1. Panphlets offprints
berg gedacht war: nicht Uebermensch noch Unteroffizier, sondern ein leiden¬
schaftlich über das Maß seiner selbst Gesteigerter. Sein Kopf sind nicht
seine Erfolge, aber seine Erfolge sind ihm zu Kopf gestiegen. Er muß in
Hitze erhalten werden, wenn er nicht in nüchterne Söldnertreue zurück¬
sinken soll. Sein Weib schürt das Feuer seines Ehrgeizes, das mit ihr
auch erlöscht. Er hat sich in ihr sein Schicksal anvermählt. Man verstebt
es wohl, wie Zierenberg gedacht war . . . Allein die Gegensätzlichkeit, in
die Halbes pbilosophische Rebenabsichten den Charakter des Feldobristen
zwingen, schließen eine tragische Rückwirkung aus — und mehr als das: in
ihrer bengalischen Beleuchtung nimmt sich Zierenberg ein wenig lächerlich
aus. Ein Mann, der sich Sieg oder Untergang zuschwört — „Mit meinem
Wort steh ich oder fall ich!“ — um schließlich durch die Scylla und
Charybdis in das bequeme Kompromiß des weder Siegens noch Unter¬
gebens, sondern friedlich Sichbescheidens einzulaufen, mag ratsam und seiner
Natur gemäß handeln, aber als Dramenbeld kann er unmöglich noch ernst
genommen werden. Aehnlich steht es mit Hamel, äbnlich auch mit Cordula,
etwas anders liegt der Fall Meinerts — jedoch darum nicht erfreulicher.
Meinerts, der Ehebrecher und Verschwörer, zwiefach Verräter, stirbt am
Herzschlag oder sonst einer Zufälligkeit. Vielleicht haben die pbysischen An¬
strengungen des Ebebruchs dem Schwerkranken den Rest gegeben, das wäre
wenigstens eine Art ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schuld und Tod,
allein man wird nicht umhin können, einen etwas komischen Beigeschmack
darin zu finden. Halbe sucht denn auch die Tragik dieses Sterbens anderswo:
der Genießer kann nicht mehr genießen in einem Moment, da sich ihm der
böchste Glücksgenuß bietet, der Lebenskünstler muß sich der sieghaften
Krönung seines Aierks entschlagen. Indessen, sterben ist nicht Dramatik.
Der Tod, der nicht aus dem Sinn der Tragödie resultiert, sondern will¬
kürlich an sie berantritt, ist vielmehr ihr Tod. Ein Wallenstein, den im
zweiten Aufzug der Schlag trifft oder die Cholera wegrafft, ist kein tragischer
Held. Darum bricht Meinerts — mit Krankheit und Sterben — aus dem
Drama aus, nach draußen, von wo der Meister Jan von Harlem zum
theatralischen Guckfenster bineinschaut. „Jetzt zeig deine Stirn, Freund
Wortemacher! Der Augenblick ist da, wo der vermummte Puppenspieler
hinter der Wand die Drähte ziebt und alle Puppen zu tanzen beginnen!“
Aber die Drähte entgleiten dem Dichter, und die Puppen hängen schlavo
vornüber ins Parterre
Das Fazit bleibt: zwei undramatische Realitäten, eine dramatische Illu¬
sion, und kein Drama. Was noch zu sagen wäre, folgert aus den Grund¬
gebrechen des Stückes. Die Unwahrhaftigkeit der beiden — eigentlich schon
der drei — letzten Akte, die am Drama wortreich vorbeireden. Die bild¬
nerischen Trivialitäten, neben manchem dichterisch Gesagten. Die Inkonse¬
quenzen des Ausdrucks. Dafür ein Beispiel, eil eine kleine Freude dabei
zu angeln ist. Der Ratsherr Meinerts kommt von Cordula. Seine weizen¬
blonde Freundin Järtke abnt Meinerts: „Aus Dunkelheiten liefen unsre
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box 36/7
Wege zusammen, in Dunkelheiten werden sie sich wieder verlieren
zwei Tropfen verronnen im blauen Meer dort drüben ... Järtke
(weniger poetisch, dafür mit echt weiblicher Logik, prompt): „Also ists
wahr, Herr! Ihr mögt mich nicht mehr! Ihr sehnt Euch nach einer
andern!“ Leider fängt sie aber dann auch an, geschwollen daher zu reden
sie, das Kind der Gasse, wenn nicht der Gosse: „Soll ich mit ansehn,
wie Ihr Euch in Sehnsucht und Unrast verzehrt? Eure goldnen Tage
finster verbrütet, Euer schönes, großes Leben für nichts achtet?“ Meinerts
wird ohnmächtig, da hat sie gleich zu sich zurückgefunden — ihr wahres
Gesicht ist Mütterlichkeit (und muß es dirnenhaft verschminken!): „Um
Christi Barmherzigkeit willen! . .. Trink, Liebster, trink! ... Mein
Herzchen, n mn Einziger, ist Dir besser? Komm, setz Dich. Ich führ Dich.
