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1. Panph. fprints
Arthur Schnitzler ist am 15. Mai 1862 in Wien geboren,
studierte hier Medizin und wurde 1885 zum Doktor der gesamten
Heilkunde promoviert. Er war eine Zeitlang praktischer Arzt, widmete
sich aber dann ganz seinem eigentlichen Beruf. Den Beruf des Arztes
hat er dem des Dichters dienstbar gemacht und vom Anbeginn seiner
Dichtung steht neben dem Dichter Schnitzler auch der Arzt. Sehr oft
hat er die Figur des Arztes in seine Werke gebracht, immer mit einer
geheimen Nebenabsicht, als den Vermittler zwischen Leben und Tod.
Der Dichter arbeitet mit dem Scharfblick des Psychiaters, er stellt
Diagnosen von bewunderungswürdiger Richtigkeit und er ist ein Arzt,
der zugleich ein großer Mensch ist und der seinen Kranken Liebe und
stärkstes Mitleid entgegenbringt.
Neben Hermann Bahr und Hugo von Hofmannsthal gilt
Schnitzler als der eigenartigste Vertreter der literarischen Schule, die
man mit dem Namen Jungwien bezeichnet. Er ist vielleicht am
meisten dazu berufen, den kommenden Geschlechtern als Dichter das
zu bedeuten, was er seinen Zeitgenossen als Problematiker sein sollte.
Unter den modernen deutschen Autoren hat Schnitzler die meiste Ver¬
wandtschaft mit dem Geiste der Franzosen. In ihm kommen franzö¬
sischer Esprit und deutsche Skepsis zu einem angenehmen Ausgleich.
Die Linie der Skeptiker, die er vorführt, läßt sich von Fedor Denner
im „Märchen“ bis zu Filippo Loschi in dem Schauspiel „Der Schleier
der Beatrice“ verfolgen. Im Grunde ist er Philosoph und oft er¬
scheint unter der Maske einer leichten, tändelnden Muse die ernste
Faltenstirn des Philosophen, der über seiner Darstellung steht, dem
diese Darstellung nur Mittel zum Zweck ist.
Manche Schriftsteller, die dem Judentum angehören, wie J.
J. David, haben sich dem germanischen Element so assimiliert, daß
man ihre Abstammung nicht errät. Anders Schnitzler, dem das Juden¬
tum eine eigentümliche Prägung als Künstler verlieh, ohne daß er es
immer und überall mit Selbstbewußtsein ausspielt, wie manche seiner
Zeitgenossen.
Schnitzler ist Naturalist, aber er gibt keinen rohen, brutalen
Abklatsch der Natur, ein feiner Schleier von Poesie liegt über seiner
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1. Panph. fprints
Arthur Schnitzler ist am 15. Mai 1862 in Wien geboren,
studierte hier Medizin und wurde 1885 zum Doktor der gesamten
Heilkunde promoviert. Er war eine Zeitlang praktischer Arzt, widmete
sich aber dann ganz seinem eigentlichen Beruf. Den Beruf des Arztes
hat er dem des Dichters dienstbar gemacht und vom Anbeginn seiner
Dichtung steht neben dem Dichter Schnitzler auch der Arzt. Sehr oft
hat er die Figur des Arztes in seine Werke gebracht, immer mit einer
geheimen Nebenabsicht, als den Vermittler zwischen Leben und Tod.
Der Dichter arbeitet mit dem Scharfblick des Psychiaters, er stellt
Diagnosen von bewunderungswürdiger Richtigkeit und er ist ein Arzt,
der zugleich ein großer Mensch ist und der seinen Kranken Liebe und
stärkstes Mitleid entgegenbringt.
Neben Hermann Bahr und Hugo von Hofmannsthal gilt
Schnitzler als der eigenartigste Vertreter der literarischen Schule, die
man mit dem Namen Jungwien bezeichnet. Er ist vielleicht am
meisten dazu berufen, den kommenden Geschlechtern als Dichter das
zu bedeuten, was er seinen Zeitgenossen als Problematiker sein sollte.
Unter den modernen deutschen Autoren hat Schnitzler die meiste Ver¬
wandtschaft mit dem Geiste der Franzosen. In ihm kommen franzö¬
sischer Esprit und deutsche Skepsis zu einem angenehmen Ausgleich.
Die Linie der Skeptiker, die er vorführt, läßt sich von Fedor Denner
im „Märchen“ bis zu Filippo Loschi in dem Schauspiel „Der Schleier
der Beatrice“ verfolgen. Im Grunde ist er Philosoph und oft er¬
scheint unter der Maske einer leichten, tändelnden Muse die ernste
Faltenstirn des Philosophen, der über seiner Darstellung steht, dem
diese Darstellung nur Mittel zum Zweck ist.
Manche Schriftsteller, die dem Judentum angehören, wie J.
J. David, haben sich dem germanischen Element so assimiliert, daß
man ihre Abstammung nicht errät. Anders Schnitzler, dem das Juden¬
tum eine eigentümliche Prägung als Künstler verlieh, ohne daß er es
immer und überall mit Selbstbewußtsein ausspielt, wie manche seiner
Zeitgenossen.
Schnitzler ist Naturalist, aber er gibt keinen rohen, brutalen
Abklatsch der Natur, ein feiner Schleier von Poesie liegt über seiner
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