VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Max Burckhard Wiener Literatur, Seite 4


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1. Pauphlets, offprints
aber mit dem Beginn des dritten Dezenniums ungefähr des vorigen Jahrhunderts
traten in Wien Personen in die Offentlichkeit, die dem deutschen Volke Schätze von
dauerndem Werte geschaffen haben. In zweifacher Richtung setzt diese Bewegung
ein mit zwei Männern. Am 31. Jänner 1817 wurde im Theater an der Wien zum
erstenmal aufgeführt GRILLPARZERS „Ahnfrau“, am 18. Dezember 1823 im
Theater an der Leopoldstadt RAIMUNDS „Barometermacher auf der Zauberinsel“.
Um sechs Jahre hatte der eine den andern hiebei überholt, denn sie waren Alters¬
genossen, oder doch fast Altersgenossen, Raimund geboren am 1. Juni 1790. Grill¬
parzer ein halbes Jahr später, am 15. Jänner 1791.
Zwei Richtungen haben mit diesen zwei Dichtern eingesetzt, eine klassizisti¬
sche und eine volkstümliche. Jeder der beiden ist dem Weg, den er betreten hat,
sein Leben lang treu geblieben, und von beiden läuft die Linie weiter, herab bis auf
unsere Zeiten. Mit dem Auftreten des Realismus scheint dann die klassizistische
Linie, nachdem der Klassizismus längst auch bei uns verflacht war, plötzlich abzu¬
reißen. Aber auf Namen kommt es ja nicht an. Mit der Wiederbelebung der
Romantik und der neuerlichen Wertschätzung überlieferten Stiles als einer Form
überkommener Erfahrung setzt eine Linie wieder ein, die wir, rein graphisch gewiß,
aber auch in anderer Beziehung noch, als eine Fortsetzung jener abgerissenen
zweiten Linie bezeichnen können.
Raimunds Pfad führt hinan von dem „Barometermacher auf der Zauberinsel“
zu den Höhen von „Alpenkönig und Menschenfeind“ und des „Verschwenders“.
Seine Linie führt dann über NESTROY, STELZHAMER, von dem wohl nur ein
Teil seines Schaffens nach Wien fällt und der tief in dem Boden seiner oberöster¬
reichischen Heimat wurzelt, und ANZENGRUBER.
Sie alle haben es nicht leicht gehabt mit ihrer Anerkennung herinnen und
draußen. Hat Raimund auch schon 1832 in Berlin und Hamburg seine Stücke selbst
inszenieren können, die volle Würdigung seiner literarischen Bedeutung ist erst
spät erfolgt. Bei Nestroy desgleichen, und Stelzhamer wäre wohl noch heute, nach¬
dem man in Wien und Österreich die Säkularfeier seines Geburtstages begehen
konnte, in Deutschland (trotz bei Cotta erschienenen Gedichten) ein fast unbekannter
Name, wenn nicht Gerhart Hauptmann der Ausgabe der in ihrer Schlichtheit ent¬
zückenden „Charakterbilder aus Oberösterreich“, die ich besorgt habe, ein warm¬
empfundenes Geleitwort mitgegeben hätte.
Auch die Vertreter der anderen Linie haben oft lange gebraucht, bis ihnen
die richtige Würdigung ihrer Bedeutung in Deutschland zuteil geworden ist. Ich
nenne nur Grillparzer selbst und HEBBEL, der, im Dithmarschen geboren, doch das
letzte Drittel seines Lebens, die Hauptzeit seines dichterischen Schaffens in Wien
verbracht hat und jetzt in Deutschland seine Wiedererstehung feiert, während man
Als Glieder dieser zweiten Reihe wären, wenn man als Wiener nur den gelten
lassen wollte, der in Wien geboren ist, zu nennen BAUERNFELD, der das Wiener
Lustspiel seiner Zeit geschaffen hat, und KURNBERGER, der Autor des Romanes
„Die Amerikamüden“, zahlreicher Novellen, von denen ich nur den „Drachen“ her¬
vorheben will, und Verfasser prächtiger Feuilletons, von denen ein Band unter dem
Titel „Siegelringe“ im Buchhandel erschienen und, wie so viele andere seiner
Schriften, längst vergriffen ist, so daß eine wirkliche Gesamtausgabe der Werke
dieses Wiener Dichters und Kämpfers (drei Sammelbände, Dramen, Novellen,
Feuilletons, sind bei Daberkow erschienen, die Firma Georg Müller in München
plant jetzt eine Gesamtausgabe) eine Ehrenschuld seiner Landsleute wäre — wenn
#er ihnen auch manche harte Wahrheiten gesagt hat. Ferner FERDINAND SAAR,
der Dichter der „Wiener Elegien“ und der „Novellen aus Österreich“.
Aber auf den Geburtsort kommt es wahrlich nicht un — auch Hebbel ist ja
nicht in Wien geboren, und doch gehört er hicher. Und so darf ich getrost aus jener
Zeit hinzufügen ANASTASIUS GRUN, den „Wiener Poeten“, wie sich der ge¬
bürtige Laibacher selbst nannte, der gegen Metternich „spazieren ging“, den
„Ungar“ LENAU, den Krakaue,
Waldviertler HAMERLING, we
dienzeit und die unmittelbar ans
den Deutschböhmen MORIZ HI.
Romanes „Der Kampf um den
Jugendjahren auch noch die lei
Auch Wien erreichten die
über Deutschland gekommen wa
Kaffeehausangelegenheit betrach
spottet. Aber neue Menschen tau
hohe dichterische Begabung und
ließ, und sie fanden in IIERMA
Berlin in der „freien Bühne fü
wesen war und nun rückhaltlos u
breiten Brust und kräftigen Elll
Von SCHNITZLER und
einige Titel von Büchern zu ne
Deutschland, sondern in die gan
die Dinge so entwickelt, daß, nac
dem Dramatiker Schnitzler mit s
mannsthal drei kleinere Versdr.
gegeben worden waren, nun
Schnitzlers in Berlin stattfinden,
fehlt, die den heimischen Dichte
haben, mißgönnen und sie dafür
Von Hoffmannsthal weise
und die „Unterhaltungen über lit
führt die Dramen „Liebelei“, „D
„Der grüne Kakadu“ sowie die
Roman „Der Weg ins Freie“, di
mit der köstlichen Geschichte
„Novelletten“ und die Dialoge „
private Beschränktheit für unsit
des physiologischen Verhältniss
anders der Mann vor und nach
in einer Reihe von Szenen durc
Kunstwerkes geschicht, das mit
sellschaftskreise durchmißt, dars
Von den Büchern HER)
Dramen den „Franzl“, in dem
Freiheit, aber mit Humor und
der auch erst über Berlin nach
„Unter sich“, das von der Zen
so geschickt gemacht ist, daß d
Schuldigen machen würde. Fern
des Bluts“ und das dem klein
die „Dialoge“ „vom Marsyas“ und
die Streit- und Spottschrift mit
Bahr mit aller Schärfe für Gus
wie er in den Aufsätzen, die unte
rückhaltslos für die „Modernen“
Kampf, in dem er in Wien laj
und Bertha Zuckerkandl als K.
LUDWIG HEVESI als typische
denn Hevesi ist, wie schon sein