1. Panphlets offprints
Titel heißt: Zierenberg. Cordula und Meinerts geben ihrerseits an dem
sehelichen Verrat zugrunde, der Intrigant Hamel hat sich vorsichtig außer¬
halb der tragischen Möglichkeiten gebalten. In Max Haibes Ausführung
stellt sich die Sache nun freilich wesentlich anders dar: Zierenberg wied
fallerdings zweifach und dreifach verraten und um seinen Herrschertraum
gebracht. Aber er gebt nicht daran zugrunde, sondern kehrt wie ein reuiger
Schulknabe zu seiner Söldnerpflicht zurück. Cordula büßt allerdings ihren
Ebebruch mit dem Tode, aber sie wird nicht wider ihr verzweifeltes Wehren
gerichtet, sondern richtet sich aus einem jähen etbischen Bedürfnis selbst.
Meinerts stirbt ebenfalls, aber am Herzschlag oder einer andern Zufälligkeit.
Und der Intrigant Hamel vereitelt allerdings des Zierenber es bochfliegende
Pläne, aber da im rechten Theaterstück fürs Abonnentenpaolikum das Böse
nimmer obsiegen darf, bekennt er sich zum Schlusse als besiegt: denn er hat
ausgespielt, und dem Zierenberger gehört immer noch die Zukunft.
Das alles ist überraschend, denn es widerspricht den Charakteren, wie
sie nun einmal angelegt waren, und lenkt vom Tragischen in das Richts¬
sagende ab. Wer ist denn dieser Zierenberg, der da schwur: „Glanz und
Macht seh ich uns winken! Sieg oder Untergang! Mit meinem Wort steh
ich oder fall ich!“ und der sich jetzt plötzlich, wie ein Preuße Wildenbruchschen
oder Lauffschen Drills, seiner patriotischen Verpflichtungen entsinnt, um der
vorgezeichneten Tragik zu entschlüpfen? „Denkt an Euer Amt als Schützer
der Stadt! Denkt Eures Ursprungs als einer deutschen Mutter Sohn!“
Der also mabnt, ist kein andrer als Hamel, der fanatische Hasser von gestern.
„Landsknechte, Kampfgenossen! Macht Eure Zeche fertig! Wir stürmen noch
heute das polnische Lager!“ ist Zierenbergs Antwort, mit der er sich eine
Prämie der preußischen Ansiedlungskommission verdient zu haben verdiente.
Wie verhalten sich der praktisch genügsame Zierenberg, die moralische Cordula,
der altruistische Hamel des Schlußakts zu dem ehrgeizigen Willensmenschen,
dem liebestollen und giftigen Weibe, dem gehässigen Intriganten der ersten
Aufzüge? Welches von beiden Gesichtern ist das wahre Gesicht dieser Menschen?
Der unüberbrückbar klaffende Widerstreit in sich selbst, der Halbe nur
bei einer ungenügenden oder imitierten Durchlebung der Charaktere entgehen
konnte, hat seine Ursache in dem zweiten Grundfaktor des Dramas neben
dem historischen: in der philosophischen Reflexion, die auch, als das Vor¬
nehmere, den Titel des Schauspiels hat herleiten müssen. Halbe läßt sich
nämlich nicht genug sein, Menschenschicksal in sich dramatisch zu vollenden —
er will etwas damit bewiesen haben. Er glaubt, sein Stück werde dadurch
an tieferer Bedeutung gewinnen. Aber tiefer ward es dadurch nur im
Niveau. Denn was ist das Beweisenwollen im Grunde andres als
Tendenzschreiberei, also umgekehrt eine Kunst von niedrigerer Gattung? Er
philosophiert in seinem Drama über sein Drama: „Welches von beiden
Gesichtern ist nun das wahre Gesicht? Keins von beiden. Das wahre
Gesicht steckt hinter den Dingen. Wir bekommen es nie zu sehen, indem
der Schleier es uns verbirgt. Renne es die Wahrbeit des Scheins
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mehr wissen wir nicht. Der Sinn des Ganzen bleibt geheimnisvoll.“ Orakel¬
sprüche, von Brombeerstauden gepflückt, am Binsenteich geschnitten. „Was nennst
Du den Schleier?“ Aber Halbe bleibt vorsichtigerweise die Antwort schuldig.
