VI, Allgemeine Besprechungen 1, Broschüren Sonderdrucke 1904 1910, Seite 11


box 36/3
1. Panphlets offprints
12
nimmt seine Bewerbung an, aber die Ehe ist nicht glücklich. Paul
Bourget und André Cury brachten im Pariser Vaudeville¬
Theater das Lustspiel „Un divorce“ zur Aufführung, in welchem
der Sohn Lucien einer unglücklichen Ehe die junge Studentin der
Medizin Berthe Planac liebt; Berthe hat als französische Theater¬
figur unbedingt ein Vorleben und ein Kind gehabt. Von Lucien
zur Rechenschaft gezogen, leugnet sie mit eigentümlicher Moti¬
vierung: Sie habe einem Betrüger vertraut und sei das Opfer eines
Lügners geworden — an und für sich sei sie nie schlecht ge¬
wesen. Der Schwank „Le Truc du Brésilien“ von Nancey und
Armont („Der Ammenkönig“, Première im Wiener Theater in
der Josefstadt, 11. März) lehrt uns den Arzt kennen, der mit
seiner Geliebten den Pakt schließt: Treue oder Trennung. Der Arzt
hat geheiratet und verkleidet sich als Brasilianer, um die Gelieble
zur Untreue zu verleiten und davon zu jagen. Dieser Brasilianer
interessiert auch die Gattin des Arztes sehr lebhaft. Ein Millionen¬
onkel aus Amerika gibt den Deus ex machina; er hat durch
Gründung eines Ammentrustes sein Vermögen erworben, daher der
deutsche Titel des übermütigen Stückes.
Der zweihundertste Geburtstag des ärztlichen Dichters Albrecht
v. Haller wurde in Bern festlich begangen. In einer Londoner
Irrenansialt starb der Arzt und Dichter Francis Thompson,
dessen Oden und Elegieen sehr geschätzt werden.
An philosophischen und ästhetischen Betrachtungen aus der
Feder von Arzten war das Jahr reich. Max Kassowitz hat
sein System der Naturphilosophie in dem populären Buche: „Welt,
Leben, Seele“ (Wien, Perles) zusammengefaßt. Albert Reib¬
mayr schrieb eine „Entwicklungsgeschichte des Talentes und des
Genies“ (München, Lehmann); stud. med. Boas in Freiburg i. Br.
hat eine interessante Studie: „Der Maler Rasmussen in Felix
Philippis Trauerspiel „Das große Licht““ veröffentlicht (Allge¬
meinen Medizinische Zeitung); E. Wiener einen Aufsatz: „Arzt
und Kunst“ (Wiener klinische Rundschau Nr. 16 und 17, 1908).
Leider können wir auf die Bücher von Kassowitz und Reib¬
mayr trotz ihrer großen Bedeutung an dieser Stelle nicht näher
eingehen.
Der holde Wahnsinn der Poesie umspielt nach wie vor die
lockigen Häupter vieler Kollegen. Hugo Salus behauptet unter
den ärztlichen Lyrikern unbestritten die erste Stelle; seine letzte
Sammlung „Die Blumenschale“ (München, Langen; an dieser Stelle
bereits angezeigt) enthält die reinsten und innigsten Verse des Jahres.
„Spiel was von Mozart! ich liebe dich sehr;
Spiel was von Mozart! Dann lieb' ich dich noch mehr!
Mädehen, von Mozartwohlklang umflossen.
Alle Schönheit liegt drinnen verschlossen.“

1
900

8


□0



□00

W

945




30
S



Srsbiche
die M