VI, Allgemeine Besprechungen 1, Broschüren Sonderdrucke 1904 1910, Seite 2

Panphletsofforints
dizinischen Wochenschrift“
ehalten.
box 36/3
In der Revue für das Jahr 1909 gebührt den dramati¬
schen Arzten und den Arzten im Drama unbedingt der Vorrang.
Karl Schönherr hat in diesem Jahre große Erfolge errungen
und zwei ehrenvolle Niederlagen auf der Bühne erlebt. Zuerst
kam das Märchendrama in vier Akten „Das Königreich“ (Stuttgart, Cotta;
Deutsches Volkstheater in Wien). Karl Schönherr ist unter
die Märchenerrähler gegangen; sein Peter Schlemihl namens
Rauschentlat muß einen blasierten Fürsten durch allerlei Unfug
erheitern und hat einen Sohn Dolf, der wunderschön Geige spielt.
Dolf geht an den Hof, um Musik zu machen, welche bisher die
Excellenza Diabolo besorgt hat. Dolf und eine junge Base werden
dem armen Rauschenplat entrissen; sein märchenhaftes „Königreich“
ist verschwunden. Er bekommt Prügel und darf in einem
schmutzigen Kellerloche hausen. Der Pessimismus dieses Märchens
ist eine Konsequenz der unerbittlichen realen Lebensauffassung
unseres Dichters. Hier sei die Schlußszene des dritten Aktes
zitiert, deren gewaltiger Sturm das Publikum mit sich fortriß.
„Hofmusikus: Saiten klingt, bis ihr springt! Peitscht den elten
Sündengreis ein letztesmal zur Dirne! Vor dem keuschen Knaber,bette
lockt um die Wette! Lockt die jungen Glieder! Weckt das Fleisch zur
Sünde! Lieder rast! Schwirrt der Jungfrau um die Ohren! Macht sie kirre!
Treibt sie in die Irre! Bis den Ausweg sie gefunden — auf die Gasse!
(Nimmt die Geige an sich. Mit den Fingern in die Saiten krallend.) Leier
spiele Blut und Feuer! Lieder brüllet, raset, gellet durch die Welt! Dringt
in alle Häuser; öffnet alle Wollustschleusen; reißet alle Lämme nieder!
Lieder, speiet Unzucht! Uberschwemmt die Welt! Bis an die Sterne spritze
roter Schlamm! Seelen fahret zur Hölle! (Dolf und Bäschen kommen
wild erregt herangestürzt, während der Teufel seine wilde Weise spielt.)
Dolf (wild erhitzt, reißt sich Rock und Hemd auf): Ha, das glüht
hellfeuerrot !
Bäschen (wie verzückt, hell gellend, mit fliegendem Haar): Ich
fliege! Ich fliege über Beig und Tal!
Dolt (in wilder Lust): Ich sinke! (Reißt Bäschen wild an sich.
Schwingen sich in furibundem Tanz.)
Bäschen (in rasender Lust): Ich brenne! (Sinken auf die Ottomane hin.)
Hofmusikus (der immer mehr zu Kräften gekommen ist, hat
mit einer schrillen Dissonanz das Spiel beendet; tappt mit harten Fingern
nach Bäschens weißem Kränzel; mit stahlhartem Ausdruck in der Stimme,
triumphierend bestialisch auflachend): Habt ihr genug, ihr jungen Hunde?!“
1910. Nr. 156/48.