VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Hanns Sachs Imago, Seite 15


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1. Panphlets, offprints
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Die Motivgestaltung bei Schnitzler
als deiner unsäglich Geliebten“ und empfindet es als Wonne, für
uflucht
sie sterben zu dürfen.
Im „Hirtenliede ist das erste Abenteuer der von ihrem Gatten
n
freigegebenen Dionysia ein feindliches Zusammentreffen mit dem
F
fremden Hirten, sie eilt ihm nach, um ihn zu züchtigen, und ergibt
sich ihm doch gleich darauf in Liebe. Ahnliche Episoden ließen sich
wohl noch einige zeigen, aber fesselnder ist es, der Wirkung dieses
Motives dort nachzugehen, wo es unsichtbar zugrunde liegt. Die
Haltung, die Bermann in „Der Weg ins Freieg gegen seine Ge¬
liebte einnimmt, wird erst verständlich, wenn man neben der Liebe
und Eifersucht auch unbewußten Haß unter die Motive rechnet.
Das Gefühl der Befreitheitg, das den Baron Wergenthin jedes¬
mal überkommt, wenn er von einer Geliebten Abschied nimmt,
dürfte wohl aus der Quelle eines ähnlichen Zwiespalts der Emp¬
findungen stammen.
Schon daß die Werke, in denen das Problem bewußt und
ausführlich behandelt ist, sämtlich zu den späteren gehören, recht¬
fertigt den Schluß, daß es in den früheren bereits irgendwie ent¬
halten war. Es kommt in keinem Seelenleben, auch dem des
Dichters, durch die Entwicklung etwas Neues hinzu, nur daß bei
ihm die Keime zu ihren Möglichkeiten heranwachsen und schatten¬
haft-flüchtige Linien zu leibhaften Gestalten werden.
Menächmen.
Schnitzler hat zweimal ein und dasselbe Motiv zum Mittel¬
punkt eines Werkes gemacht. Der Einakter sDie letzten Maskeng und
die Novelle „Der Tod des Junggeselleng verkörpern beide den Satz,
daß zwischen Leben und Tod jede Gemeinschaft aufhört Odenn
Tod und Leben pilgern auf getrennten Pfadens), durch denselben
Stoff. Das Argste und Bitterste, der mit der geliebten Gattin an
Eheglück und Ehre geübte Betrug, verliert seine Wirkung, wenn
der Tod zwischen Betrüger und Betrogene getreten ist. In der später
##tstandenen Novelle ist das Thema reiner herausgearbeitet: dort
fehlt die Beimischung eines dem Motiv fernstehenden und darum
störenden Grundes, der dem Sterbenden die Lippen öffnet, wie es
der Haß und die Wut des Erfolglosen gegen den Emporkömmling
in „Die letzten Maskens tut. Auch ist das Problem weitergeführt,
da die Erkenntnis der Vergeblichkeit seines Beginnens in dem Ein¬
akter nur dem Sterbenden aufgeht und ihm das Wort von der
Lippe zurückdrängt, während in der Novelle die Betrogenen ihr
Schicksal erfahren und die gehoffte Wirkung dennoch ausbleibt.
Diese Ausarbeitung führte zu einer neuen Konsequenz, denn wenn
ein solches Versagen und Wirkungsloswerden wirklich den Wert
einer typisch menschlichen Erscheinung haben sollte, durfte es nicht
bloß Einem begegnen, sondern mehreren, womöglich recht ver¬
schiedenen Charakteren. Erst durch diese Vervielfältigung wird der