VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Max Burckhard Wiener Literatur, Seite 3


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1. Panph s Offorints
hier persönliche Voreingenommenheit, verbunden mit sachlicher relativer Über¬
und diese
und seinen
schätzung.
Die Heimischen aber sind wieder unter sich selbst ganz zerfahren. Sie sind
die echten Partikularisten. Keiner will den andern gelten lassen. Die Schriftsteller
Gegen¬
einander nicht, und das Publikum die heimischen Schriftsteller nicht. Man spricht
stärken.
viel von literarischen Cliquen. Ich habe nicht viel davon sehen können, mir ist nur
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aufgefallen, daß die Einzelnen meist wie Hund und Katze aufeinander sind. Und dazu
kommt dann noch der Gegensatz der Nationen, der Parteien, und der Gegensatz
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von Provinz und Stadt, bei dem sich teilweise ähnliches zeigt, wie im Verhältnis
zwischen Süddeutschen und Norddeutschen, nur daß oft auf der einen Seite das
Wohlwolten, auf der andern aber die Uberschätzung fehlt. Uberschätzung und Ab¬
neigung teilen sich aber auch hier ähnlich, wie dies gelegentlich in dem Verhältnis
des Österreichischen zum Auswärtigen der Fall ist: bei dem Publikum macht sich
mehr jene bemerkbar. bei den Produzenten tritt mehr diese zutage.
Und so ergibt sich eine ganz eigentümliche Schwierigkeit für den Öster¬
reicher. Draußen kommt er schwer zu Ansehen, weil er eigentlich doch ein Fremder
ist, herinnen aber darum, weil er kein Fremder ist. Und will er mit einem Buch
auch nur in der engeren Heimat Boden fassen, so muß er hiezu den Umweg über
Deutschland einschlagen.
In den letzten Jahren haben sich die Verhältnisse im deutschen Buchhandel
wesentlich gebessert. Das Interesse an Büchern hat zugenonnnen. Nicht nur das
Interesse an der Lektüre, auch das Interesse am Besitz, die Erkenntnis, daß es bei
einem guten Buch nicht genug ist, es gelesen zu haben, daß man es wieder lesen.
es zur Hand haben muß, um in ihm nachlesen oder nachschlagen zu können. Was
früher nur eine Ausnahmserscheinung wer, hat sich verallgemeinert, ein persön¬
liches Gefühl zu Büchern, die man an Besitz hat, eine Empfindung, daß sie eine
Verlängerung des Ich darstellen. Natürlich gibt es da sehr verschiedene Abstufun¬
gen in diesem Gefühl. Ich z. B. lese schon seit Jahren gar kein Buch mehr, das ich
mir nur entlehnt hätte, und wenn ich mir anläßlich einer Arbeit bloß zum Nach¬
schlagen aus einer Bibliothek ein Buch ausgeliehen und dann doch mehr darinnen
gelesen habe, schaffe ich es hinterher an. Das Buch, das mir gehört oder das ich
kaufen will, lese ich schon ganz anders, weil es bei mir bleibt: ich lese
es mit steter Anspannung des Orts gedächtnisses, ich brauche mir nicht alles
genau zu merken, was mir wissenswürdig erscheint, ich brauche mir nur zu merken,
wo ich es finde. Dermalen weiß ich, das was ich gelesen habe und woran ich mich
überhaupt erinnere, es irgendwo gelesen zu haben, das finde ich, wenn ich nur suche,
in meiner Bibliothek; läse ich auch fremde Bücher, würde ich diese Sicherheit
verlieren, das Gebiet des beliebig reproduzierbaren nicht erweitern, sondern ver¬
engen. Andere halten dies wieder anders, aber sicher ist die Bereitwilligkeit, Bücher
zu kaufen, gewachsen. Der Aufschwung des deutschen Buchhandels, der sich daraus
ergeben hat, daß auch bei dem Deutschen die Freude am Besitz und die Erkenntnis
von dem Wert und der Notwendigkeit des Habens zu dem Interesse am. Lesen
hinzugekommen ist, hat zur Folge nicht nur, daß die Werke der Neueren jetzt mehr
gekauft werden, ja daß viel mehr Bücher geschrieben werden und Verleger finden
als in den Zeiten, da Bücher ein Luxusartikel waren, ein Etwas, das man gewöhnlich
höchstens kaufte, um es jemand zu schenken: auch älteren Werken wendet sich das
erhöhte Interesse des Publikums und der Verleger zu, und alte Bücher, die das
Publikum längst vergessen hatte, die vergriffen waren oder nur mehr in schlechten
Drucken existierten, feiern ihre Auferstehung in neuem Gewande. An diesem Auf¬
schwung hat aber aus den Gründen, die entwickelt wurden, unsere heimische Lite¬
ratur nicht den Anteil, den sie verdiente, zu haben.
Man braucht nicht auf die Zeiten Walthers von der Vogelweide und Neidharts
von Reuenthal zurückzugehen für die Behauptung, daß der Wiener Boden nicht an
sich ungeeignet ist für gute literarische Ernte. Zur Zeit der zweiten klassischen
Blüte der deutschen Literatur hat zwar in Wien eine klassische Ode geherrscht,