VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Viktor Klemperer Bühne und Welt, Seite 4

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Bühne und Welt.
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Zweiheit eben im eigenen Wesen. Da nun aber aller Genuß und alle Freude auf
einheitlichen starken Empfindungen des Hasses oder der Liebe beruhen, so ist Schnitzler
davon geradezu ausgeschlossen. Wer seinen Roman, den „Weg ins Freie“, liest, wird
finden, daß der Dichter für diese Herrissenheit sein Judentum verantwortlich macht,
und damit hat Schnitzler gewiß die rechte Erklärung getroffen, soweit sich Seelen¬
anlagen eben erklären lassen.
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„Liebelei“, Oper nach Arthur Schnitzler von Franz Neumann.
III. Akt. Uraufführung auf dem Opernhause in Frankfurt a. Main.
Thristine (Lisbeth Sellin). Musikus Weiring (Walther Schneider)
Das also sind die tragischen Grundzüge in Arthur Schnitzlers Charakter, und
darum ist er so durchaus zum tragischen Dichter geworden: der Todbedrängte sucht
das Leben krampfig zu erfassen, und seine innere Zerrissenheit und das Zweifelvolle
seiner durch die Naturwissenschaft beeinflußten Weltanschauung treten zwischen ihn
und den Genuß. Nun aber tritt noch zu diesem Düsteren ein Milderndes, dem es
denn Schnitzler zu verdanken hat, daß er so oft ein „heiterer Lebenskünstler“, wenn
nicht gar „frivoler Erotiker“ genannt wird. Er ist nicht nur der grübelnde Arzt und
Jude, er ist auch ein Wiener. Man sagt, in die süddeutsche Atmosphäre Wiens
sei durch die Natur und Geschichte des Landes ein italienischer Hauch, eine orien¬
talische Duftwelle geströmt. Aus dieser atmosphärischen Mischung leitet man eine
gewisse Milde, Beruhigung und Weichheit, ein freilich auch an Schlaffheit Grenzendes