1. Panphlets, öffprints
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box 36/5
Die Stiltendenzen im deutschen Drama
der Gegenwart
Refera von Julius Bah
Die Betrachtung, die ich vor Ihnen zu führen gedenke, hat
zu ihrer ersten Voraussetzung die Annahme, daß die Haupt¬
formen der Kunst, wie sie der Asthetiker abgrenzend zu charak¬
terisieren sucht, nicht die leeren Produkte willkürlicher Abstraktion
aus den in Wahrheit allein lebendigen Einzelkunstwerken sind.
Vielmehr ist die Anschauung, von der ich ausgehe, die, daß so
gewiß wie jedes spezielle Kunstwerk irgendeinem individuellen
Lebensbedürfnis, so jede von der Asthetik erkannte Kunstgattung
auf ein allgemeines, typisches Bedürfnis der Menschheit antwortet.
So wie der Anatom und der Antbropologe von einer allgemein
gültigen Form des menschlichen Gesichtes sprechen dürfen —
die ja auch Ausdruck für das tatsächlich vorhandene Mindest¬
maß gleichartiger Lebensvorgänge bei allen Menschen ist — und
wie trotzdem in der Wirklichkeit nur individuelle Gesichter
existieren, die alle nach verschiedener Richtung um einen mini¬
malen Grad von Normalgesicht abweichen — so existiert auch
im Geistigen als sehr bedeutsame Wirklichkeit die Kunstform,
z. B. die allgemein dichterische und die speziell lyrische oder
dramatische, wenn auch in den künstlerischen Werken immer
nur Variationen dieser Grundform realisiert werden.
Drücken aber so die im Wandel bleibenden Formen das
ewige unwandelbare Wesen menschlichen Lebens aus, so be¬
deuten die Stile, von denen uns die Kunstgeschichte berichtet,
die immer noch überpersönlichen, aber bereits vom Geiste ge¬
schichtlicher Kulturepochen individuell bestimmten Lebenstendenzen,
die eine bestimmte Kunstform ihrem Sinne dienstbar machen
möchten. Eine Betrachtung über die Stiltendenzen im deutschen
Drama der Gegenwart kann also für das innerste Wesen des
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Die Stiltendenzen im deutschen Drama
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Refera von Julius Bah
Die Betrachtung, die ich vor Ihnen zu führen gedenke, hat
zu ihrer ersten Voraussetzung die Annahme, daß die Haupt¬
formen der Kunst, wie sie der Asthetiker abgrenzend zu charak¬
terisieren sucht, nicht die leeren Produkte willkürlicher Abstraktion
aus den in Wahrheit allein lebendigen Einzelkunstwerken sind.
Vielmehr ist die Anschauung, von der ich ausgehe, die, daß so
gewiß wie jedes spezielle Kunstwerk irgendeinem individuellen
Lebensbedürfnis, so jede von der Asthetik erkannte Kunstgattung
auf ein allgemeines, typisches Bedürfnis der Menschheit antwortet.
So wie der Anatom und der Antbropologe von einer allgemein
gültigen Form des menschlichen Gesichtes sprechen dürfen —
die ja auch Ausdruck für das tatsächlich vorhandene Mindest¬
maß gleichartiger Lebensvorgänge bei allen Menschen ist — und
wie trotzdem in der Wirklichkeit nur individuelle Gesichter
existieren, die alle nach verschiedener Richtung um einen mini¬
malen Grad von Normalgesicht abweichen — so existiert auch
im Geistigen als sehr bedeutsame Wirklichkeit die Kunstform,
z. B. die allgemein dichterische und die speziell lyrische oder
dramatische, wenn auch in den künstlerischen Werken immer
nur Variationen dieser Grundform realisiert werden.
Drücken aber so die im Wandel bleibenden Formen das
ewige unwandelbare Wesen menschlichen Lebens aus, so be¬
deuten die Stile, von denen uns die Kunstgeschichte berichtet,
die immer noch überpersönlichen, aber bereits vom Geiste ge¬
schichtlicher Kulturepochen individuell bestimmten Lebenstendenzen,
die eine bestimmte Kunstform ihrem Sinne dienstbar machen
möchten. Eine Betrachtung über die Stiltendenzen im deutschen
Drama der Gegenwart kann also für das innerste Wesen des
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