Komödie in der Tragödie. Tragische Persiflage. Schnitzler kann das
und versteht es auch, über die abgründigen Gefährlichkeiten dieses Doppel¬
spiels spielerisch hinwegzugleiten. Er ist Wiener und Jude. Halbe ist
Westpreuße. Um sein Kunststück — das ihm mehr scheint und imponiert —
zu bewältigen, teilt er zunächst den Puppenspieler Schnitzlers in Drabtzieher
und Betrachter, in Akteur und Zuschauer auf. Die Aktivität des Puppen¬
spielers: der Drahtzieher, ist in das Drama verlegt, wodurch er seine
Souveränität.— als Gott der bedingten Erscheinungen — einbüßt und sich,
da er Mithandelnde an den Lebensdrähten zerrt, als Intrigant geriert. Ich
brauche es nicht erst zu sagen, daß Jobs Hamel in Frage steht. Die
Passivität des Puppenspielers läuft als Betrachtung und künstlerische Um¬
wertung in äußerm Zusammenbang nebenher. In der Gestalt Meister Jans
von Harlem, des Malers, spiegelt sich — im Sinne Schnitzlers — der
Dichter, und aus dem Spiegel beichtet ein Totenkopf Künstlers Leiden:
nichts um seiner selbst willen sehen noch genießen, alles chemisch auflösen,
alles ins Allgemeine zurückführen, „obs ein bemooster Gartenzaun ist oder
eine faulige Weide oder ein aufgeschnittener Schweinebauch oder ein nackter
Mädchenleib — einerlei, es läßt sich aus allem ein Spiel des Lichts
machen“. Erst im Angesicht des Todes enthüllt der Unmensch sein mensch¬
liches Gesicht, entflieht der Tiger der Kunst vor dem englischen Schwerte.
Auf dieser rein äußerlich und willkürlich in das Drama hineinkonstruierten
Künstlerfigur ist die vorgeblich tiefere Bedeutung, der zweite Sinn des
Stücks, aufgebaut, der es folgerecht auch nur äußerlich deckt. Hebt man
das Symbolum ab, so bleibt das Droma ohne Verlust für sich bestehen.
Das wahre Gesicht der Menschen und Zustände zu wissen, ist an sich Wesen
aller Dramatik, die deshalb keiner symbolischen Parallelität des Sinnes
bedarf. „Muß erst ein Stümper erscheinen, mir den Sinn zu erdeuten!“
Und Stümper sind alle Deuter dem wesentlichen Sinn gegenüber, der sich
in der dramatischen Tat und nicht in der philosophischen Reflexion ausspricht.
Etwas andres ist es wieder, wenn das Symbol als dramatische Realität
eingesetzt wird, wie in Maeterlincks Traumspielen und mystischen Gedichten.
Desungeachtet wollte ich die Doppelsinnigkeit von Halbes Schauspiel —
als Kunststück — gern gelten lassen, wenn sie ihm geglückt wäre. Aber
ihr sind die Charaktere des Dramas zum Opfer gefallen. Die beiden Grund¬
faktoren, von denen Halbe ausging: Historie und Reflexion, wurden ein¬
ander gewaltsam angenähert, ohne doch im Feuer der Intuition mitein¬
ander zu verschmelzen. Er brauchte (für seine These vom letzten Gesicht
hinter jedwedem andern) Geschöpfe mit wechselndem Gesicht, und da er
derart komplizierte Charaktere nicht zu schaffen vermochte, zerrte er die starr
festgelegten Typen aus der Historie ins Rätselspiel hinüber und renkte ihnen
dabei die Gliedmaßen aus. Man versteht es nach dem wohl, wie Zieren¬
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4¬
Geo
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Titel heißt: Zierenberg. Cordula und Meinerts geben ihrerseits an dem
sehelichen Verrat zugrunde, der Intrigant Hamel hat sich vorsichtig außer¬
halb der tragischen Möglichkeiten gebalten. In Max Haibes Ausführung
stellt sich die Sache nun freilich wesentlich anders dar: Zierenberg wied
fallerdings zweifach und dreifach verraten und um seinen Herrschertraum
gebracht. Aber er gebt nicht daran zugrunde, sondern kehrt wie ein reuiger
Schulknabe zu seiner Söldnerpflicht zurück. Cordula büßt allerdings ihren
Ebebruch mit dem Tode, aber sie wird nicht wider ihr verzweifeltes Wehren
gerichtet, sondern richtet sich aus einem jähen etbischen Bedürfnis selbst.
