VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Der Merker Mai Heft 1912 mit Primärtexten, Seite 14


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Panphlets offorints
Wie Menschen, die du nie gesehn,
Wie Träume, die du nie geträumt.
Nicht einen Augenblick, den besten nicht,
Hast du sie ganz gehabt. Ihr süßes Lächeln,
Das sich um dich wie Licht der Sonne schlang,
Hat nimmer dich gemeint. Du bist ein Mann
Und darum lächelt sie und seufzt und küßt!
Du bist voll Witz und weise und erzählst
Von tausend Dingen, die berauschen müßten,
Wenn man drauf hörte und sie ganz verstünde; —
Sie aber will den Jüngling schlank und prächtig,
Von Muskeln strotzend, blühend braun das Antlitz,
Der wilde Pferde mit Behagen zähmt,
Und nichts von dem geahnt, was dich bewegte.
Doch bist du alles: klug und stark und schön¬
Und alles Lebens Vielheit strahlt von dir —
Vertrau' ihr nicht: sie will nur etwas Andres!
Will Einen, der nicht weise und nicht stark,
Will Einen, dem das Glück im Schlafe kommt,
Er hat es nicht ersehnt und nicht verdient,
Und faßt’ es nicht und geht dann wieder fort
Und war doch wen’ger nicht für sie als dul
Und ist es diesmal Lüge, was ich sprach,
So bleibt es dennoch wahr. Nicht, was geschieht,
Was dir geschehen könnte, ist dein Schicksal.
Drum, wenn man niemals dich betrog, du bist
Betrogen! Und wenn Keine dich verließ,
Verlassen wirst du jeden Tag aufs Neue.
Und wer sich ganz dir hingegeben hat,
Gehört so wenig dir, daß, fühltest du's,
In deiner Einsamkeit du schauern müßtest
Und weinen, daß du gar so töricht warst
Und dich an Eine hingst!
Osterreichischer Verlag: Wien, IX/2 Schwarsspanierhel.
Chef-Redektour: Richard Specht. — Por die Redaktion verantwortlich: Otto König. — Druck der k k. Holtheater¬
drucherei, „Faberschl“, Wien IX. (verantwortl. L. Krempe: — Buchschmuck von Brüder Rosenbaum, Wien, VIII.
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