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1. Panphlets offorints
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Doch hält sie es in treuer Pflege bis zum letzten Augenblick am
Krankenlager aus, entflieht aber den Händen des Sterbenden.
Die Novelle „Sterben“ hat ein Naturalist geschrieben, aber
einer, der jede Brutalität und Härte des Stoffes gemildert hat. Auch
dort, wo die Schilderung das Gebiet des ästhetisch Schönen verläßt,
ist jeder grelle Effekt vermieden und nie geht die künstlerische Feinheit
verloren. Denn Schnitzler beschränkt sich nicht darauf, die packende
Realistik des Todes ganz und gar auszunützen, er zeigt, wie die
stärksten Gefühle verstummen, die vornehmste Weltanschauung nichtig
wird, wenn wir sterben müssen, wie uns die Angst vor dem Tode
feig, elend und brutal macht und wie der Wunsch zu leben der stärkste
Trieb in uns ist. Dies hat Schnitzler in seiner Novelle in knapper
Anschaulichkeit und mit scharfsinniger Logik und unerschütterlicher Ruhe,
die ihm nie den Stoff aus den Händen gleiten läßt, ausgeführt.
Wie in „Sterben“ hat der Dichter auch in einer Reihe anderer
Novellen einen bestimmten Seelenzustand ins Auge gefaßt. „Ein
Abschied“ erzählt von einem Manne, dem die Geliebte, eine ver¬
heiratete Frau, stirbt, ohne daß er sie vor ihrem Tode wiedersah,
weil er dazu zu feig war. Die Seelenqualen, die der Liebhaber hier in
der Zeit, die vom letzten Stelldichein bis zum Wiedersehn am Toten¬
bette verstreicht, erleidet, sind mit lebenswahrer Treue geschildert und
zeugen von einer tiefen Beobachtungsgabe. Diese Art der Seelen¬
malerei ist es, die Schnitzlers Novellen so hoch über viele Produkte
seiner Zeitgenossen erhebt und ihm unter den modernen Novellisten
einen hervorragenden Platz sichert. „Ein Abschied“ behandelt ebenso
wie die in das gleiche Buch aufgenommene Skizze „Die Toten
schweigen“ die Frage nach der Heiligkeit oder Unheiligkeit der Ehe.
An diese Novelle schließt sich in formeller Hinsicht der innerhalb
weniger Tage entstandene Gedankenmonolog „Leutnant Gustl“
an. Alle Vorzüge der Erzählungskunst Schnitzlers begegnen uns hier:
Eine geschickte Exposition, starke Stimmung und eine mit rein künst¬
lerischen Mitteln erzielte Spannung. Dazu liegt über dem Banzen
der zarte Duft des Wiener Milieus. Der militärische Ehrbegriff, der
so viel Übel schon angerichtet hat und wie eine Ruine in unsere Zeit
hineinragt, wird hier aufs beste gegeißelt. In „Leutnant Gustl“ zeigt
der Dichter, daß er selbst aus tragischen Situationen die befreiende
Komik herausarbeiten kann, und gerade in dieser Erzählung steht der
Humorist über den dargestellten Dingen. Auch hier hat Schnitzler die
bangen Stunden einer zerrütteten, vom Sturm der Empfindungen in
ihrem Grund aufgewühlten Mensch
analysieren verstanden. Es sind d
erlebt, der sich töten muß, weil
schimpft und dabei mit roher Kraf
daß er sich nicht wehren konnte.
vernichtet, ihm bleibt kein anderer
weiß niemand um die Beschimpfung
muß fürchten, eines Tages als ein
einer, der nicht würdig ist, dem
qualvolle Nacht verbringt er im
hitzten Phantasie gepeinigt, bis ihn
senkt, den er auf einer Bank hä
wandert er heim, seinen Entschluß
noch in sein Café, wo auch jene
hört der Todgeweihte eine befreie#
der Nacht der Schlag getroffen u
Wohnung, als er abends vom ##
verhängnisvoll wurde, nach Hau
dem Leben wiedergegeben, denn n
gefallenen weiß.
Dieser Schluß läuft aber der
subjektive Ehre des Offiziers den
gleich nach dem Vorfall, als ers#
sagt: Selbst wenn den Bäcker heu
dennoch entehrt. Der Schluß ist
wie an Marie in „Sterben“, auch
Lebenstrieb im Menschen, und be
seiner Jugend steht, wurzelt.
Auch die Novelle „Frau B
nur auf eine Person. Berta Ga
sehnsucht, dieweil der Mann, den
liebe hinweggekommen ist. Auch
Schilderung eines Seelenzustandes
unerträgliche Länge ausgesponnen
jungen Witwe, in der nach dem
nach dem Geliebten ihrer Mädche
ihrer Ehe, die sie in einer Kleinsta
Künstler geworden. Sie selbst greif
und erreicht es, daß sie mit ihm
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1. Panphlets offorints
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Doch hält sie es in treuer Pflege bis zum letzten Augenblick am
Krankenlager aus, entflieht aber den Händen des Sterbenden.