Meinerts stirbt ebenfalls, aber am Herzschlag oder einer andern Zufälligkeit.
Und der Intrigant Hamel vereitelt allerdings des Zierenber es bochfliegende
Pläne, aber da im rechten Theaterstück fürs Abonnentenpaolikum das Böse
nimmer obsiegen darf, bekennt er sich zum Schlusse als besiegt: denn er hat
ausgespielt, und dem Zierenberger gehört immer noch die Zukunft.
Das alles ist überraschend, denn es widerspricht den Charakteren, wie
sie nun einmal angelegt waren, und lenkt vom Tragischen in das Richts¬
sagende ab. Wer ist denn dieser Zierenberg, der da schwur: „Glanz und
Macht seh ich uns winken! Sieg oder Untergang! Mit meinem Wort steh
ich oder fall ich!“ und der sich jetzt plötzlich, wie ein Preuße Wildenbruchschen
oder Lauffschen Drills, seiner patriotischen Verpflichtungen entsinnt, um der
vorgezeichneten Tragik zu entschlüpfen? „Denkt an Euer Amt als Schützer
der Stadt! Denkt Eures Ursprungs als einer deutschen Mutter Sohn!“
Der also mabnt, ist kein andrer als Hamel, der fanatische Hasser von gestern.
„Landsknechte, Kampfgenossen! Macht Eure Zeche fertig! Wir stürmen noch
heute das polnische Lager!“ ist Zierenbergs Antwort, mit der er sich eine
Prämie der preußischen Ansiedlungskommission verdient zu haben verdiente.
Wie verhalten sich der praktisch genügsame Zierenberg, die moralische Cordula,
der altruistische Hamel des Schlußakts zu dem ehrgeizigen Willensmenschen,
dem liebestollen und giftigen Weibe, dem gehässigen Intriganten der ersten
Aufzüge? Welches von beiden Gesichtern ist das wahre Gesicht dieser Menschen?
Der unüberbrückbar klaffende Widerstreit in sich selbst, der Halbe nur
bei einer ungenügenden oder imitierten Durchlebung der Charaktere entgehen
konnte, hat seine Ursache in dem zweiten Grundfaktor des Dramas neben
dem historischen: in der philosophischen Reflexion, die auch, als das Vor¬
nehmere, den Titel des Schauspiels hat herleiten müssen. Halbe läßt sich
nämlich nicht genug sein, Menschenschicksal in sich dramatisch zu vollenden —
er will etwas damit bewiesen haben. Er glaubt, sein Stück werde dadurch
an tieferer Bedeutung gewinnen. Aber tiefer ward es dadurch nur im
Niveau. Denn was ist das Beweisenwollen im Grunde andres als
Tendenzschreiberei, also umgekehrt eine Kunst von niedrigerer Gattung? Er
philosophiert in seinem Drama über sein Drama: „Welches von beiden
Gesichtern ist nun das wahre Gesicht? Keins von beiden. Das wahre
Gesicht steckt hinter den Dingen. Wir bekommen es nie zu sehen, indem
der Schleier es uns verbirgt. Renne es die Wahrbeit des Scheins
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mehr wissen wir nicht. Der Sinn des Ganzen bleibt geheimnisvoll.“ Orakel¬
sprüche, von Brombeerstauden gepflückt, am Binsenteich geschnitten. „Was nennst
Du den Schleier?“ Aber Halbe bleibt vorsichtigerweise die Antwort schuldig.
