VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Max Burckhard Wiener Literatur, Seite 7

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natlich anmutende
könnte, und „Herr Wenzel auf Rehberg“, eine Erzählung, die bei aller Sattheit der
und Humoresken
Farben getreu den Stil eines alten Chronisten trifft. Zu diesen sind jüngst zwei
Novellenbände gekommen, der Zyklus „Künstlerfrauen“, und die Geschichten, die
es eigentlich
betitelt sind „Die Geliebte Friedrichs des Schönen“. Wenn dieser zweite Band
elfach zu
nichts enthielte als die tiefempfundene Hundegeschichte „Die Wege des
ück¬
Herrn“, so enthielte er eben die ergreifendste, auf feinster Seelenkunde

beruhende Hundegeschichte, die je geschrieben worden ist — wenn man etwa
von der Notiz bei Darwin über den Hund absicht, der seinem Herrn,
als dieser ihn vivisecierte, die Hand leckte. Von Saltens dramatischer Begabung
zeugen die drei Einakter „Vom anderen Ufer“. Von WASSERMANN sei
der Dialog „Die Kunst der Erzählung“ besonders hervorgehoben; von seinen
Romanen will ich außer der „Geschichte der jungen Renate Fuchs“ hier nur auf
den jüngst erschienenen hinweisen. Indem Wassermann im „Kaspar Hauser“ ver¬
zichtet, auf die „Spannung“ hinzuarbeiten, zu der der Gegenstand verleiten würde,
oder sich in das Problem zu verlieren, wie ein Mensch als herangewachsener Jüngling
schrittweise die Welt erfassen mag, wenn sie vorher nicht für ihn existiert hat, ge¬
winnt er starke Wirkung aus der Darstellung der brutalen Roheit, mit der diese
Welt einer aufblühenden Menschenseele entgegentritt, wenn diese aufblühende
Mensehenseele einmal keine Kinderseele mehr ist.
Ein starkes Talent war der leider schon am 4. Juni 1905 im Alter von 35 Jahren
verstorbene GUSTAV MACASY. Sein Roman „Die Chronik von Dirnau“ schildert
meisterhaft die Typen von Verbrechern, wie sie allenthalben unter den ehrbaren
Bürgern dutzendweise herumlaufen. Zu den Toten gehört leider auch schon
J. J. DAVID, von dem, allerdings ziemlich lückenhaft gesammelte, „Gesammelte
Werke“ vor kurzem in einem deutschen Verlag erschienen sind. Auch einen andern
Wiener, der viel zu Früh den Freunden seiner Muse und seinen Freunden entrissen
worden ist, muß ich hier nennen. Es ist KARLWEIS, der Verfasser des Schwankes
„Der kleine Mann“, der Volksstücke „Das grobe Hemd“ und „Das liebe Ich“ und
der stimmungsvollen Novelle „Adieu Papa“, der mit seinem leisen Spötterton und
dem gelegentlichen Einschlage von Sentimentalität bald ein Liebling der Wiener
geworden war.
Wenn man von Wiener Autoren spricht, darf man natürlich PETER ALTEN¬
BERG nicht vergessen mit seinen Skizzen: „Wie ich es sehe“, „Was der Tag mir
zuträgt“ und seinem „Podromos“. Auch der liebenswürdigen Leichtigkeit eines
RAOUL AUERNITEIMER und der finsteren Herbheit eines FRANZ SCHAMANN
sei hier gedacht. Von RUDOLF LOTHAR ist das Maskenspiel „König Harlekin“.
zu nennen. Auch den Namen EDUARD HOFFER möchte ich hier einschalten um
seines „neuen Schattenspieles“ „Arme Seelen“ (Graz 1908) willen, wenngleich Hoffer
ganz nach Graz gehören dürfte, während RUDOLF HANS BARTSCH, ein
Steiermärker, der sich rasch einen Namen gemacht hat, nun in Wien lebt
(„Zwölf aus der Steiermark“, „Die Haindikinder“). Von einigen gebürtigen Wienern
und Wienerinnen seien noch die Namen und einige Bücher genannt: PAUL ALT¬
HIOF (Alice Gurschner), RICIIARD BEER-HOFMANN (mit seiner prächtigen
Tragödie „Der Graf v. Charolais“), FELIX DöRMANN („Ledige Leute“), KURT
FRIEBERGER, EMII. LUCKA („Goya“, „Tod und Leben“), MAX MESSER
(„Die moderne Seele“, „Der Traum vom Weibe“), ROSA MAYREDER („Zwischen
Himmel und Erde“, Sonette), GRETE MEISEL-HESS, FRIEDRICI WERNER
OESTEREN („Christus, nicht Jesus“), KARL. SCAPINELLI, FRITZ TELMANN
(„Messenhauser“). Auch der Name GUSTAV EUGEN DIEIIL sei hier angerciht,
des Verfassers des preisgekrönten Nibelungenfestspieles für die in Pöchlarn ge¬
planten Volksschauspiele.
Von Dichterinnen will ich die EBNER-ESCHENBACII besonders anführen
und die Baronin HIANDEL-MAZZETTI, diese mit den Romanen „Meinrad Helm¬
pergers denkwürdiges Jahr“ und „Jesse und Maria“ — nicht als ob Marie Ebner¬
Eschenbach nicht auch eine Baronin wäre und nicht auch Werke geschrieben hätte,