Wirst doch nicht krank werden, mein Engel!“ Kennt Ihr den Dichter und
den Wortemacher auseinander? Nicht immer ist der Poetische der Dichter ...
Es ist noch ein ander Kapitel solcher Wehmut voll. Ich streifte es
schon. Von seinen technischen Unbehülflichkeiten kommt Halbe nicht los.
Wie in der „Jugend“ in jedem Akt Kaffee getrunken wird, so wiederholen
sich auch hier seine Einfälle. Einmal liebt Meinerts bei Jasminduft und
Unkengeschrei, das nächste Mal bei Fliedergeruch und Rachtigallenschlag.
Einmal schüttelt Lorenz den Kammerdiener des Ratsherrn zusammen, ein
paar Augenblicke später macht es Cordula dem armen Kerl ebenso. Erst
träumt Järtke das kommende Unheil, dann träumt es Cordula. Erst
sieht Järtke den Tod in des Ratsherrn Haus eintreten, dann sieht ihn Cor¬
dula. Im ersten Akt wird Cordula ohnmächtig, im zweiten ihr Liebhaber,
im übernächsten Frau und Liebhaber und Gatte — ja, staunt nur: auch der
Mann ohne Nerven, der verwitterte Landsknecht Zierenberg kriegt seinen
Anfall. Nachbarin, Euer Fläschchen! Ermeßt, Ihr Leute im Parterre,
die Größe der Leidenschaft an der Tiefe der Ohnmacht .. . Ermeßt sie
an Frau Dorés gespreizten Händen — die Dame legt Wert darauf, daß
Ihr diese Hände schön findet — und an ihrem gespreizten Tonfall, in dem
nichts Natur und alles Manier ist
Baron Berger ist für die Cordula der Frau Doré nicht verantwortlich
zu machen. Er war bemüht — Otto, Montor, Kreidemann, Röhl taten
danach — seine Leute vor dem psychologischen Saltomortale des Dramas
zu bewahren: Typen aus historischen Kostümbildern, in malerisch abgekönter
Farbensymbolik — das erdige Braun von Zierenbergs, das düstere Schwarz
von Hamels Gewand gegen das lilasamtene Prunkwams des Weltmanns
Meinerts, das aufreizende Rot und Grün von Cordulas schmeichlerisch
schmiegsamen Sammetkleidern. Dies waren Leute aus einem historischen
Drama, und suchten es in vergeblichem Mühen. Dies waren Worte, die
von einem Dichter kamen, und der Dichter ward gesucht. Es waren aber
Worte darunter, gleich diesem: „Kehrt in Eures Wesens gottgewollte Be¬
grenzung zurück! Zum Feldobristen habt ihr die Statur, zun Herxscher
und Staatsmann fehlts am Maß und inneren Gesetz.“
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berg gedacht war: nicht Uebermensch noch Unteroffizier, sondern ein leiden¬
schaftlich über das Maß seiner selbst Gesteigerter. Sein Kopf sind nicht
seine Erfolge, aber seine Erfolge sind ihm zu Kopf gestiegen. Er muß in
Hitze erhalten werden, wenn er nicht in nüchterne Söldnertreue zurück¬
sinken soll. Sein Weib schürt das Feuer seines Ehrgeizes, das mit ihr
auch erlöscht. Er hat sich in ihr sein Schicksal anvermählt. Man verstebt
es wohl, wie Zierenberg gedacht war . . . Allein die Gegensätzlichkeit, in
die Halbes pbilosophische Rebenabsichten den Charakter des Feldobristen
zwingen, schließen eine tragische Rückwirkung aus — und mehr als das: in
ihrer bengalischen Beleuchtung nimmt sich Zierenberg ein wenig lächerlich
aus. Ein Mann, der sich Sieg oder Untergang zuschwört — „Mit meinem
Wort steh ich oder fall ich!“ — um schließlich durch die Scylla und
