VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Hanns Sachs Imago, Seite 16

hlet:
box 36/5
1. Panb.„ offprints
310
Hanns Sachs
Stoff wirklich ausgeschöpft und so treten an die Stelle des einen
betrogenen Ehemannes ihrer drei.
Nun ist durchaus nicht anzunehmen, daß der Dichter die Ab¬
sicht hatte, in der Novelle durch irgendein Detail an das frühere,
verwandte Werk zu erinnern. Eher läßt sich das Gegenteil vermuten,
etwa aus der völligen Umkehrung des Milieus, durch die aus einer
ärmlichen Kammer des Allgemeinen Krankenhauses das luxuriöse
Heim eines reichen Genießers geworden ist. Dennoch haben sich bei
zwei von jenen drei neuen Figuren, und gerade bei den beiden, die
lebendiger gezeichnet und tiefer erfaßt sind, nämlich dem Dichter
und dem Arzt, kleine Züge ihres Vorgängers aus dem Einakter
erhalten, die ihre Abstammung von ihm unzweideutig dartun.
Der Dichter ist durch die Gemeinsamkeit des Berufes schon
an Weihgast herangerückt. Bei ihm ist das, was im Einakter der
Hauptantrieb für das Übelwollen des Sterbenden gegen den Freund
war, in letzter Abschwächung als subjektives Gefühl noch bestehen
geblieben: er glaubt, daß Neid und kleinliche Rache gegen ihn, den
großen und berühmten Mann, die Motive jenes Abschiedsbriefes
gewesen sein müssen. Das Verhältnis Weihgasts zu seiner Gattin,
das er mit den Worten schildert: „Wahrhaftig, bei ihr find“ ich
mich selbst — den Glauben an mich selbst wieder, wenn ich nah
daran bin, ihn zu verlieren — die Kraft zu schaffen, die Lust zu
leben. Und je älter man wird, um so mehr fühlt man, daß dies
doch der einzige wahre Zusammenhang ist, den es gibte, ist genau
das nämliche wie es der Dichter für sich empfindet: „. .. und
allzulange war es her, daß sie aufgehört hatte, ihm die Geliebte zu
bedeuten. Doch anderes war sie ihm geworden, mehr und edleres:
eine Freundin, eine Gefährtin, voll Stolz auf seine Erfolge, voll
Mitgefühl für seine Enttäuschungen, voll Einsicht in sein tiefstes
Wesen. Auch in dem Detail, daß beide von einem Bühnenwerk
erzählen, das sie eben zur Aufführung vorbereiten, gleichen sich
die Gestalten.
Für den Arzt ist die Familie Weihgasts übriggeblieben, mit
kleinen Veränderungen: er odenkt an den Altesten, der heuer sein
Freiwilligenjahr abdients, und jener erzählt: 2Und mein Bub' —
Bub’! — dient heuer sein Freiwilligenjahr abe. Aus der einen ver¬
heirateten Tochter sind in der Novelle zwei geworden, von denen
die ältere verlobt ist. Dann wiederholt odie peinliche Empfindung,
daß sie nun so weit waren, sie alle, die noch vor wenig Jahren
jung geweseng, mit der sich der Arzt an das Krankenlager begibt,
die Worte Weihgasts: Die Jungen. Wenn man bedenkt, daß man
vor zehn Jahren selbst noch ein Junger wars, und der Gedanke des
ArztesMan hat sich recht selten gesehen in der letzten Zeite
entspricht dem Vorwurf: „Wenn du dich auch eine Reihe von Jahren
um deinen alten Freund nicht mehr gekümmert hast . ..“ Sogar
die unangebrannte Zigarette des Arztes ist in dem älteren Werke
schon vorgeahnt, nur ist es nicht sein Vorgänger, sondern eine Epi¬

5






W
810
Shr dn egei e

*