Die Novelle „Sterben“ hat ein Naturalist geschrieben, aber
einer, der jede Brutalität und Härte des Stoffes gemildert hat. Auch
dort, wo die Schilderung das Gebiet des ästhetisch Schönen verläßt,
ist jeder grelle Effekt vermieden und nie geht die künstlerische Feinheit
verloren. Denn Schnitzler beschränkt sich nicht darauf, die packende
Realistik des Todes ganz und gar auszunützen, er zeigt, wie die
stärksten Gefühle verstummen, die vornehmste Weltanschauung nichtig
wird, wenn wir sterben müssen, wie uns die Angst vor dem Tode
feig, elend und brutal macht und wie der Wunsch zu leben der stärkste
Trieb in uns ist. Dies hat Schnitzler in seiner Novelle in knapper
Anschaulichkeit und mit scharfsinniger Logik und unerschütterlicher Ruhe,
die ihm nie den Stoff aus den Händen gleiten läßt, ausgeführt.
Wie in „Sterben“ hat der Dichter auch in einer Reihe anderer
Novellen einen bestimmten Seelenzustand ins Auge gefaßt. „Ein
Abschied“ erzählt von einem Manne, dem die Geliebte, eine ver¬
heiratete Frau, stirbt, ohne daß er sie vor ihrem Tode wiedersah,
weil er dazu zu feig war. Die Seelenqualen, die der Liebhaber hier in
der Zeit, die vom letzten Stelldichein bis zum Wiedersehn am Toten¬
bette verstreicht, erleidet, sind mit lebenswahrer Treue geschildert und
zeugen von einer tiefen Beobachtungsgabe. Diese Art der Seelen¬
malerei ist es, die Schnitzlers Novellen so hoch über viele Produkte
seiner Zeitgenossen erhebt und ihm unter den modernen Novellisten
einen hervorragenden Platz sichert. „Ein Abschied“ behandelt ebenso
wie die in das gleiche Buch aufgenommene Skizze „Die Toten
schweigen“ die Frage nach der Heiligkeit oder Unheiligkeit der Ehe.
An diese Novelle schließt sich in formeller Hinsicht der innerhalb
weniger Tage entstandene Gedankenmonolog „Leutnant Gustl“
an. Alle Vorzüge der Erzählungskunst Schnitzlers begegnen uns hier:
Eine geschickte Exposition, starke Stimmung und eine mit rein künst¬
lerischen Mitteln erzielte Spannung. Dazu liegt über dem Banzen
der zarte Duft des Wiener Milieus. Der militärische Ehrbegriff, der
so viel Übel schon angerichtet hat und wie eine Ruine in unsere Zeit
hineinragt, wird hier aufs beste gegeißelt. In „Leutnant Gustl“ zeigt
der Dichter, daß er selbst aus tragischen Situationen die befreiende
Komik herausarbeiten kann, und gerade in dieser Erzählung steht der
Humorist über den dargestellten Dingen. Auch hier hat Schnitzler die
bangen Stunden einer zerrütteten, vom Sturm der Empfindungen in
ihrem Grund aufgewühlten Mensch
analysieren verstanden. Es sind d
erlebt, der sich töten muß, weil
schimpft und dabei mit roher Kraf
daß er sich nicht wehren konnte.
vernichtet, ihm bleibt kein anderer
weiß niemand um die Beschimpfung
muß fürchten, eines Tages als ein
einer, der nicht würdig ist, dem
qualvolle Nacht verbringt er im
hitzten Phantasie gepeinigt, bis ihn
senkt, den er auf einer Bank hä
wandert er heim, seinen Entschluß
noch in sein Café, wo auch jene
hört der Todgeweihte eine befreie#
der Nacht der Schlag getroffen u
Wohnung, als er abends vom ##
verhängnisvoll wurde, nach Hau
dem Leben wiedergegeben, denn n
gefallenen weiß.
Dieser Schluß läuft aber der
subjektive Ehre des Offiziers den
gleich nach dem Vorfall, als ers#
sagt: Selbst wenn den Bäcker heu
dennoch entehrt. Der Schluß ist
wie an Marie in „Sterben“, auch
Lebenstrieb im Menschen, und be
seiner Jugend steht, wurzelt.
Auch die Novelle „Frau B
nur auf eine Person. Berta Ga
sehnsucht, dieweil der Mann, den
liebe hinweggekommen ist. Auch
Schilderung eines Seelenzustandes
unerträgliche Länge ausgesponnen
jungen Witwe, in der nach dem
nach dem Geliebten ihrer Mädche
ihrer Ehe, die sie in einer Kleinsta
Künstler geworden. Sie selbst greif
und erreicht es, daß sie mit ihm