Charybdis in das bequeme Kompromiß des weder Siegens noch Unter¬
gebens, sondern friedlich Sichbescheidens einzulaufen, mag ratsam und seiner
Natur gemäß handeln, aber als Dramenbeld kann er unmöglich noch ernst
genommen werden. Aehnlich steht es mit Hamel, äbnlich auch mit Cordula,
etwas anders liegt der Fall Meinerts — jedoch darum nicht erfreulicher.
Meinerts, der Ehebrecher und Verschwörer, zwiefach Verräter, stirbt am
Herzschlag oder sonst einer Zufälligkeit. Vielleicht haben die pbysischen An¬
strengungen des Ebebruchs dem Schwerkranken den Rest gegeben, das wäre
wenigstens eine Art ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schuld und Tod,
allein man wird nicht umhin können, einen etwas komischen Beigeschmack
darin zu finden. Halbe sucht denn auch die Tragik dieses Sterbens anderswo:
der Genießer kann nicht mehr genießen in einem Moment, da sich ihm der
böchste Glücksgenuß bietet, der Lebenskünstler muß sich der sieghaften
Krönung seines Aierks entschlagen. Indessen, sterben ist nicht Dramatik.
Der Tod, der nicht aus dem Sinn der Tragödie resultiert, sondern will¬
kürlich an sie berantritt, ist vielmehr ihr Tod. Ein Wallenstein, den im
zweiten Aufzug der Schlag trifft oder die Cholera wegrafft, ist kein tragischer
Held. Darum bricht Meinerts — mit Krankheit und Sterben — aus dem
Drama aus, nach draußen, von wo der Meister Jan von Harlem zum
theatralischen Guckfenster bineinschaut. „Jetzt zeig deine Stirn, Freund
Wortemacher! Der Augenblick ist da, wo der vermummte Puppenspieler
hinter der Wand die Drähte ziebt und alle Puppen zu tanzen beginnen!“
Aber die Drähte entgleiten dem Dichter, und die Puppen hängen schlavo
vornüber ins Parterre
Das Fazit bleibt: zwei undramatische Realitäten, eine dramatische Illu¬
sion, und kein Drama. Was noch zu sagen wäre, folgert aus den Grund¬
gebrechen des Stückes. Die Unwahrhaftigkeit der beiden — eigentlich schon
der drei — letzten Akte, die am Drama wortreich vorbeireden. Die bild¬
nerischen Trivialitäten, neben manchem dichterisch Gesagten. Die Inkonse¬
quenzen des Ausdrucks. Dafür ein Beispiel, eil eine kleine Freude dabei
zu angeln ist. Der Ratsherr Meinerts kommt von Cordula. Seine weizen¬
blonde Freundin Järtke abnt Meinerts: „Aus Dunkelheiten liefen unsre
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Wege zusammen, in Dunkelheiten werden sie sich wieder verlieren
zwei Tropfen verronnen im blauen Meer dort drüben ... Järtke
(weniger poetisch, dafür mit echt weiblicher Logik, prompt): „Also ists
wahr, Herr! Ihr mögt mich nicht mehr! Ihr sehnt Euch nach einer
andern!“ Leider fängt sie aber dann auch an, geschwollen daher zu reden
sie, das Kind der Gasse, wenn nicht der Gosse: „Soll ich mit ansehn,
wie Ihr Euch in Sehnsucht und Unrast verzehrt? Eure goldnen Tage
finster verbrütet, Euer schönes, großes Leben für nichts achtet?“ Meinerts
wird ohnmächtig, da hat sie gleich zu sich zurückgefunden — ihr wahres
Gesicht ist Mütterlichkeit (und muß es dirnenhaft verschminken!): „Um
Christi Barmherzigkeit willen! . .. Trink, Liebster, trink! ... Mein
Herzchen, n mn Einziger, ist Dir besser? Komm, setz Dich. Ich führ Dich.