Komödie in der Tragödie. Tragische Persiflage. Schnitzler kann das
und versteht es auch, über die abgründigen Gefährlichkeiten dieses Doppel¬
spiels spielerisch hinwegzugleiten. Er ist Wiener und Jude. Halbe ist
Westpreuße. Um sein Kunststück — das ihm mehr scheint und imponiert —
zu bewältigen, teilt er zunächst den Puppenspieler Schnitzlers in Drabtzieher
und Betrachter, in Akteur und Zuschauer auf. Die Aktivität des Puppen¬
spielers: der Drahtzieher, ist in das Drama verlegt, wodurch er seine
Souveränität.— als Gott der bedingten Erscheinungen — einbüßt und sich,
da er Mithandelnde an den Lebensdrähten zerrt, als Intrigant geriert. Ich
brauche es nicht erst zu sagen, daß Jobs Hamel in Frage steht. Die
Passivität des Puppenspielers läuft als Betrachtung und künstlerische Um¬
wertung in äußerm Zusammenbang nebenher. In der Gestalt Meister Jans
von Harlem, des Malers, spiegelt sich — im Sinne Schnitzlers — der
Dichter, und aus dem Spiegel beichtet ein Totenkopf Künstlers Leiden:
nichts um seiner selbst willen sehen noch genießen, alles chemisch auflösen,
alles ins Allgemeine zurückführen, „obs ein bemooster Gartenzaun ist oder
eine faulige Weide oder ein aufgeschnittener Schweinebauch oder ein nackter
Mädchenleib — einerlei, es läßt sich aus allem ein Spiel des Lichts
machen“. Erst im Angesicht des Todes enthüllt der Unmensch sein mensch¬
liches Gesicht, entflieht der Tiger der Kunst vor dem englischen Schwerte.
Auf dieser rein äußerlich und willkürlich in das Drama hineinkonstruierten
Künstlerfigur ist die vorgeblich tiefere Bedeutung, der zweite Sinn des
Stücks, aufgebaut, der es folgerecht auch nur äußerlich deckt. Hebt man
das Symbolum ab, so bleibt das Droma ohne Verlust für sich bestehen.
Das wahre Gesicht der Menschen und Zustände zu wissen, ist an sich Wesen
aller Dramatik, die deshalb keiner symbolischen Parallelität des Sinnes
bedarf. „Muß erst ein Stümper erscheinen, mir den Sinn zu erdeuten!“
Und Stümper sind alle Deuter dem wesentlichen Sinn gegenüber, der sich
in der dramatischen Tat und nicht in der philosophischen Reflexion ausspricht.
Etwas andres ist es wieder, wenn das Symbol als dramatische Realität
eingesetzt wird, wie in Maeterlincks Traumspielen und mystischen Gedichten.
Desungeachtet wollte ich die Doppelsinnigkeit von Halbes Schauspiel —
als Kunststück — gern gelten lassen, wenn sie ihm geglückt wäre. Aber
ihr sind die Charaktere des Dramas zum Opfer gefallen. Die beiden Grund¬
faktoren, von denen Halbe ausging: Historie und Reflexion, wurden ein¬
ander gewaltsam angenähert, ohne doch im Feuer der Intuition mitein¬
ander zu verschmelzen. Er brauchte (für seine These vom letzten Gesicht
hinter jedwedem andern) Geschöpfe mit wechselndem Gesicht, und da er
derart komplizierte Charaktere nicht zu schaffen vermochte, zerrte er die starr
festgelegten Typen aus der Historie ins Rätselspiel hinüber und renkte ihnen
dabei die Gliedmaßen aus. Man versteht es nach dem wohl, wie Zieren¬
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