Sonderdrucke 1904 1910, Seite 9


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Panphletsofforints
Im Stullgarter Hostheater wurde eine Tragikomödie „Vsbrand“
von Frederik van Eeden“ aufgeführt. Man kennt die Art dieses
Dichters und Arztes, des Verfassers des reizvollen „Kleinen Johannes“,
des Romanes „Wie Stürme segnen“, der „Blätter der Liebe“, des
„Johannes der Wanderer“. Es war dem Referenten nicht möglich, in
das Buch Einblick zu nehmen; er darf wohl die charakteristische Be¬
sprechung des „Kunstwart“ zitieren.
„In seinem „Vsbrand“ will uns der Dichter die Tragödie aller jener
Menschen erleben lassen, deren Seele allzu eindrucksfälng, allzu emplind¬
lich, allzu wenig egoistisch gebildet ist, um den Stößen und Angriffen der
läglichen Wirklichkeit standzuhalten. Vsbrands wahres Leben, das liefste
Leben seiner Seele gehl in einem Reiche zukünftiger Menschheitsenlwick¬
lung vor sich, in einem fernen dritten Reiche, wodie Seelen gelernthaben.
einander zu verstellen, und wo als Weitregiererin die große allmächtige
und allumfassende Liebe auf dem Throne sitzl. Im steten Anschauen dieser
Liebe und in der Erinnerung an seine Fran, bei der er sie einml für eine
kurze Spanne Zeit gefunden hat, lebt Vsbrand inmitten des banalsten All¬
tagsgetriebes in einsamer Zurückgezogenheit, wie auf einem hollen Berges¬
gipfel. Aber eines Tages zwingt ihn doch der Alllag — Vsbrand hat eine
Erbschaft gemacht und soll sich über die Annahme entscheiden — von
seiner Höhe hinunterzusteigen, und nun findet er sich nicht mehr zurecht
in der Welt und läßt sich zu Taten hinreißen, die es seinen Verwandten
dann leicht machen. ihn der Obhut eines P’sychinters anzuvertranen.“
Der Arzt ist in vielen Dramen aus der Feder von Nichtärzten über
die Szene gewandelt; er hat bald das gute, bald das höse Prinzip
vertreten, oft genug war er der schemalische „gute Kerl“ des
konventionellen älteren Stils. Burckhard läßt in ,Komtesse
Clo“ sogar von einem Professor der Geburtshilfe konstalieren, daß
ein unreifes blaublütiges Mädchen gesegneten Leibes sei. Und das
unschuldige Wesen antwortet auf die peinliche Frage, wer der
Vater sei, sie kenne nur den „Ersten“.... Bernard Shaw, der
englische Satyriker, schrieb die Komödie: „Der Arzt am Scheide¬
wege“. Dr. Ridgeon hat ein Tuberkuloseserum gefunden; er kann
nur noch einen Fall in Behandlung nehmen und schwankt zwischen
dem schwindsüchtigen Kollegen und dem Maler Dubedat, dem
Gatten einer sehr schönen Frau. Ridgeon handelt dem Anschein
nach kollegial und übergibt den Maler, der nicht bloß krank, sondern
auch ein Bösewicht ist, einem anderen Arzt. Der Maler stirbt und
Ridgeon gesteht, er habe den ungeschickten Arzt zu Dubedat ge¬
schickt, um recht bald die Witwe heiraten zu können (Wie genau
kennt der Autor die Arzte!). Bernhard Shaw beschäftigt sich
auch in der Komödie: „Der Liebhaber“ mit einem Arzte (Première
im Deutschen Volkstheater in Wien, 28. April). Ein leidenschaft¬
liches Weib will ihren einstigen Geliebten einer Konkurrentin ent¬
reißen und wiedergewinnen; letzteres gelingt nicht und das Weib
reicht einem ungeliebten Arzte die Hand; dieser ist sehr traurig, weil
eine von ihm entdeckte Leberkrankheit nicht existiert. Das soll eine
Verspottung des Entdeckers sozialer Ubelstände Henrik Ibsen sein.



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