Wirst doch nicht krank werden, mein Engel!“ Kennt Ihr den Dichter und
den Wortemacher auseinander? Nicht immer ist der Poetische der Dichter ...
Es ist noch ein ander Kapitel solcher Wehmut voll. Ich streifte es
schon. Von seinen technischen Unbehülflichkeiten kommt Halbe nicht los.
Wie in der „Jugend“ in jedem Akt Kaffee getrunken wird, so wiederholen
sich auch hier seine Einfälle. Einmal liebt Meinerts bei Jasminduft und
Unkengeschrei, das nächste Mal bei Fliedergeruch und Rachtigallenschlag.
Einmal schüttelt Lorenz den Kammerdiener des Ratsherrn zusammen, ein
paar Augenblicke später macht es Cordula dem armen Kerl ebenso. Erst
träumt Järtke das kommende Unheil, dann träumt es Cordula. Erst
sieht Järtke den Tod in des Ratsherrn Haus eintreten, dann sieht ihn Cor¬
dula. Im ersten Akt wird Cordula ohnmächtig, im zweiten ihr Liebhaber,
im übernächsten Frau und Liebhaber und Gatte — ja, staunt nur: auch der
Mann ohne Nerven, der verwitterte Landsknecht Zierenberg kriegt seinen
Anfall. Nachbarin, Euer Fläschchen! Ermeßt, Ihr Leute im Parterre,
die Größe der Leidenschaft an der Tiefe der Ohnmacht .. . Ermeßt sie
an Frau Dorés gespreizten Händen — die Dame legt Wert darauf, daß
Ihr diese Hände schön findet — und an ihrem gespreizten Tonfall, in dem
nichts Natur und alles Manier ist
Baron Berger ist für die Cordula der Frau Doré nicht verantwortlich
zu machen. Er war bemüht — Otto, Montor, Kreidemann, Röhl taten
danach — seine Leute vor dem psychologischen Saltomortale des Dramas
zu bewahren: Typen aus historischen Kostümbildern, in malerisch abgekönter
Farbensymbolik — das erdige Braun von Zierenbergs, das düstere Schwarz
von Hamels Gewand gegen das lilasamtene Prunkwams des Weltmanns
Meinerts, das aufreizende Rot und Grün von Cordulas schmeichlerisch
schmiegsamen Sammetkleidern. Dies waren Leute aus einem historischen
Drama, und suchten es in vergeblichem Mühen. Dies waren Worte, die
von einem Dichter kamen, und der Dichter ward gesucht. Es waren aber
Worte darunter, gleich diesem: „Kehrt in Eures Wesens gottgewollte Be¬
grenzung zurück! Zum Feldobristen habt ihr die Statur, zun Herxscher
und Staatsmann fehlts am Maß und inneren Gesetz.“
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